Dave
Es war Viertel vor drei mitten in der Nacht, das spärliche Licht der Schreibtischlampe konnte das Blatt Papier vor mir gerade noch so erhellen, dass ich die wenigen geschriebenen Worte lesen konnte und meine Gedanken rasten wie verrückt. Die Stadt draußen vor meinem Fenster war lebendig und hell erleuchtet, doch mein Inneres blieb dunkel und verschlossen. Fragen über Fragen und keine Antworten, wie so oft im Leben.
Mein Kopf schwirrte immer noch von den vergangenen Vorkommnissen und es war mir unmöglich, mich auf meine Hausaufgabe zu konzentrieren. Was zur Hölle hatte Abigail Freeman in meiner Wohnung zu suchen? Sie glaubte doch wohl nicht ernsthaft, dass ich der Mörder dieser Frau war? So etwas konnte ich nicht ernst nehmen. Im Fernsehen war sie immer viel klüger und humorvoller herübergekommen. In der Realität war ihr Intellekt ziemlich enttäuschend.
Was allerdings auch in der Realität nicht enttäuscht hatte, war ihr wirklich teuflisch gutes Aussehen. Ihre sinnlichen Kurven, die blitzenden Augen, die wallende, braune Mähne und ihre zierlichen Hände. Ich massierte meine Schläfen. An sowas sollte ich gar nicht erst denken.
Unwillkürlich musste ich jedoch grinsen. Manche Leute sollten ihren Mund einfach nicht öffnen, das zerstörte unter Umständen den Gesamteindruck. Nun ja, eigentlich war ich zu überrumpelt gewesen, als dass ich mir einen ordentlichen Gesamteindruck hätte bilden können. Aber seien wir auch mal ehrlich, wann stolperte schon eine heiße Milliardärstocher in ein Drecksloch wie dieses? Selbst wenn sie eine Bekannte von Megan war, hieß das noch lange nicht, dass sie automatisch irgendwann bei mir auf der Matte stehen musste. Wie lange hatte ich sie nicht mehr gesehen? Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Hätte ich es nicht besser gewusst, ich hätte diese Begegnung gut und gerne als Traum abgestempelt.
Aber dafür war alles einfach zu real gewesen. Wie abschätzig sie mich angegiftet hatte, von wegen George und ich hätten Streit, so etwas hätte meiner Fantasien nicht ohne weiteres entspringen können. Wobei sie gewissermaßen Recht hatte, wie ich mir eingestehen musste. Leider nicht nur gewissermaßen.
Wut und Schmerz gleichermaßen durchzuckten mich wie ein Blitz. Hätte ich nicht schon längst gesessen, hätte ich mich irgendwo festhalten müssen, um nicht zu Boden zu gehen.
Ich konnte es immer noch nicht verstehen. Wie hatte er mich so verraten können? Immer hatten wir uns gegenseitig unterstützt, es gab kaum eine Kindheitserinnerung, die wir nicht teilten. Wir waren Musterbrüder gewesen, die Idealvorstellung jeder Eltern. Aber George hatte einen Scheiß darauf gegeben. Als er die Gelegenheit gesehen hatte, erfolgreicher und besser als ich sein zu können, hatte er sie ohne zu zögern am Schopfe gepackt und genutzt. Was dabei aus mir wurde, was aus uns wurde, das hatte ihn nicht interessiert.
Ich massierte meine Schläfen, damit der durch die Erinnerung hervorgerufene Kopfschmerz nicht meinen Schädel spaltete. Immerhin ich hatte mich nicht zu einer unüberlegten Antwort hinreißen lassen, deswegen fühlte ich mich ein wenig. Ich war besser als sie.
Abigail dachte anscheinend, dass sie die Einzige sei, die Menschenkenntnis besaß, die Einzige mit der Fähigkeit, den wunden Punkt eines Menschen finden und treffen zu können. Aber da täuschte sie sich. Allein diese deutlich affektierte Art. Verdammt vieles an ihr war nur gespielt, sie zeigte kaum etwas von der echten Abigail, da war ich mir sicher.
Ich konnte mich an den Augenblick erinnern, als sie kurz davor war zu gehen. Sie sah mir in die Augen, schreckte regelrecht zurück und schloss sie für einen Moment. Als sie sie wieder öffnete, war Angst darin zu sehen. Irgendetwas hatte ihr Angst gemacht, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, was. Ihr Mund hatte leicht offen gestanden und ihre Lippen hatten im Licht der nackten Glühbirne wunderbar voll geglänzt. Vielleicht hatte sie es nicht gemerkt, aber sie hatte die Hände zu Fäusten geballt. Was auch immer es gewesen war, es hatte sie für einen kurzen Moment aus der Fassung gebracht und damit hatte es mir einen Blick hinter die Fassade erlaubt.
Aber selbst in diesem Zustand hatte Abigail wirklich heiß ausgesehen, und diese Erkenntnis machte mir Angst. Der Mann, der Frauen auf diese Art wahrnehmen konnte, war vor einigen Jahren eigentlich verschwunden und seitdem nicht wieder zum Vorschein gekommen. Und, verdammt nochmal, ich hatte ihn nicht vermisst. Seine Abwesenheit hatte sehr vieles sehr viel einfacher gemacht.
Ich unterdrückte ein Gähnen. Die andauernde Müdigkeit und dieses verdammte Medizinstudium zerrte echt an meinen Nerven.
Erschöpft ließ ich den Kopf auf das kühle Holz des Schreibtisches sinken, zuckte jedoch wieder hoch, als ich merkte, dass ich mich mitten auf ein kaltes Stück gelegt hatte. Ich durfte nicht zu viele Gedanken an sie verschwenden. Sie würde eh nie wieder kommen, wozu sich also den Kopf zerbrechen? Für nichts und wieder nichts?
Nein danke, ich ging lieber ins Bett. Allein.
Anm.: Um niemanden abzuschrecken: Ich kann euch beruhigen, mehr Perspektiven wird es nicht geben. Es bleibt bei Abigail, Dave und Unknown. Also (hoffentlich) viel Spaß weiterhin!
Freya x33
DU LIEST GERADE
Avenging Angel - Schönheitsschlaf für Anfänger | #DreamAward2018 #SpringAwards18
Jugendliteratur„Nach mir die Sintflut." Ein Satz, der im Original von Abigail Morgan Sue Freeman hätte stammen können. Ein Motto, das ihr Leben äußerst gut beschreibt. Reich, schön, hochintelligent. Perfekt, vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen. Das ist es, was al...