Physikstunde

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Schon vor dem Klassenraum kam mir eine Welle der Vorfreude entgegen. Ich verkniff mir ein schadenfreudiges Lächeln und schloss das Klassenzimmer auf. Nach einer gefühlten halben Ewigkeit hatten sich dann endlich alle gesetzt und die Gespräche waren verebbt.

„Guten Morgen!", begrüßte ich die Klasse möglichst positiv. „Hoffentlich hattet ihr schöne Ferien!" Das ist jetzt nämlich vorbei und die Arbeit wird euch sicherlich den Tag versüßen.

„Heute bekommt ihr die Arbeit zurück, die völlig gegen meiner Erwartung schlecht ausfiel." Eigentlich hatte ich nichts anderes erwartet bei solch höchst intellektueller Klasse.

Ich sah schon wie manchen das Lachen aus dem Gesicht rutschte und die Gesichtszüge entgleisten. Wenigstens heute waren sie mal still - es hatte ihnen wohl die Sprache verschlagen.

Möglichst langsam ging ich durch den Raum um ihre Ängste wie ein kleines Feuer zu schüren - Schule muss nun mal auch für mich ab und zu gut sein.

„Ist der sogar zu fett zum Laufen?", flüsterte Markus, ein Schüler.

„Markus! Wie immer Klassenbester!" Hämisch grinsend hab ich ihm seine Arbeit. „6+! Fast hättest du es total verhauen, aber für das Bisschen Formeln lernen habe ich mich dann doch dazu herabgelassen."

„D..-Das dürfen sie nicht!" Mit hochrotem Kopf und verdächtig feuchten Augen blickte der Schwachkopf zu mir auf.

„Und Beamtenbeleidigung geht natürlich." Vielleicht hatte er mich sogar verstanden, aber als er mich wie ein rosa gefärbtes - und dummes - Schaf anblickte, schloss ich auf das Gegenteil.

„VOOOOOOOR!", schrie irgendein Verrückter und etwas traf mich am Hinterkopf. „Headshot!"

Diese kleinen, verzogenen Biester, die nicht mal irgendetwas geschissen bekommen, wenn man es ihnen vor die Nase hält. Einmal tief Einatmen. Und wieder aus. So hatte dir das doch jemand beigebracht im Selbsthilfekurs. Warte die nächste Arbeit ab, um sie nochmal richtig in die Pfanne zu hauen... Oder gar ein Überraschungstest..?

„Da wir nun das letzte Kapitel - wenn auch wenig erfolgreich - abgeschlossen haben, können wir nun mit neuem Tatendrang das Thema „Radioaktivität" anfangen. Neustart und eine Chance für jene, denen das andere Thema nicht gerade nahe lag." Wahrscheinlich würden die kleinen Teufelsbraten nicht einmal das verstehen. Bin ich nur froh, dass diese Einrichtung hier keine Gesamtschule war.

„Das ist ein Geigerzähler und das dort ist ein ungefährlicher radioaktiver Stoff. Nun werde i..", setzte ich an.

„Kann man davon Krebs bekommen?!"

„Nein, nicht nur, denn wie ihr wissen solltet, strahlt sogar die Erde ab und an.."

„Aber.. aber mit Radioaktivität ist nicht zu spaßen. Sie sind sich da wirklich sicher?", rief wieder jemand etwas weinerlich hinein. Ich habe dieses Fach studiert und du bist gerade mal 15 mickrige Jährchen auf der Welt. „Also.."

„Kann man das dann essen?" Idioten. „Und leuchtet man dann?!" Wie war das nochmal mit der freien Entscheidung für die weiterführende Schule..?

„Nein, das würde ich nicht empfehlen." Obwohl - vielleicht sollte ich das Cafeteria-Essen ein wenig anreichern - mit diesen gesunden Nährstoffen.. ein paar Schüler weniger ist doch wohl zu verkraften und so viel schlechter als sonst würde das Essen bestimmt auch nicht schmecken.. Versunken in meinen Gedanken schmiedete ich schon einen Plan.

„Der alte Sack denkt doch gerade bestimmt an Essen. Dabei rollt er doch jetzt schon durch die Welt.", flüsterte Markus, der sich wohl erholt hatte.

Okay, gut, jeder hatte eine zweite Chance verdient. „Schlagt alle Seite 136 im Physikbuch auf. Lest den Artikel über Alpha-,Beta-, und Gammastrahlung."

„Kann bitte jemand vorlesen?", fragte jemand hoffnungsvoll.

„Nein." Meine Stimmung war unter dem Gefrierpunkt angelangt und ich spürte schon wie mein Gesicht langsam einfror. Lehrer werden sollst du - haben sie gesagt. Es wird mir Spaß machen - haben sie gesagt.

Kurze Zeit später rief ich Mark auf und bat ihn den Text zusammenzufassen.

„Ja... ähm.. es gibt nicht nur eine radioaktive Strahlung sondern Alpha-, Beta-, und Gammastrahlung." Ein Licht am Ende des Tunnels. „Und ja, also weiter bin ich leider nicht gekommen mit Lesen." Das Licht war wohl doch von einem Zug, denn gerade wurden meine Hoffnungen gnadenlos überfahren.

Ich bemerkte schon aus dem Augenwinkel wie manche Schüler so kühn waren und langsam und total unauffällig zusammenpackten. Im nächsten Moment gongte es schon und hektisch wurde aufgestanden.

„Halt! Ich beende die Stunde!" Langsam kroch ihnen der Hass ins Gesicht. „Ich möchte euch schließlich noch Hausaufgaben aufgeben!" Wenn Blicke töten könnten.. „Auf jeden Fall schreibt ihr eine kleine Zusammenfassung der Buchseite, verbessert die gesamte Arbeit und ich verlange außerdem noch eine Unterschrift eurer Eltern." Entnervt sackten schon einige auf ihrem Stuhl zusammen und draußen erklang schon das Geschrei der Freiheit. „Ich werde das alles nächste Stunde einsammeln - schließlich müssen einige von euch ihre Note aufbessern." Eine kurze Kunstpause, um mich an ihrem Leid zu ergötzen. „Ach und - schönes Wochenende!" Breit lächelnd öffnete ich die Türe und entließ sie in die Pause.

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