Teil 1 - Sascha

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Mich würde interessieren, wie Thomas an meine private Nummer gekommen ist. Thomas, oder Tommy, wie wir ihn früher nannten.

Diese Frage drängt sich ständig in den Vordergrund, während ich, schwitzend vor lauter Stress,  einen freien Parkplatz zu finden, das Lenkrad hektisch herumdrehe.  München, 9.15 Uhr morgens, Berufsverkehr. Die Strassen rund um das Sendlinger Tor sind völlig verstopft, und ich bemühe mich, eine Kollision mit einer klingelnden Straßenbahn zu vermeiden, während ich mich in eine kaum vorhandene Parklücke direkt an der Hauptstrasse quetsche. Da fährt man nun schon einen winzigen Fiat, und hat trotzdem Schwierigkeiten ihn abzustellen. Typisch München. Ich stelle den Motor ab, öffne den Sicherheitsgurt und drehe den Rückspiegel in meinen Richtung. Frische mein Make up etwas auf und atme tief durch. Meine Augen leuchten mir im Spiegel unruhig entgegen.

"Ruhig bleiben. Es ist doch nur ein harmloses Treffen, mein Gott",  murmele ich mir selbst zu. Meine Nervosität irritiert mich. Ich stecke Handy, Wasserflasche,Zigaretten und Feuerzeug, die seit der Abfahrt in Frankfurt auf meinem Beifahrersitz herumrutschen, in meine Handtasche, prüfe noch einmal mein Aussehen im Spiegel und steige aus.

Tommy hat das Treffen für 9.30 Uhr in einem Café angesetzt. Er hatte sich im Vorfeld schon für die frühe Uhrzeit entschuldigt, aber durch seinen äußerst zeitintensiven Job als Geschäftsführer eines kleinen Verlages und der Tatsache, dass Tommy inzwischen Vater von drei Kindern ist und zusammen mit seiner Frau ein viertes erwartet, konnte es nur in den Morgenstunden anberaumt werden. Mir war dies so ganz recht. Während der letzten Jahre hatte ich die Vorzüge erkannt, die darin lagen, sehr früh aufzustehen. Ich schlief beinahe keine Nacht sehr  viel länger als 4.30 Uhr, und hatte dadurch kein Problem, um etwa diese Uhrzeit von zu Hause aufzubrechen.

Zu Hause. Mein neues Zuhause, Frankfurt am Main. Mein früheres Zuhause liegt direkt bei München. Da der ganze Tag noch vor mir liegt, kann ich die Chance nutzen, und meine Mutter besuchen. Noch weiß sie nichts davon. Ich habe mich nicht angemeldet, um es mir zur Not noch einmal anders überlegen zu können. Wie üblich.

Das Café Mozart kenne ich noch von früher, es liegt etwas versteckt in einer Nebenstrasse. Da ich  noch einige Minuten zu früh dran bin, beschliesse ich, draussen zu warten. Ich wickele mich in meinen neuen, hellgrauen Mantel und suche die Zigarettenpackung  in meiner Tasche. Die Luft ist kühl,  aber nicht unangenehm. Die Strassen sind trocken, aber ich weiß, dass es später am Tag regnen soll. Man spürt den nahenden Frühling, die Luft riecht würzig und wie frisch gewaschen, trotz der Abgase der vielen Autos in der Innenstadt.

Jetzt fühle ich mich besser, die Nervosität weicht allmählich einer neugierigen Anspannung. Was genau kann Tommy mit mir besprechen wollen? Warum sollte ich dazu extra nach München kommen?

Am Samstag vor einer Woche klingelte morgens um sieben Uhr mein Handy. Die Nummer war unterdrückt, und aus einem unbestimmten Gefühl, dass es sich um einen wichtigen Anruf handeln könnte, nahm ich das Gespräch an, obwohl ich unbekannte Nummern ansonsten ignoriere.

Aus diesem unbestimmten Gefühl ergab sich, dass ich nun an einem Freitagmorgen vor einem Café in München stehe und auf jemanden warte, den ich seit beinahe zehn Jahren nicht gesehen habe. Tommy hatte sich am Telefon äußerst merkwürdig ausgedrückt. Im Vordergrund stand nur die Frage, die sich immer mehr als Bitte darstellte, sich mit mir zu treffen, um etwas Wichtiges zu besprechen. Um wen es ging, konnte ich mir ja wohl denken? Ob ich in nächster Zeit wieder mal in der alten Heimat unterwegs wäre? Er müsste mich persönlich treffen.

Ich unterließ es, ihm zu erklären, dass ich nur höchst selten in meiner alten Heimat anzutreffen sei. Mein Lebensmittelpunkt hatte sich auf Frankfurt verlagert, und im Grunde hatte ich die meisten alten Kontakte und Verbindungen zu meinem früheren Leben gekappt. Aber ich wusste natürlich, um wen es ging, als er mich fragte. Problematisch war in diesem Zusammenhang, dass die Person, über die er sich mit mir unterhalten wollte, mit ein Grund war, warum ich mein Leben damals von Bayern auf Hessen verlegte.

Tommy wollte sich über Mia unterhalten, seine Schwester . Mia, meine ehemals beste und älteste Freundin. Über Mia, die nun inzwischen schon seit beinahe fünf Jahren spurlos verschwunden ist.


Tommy sieht gut aus. Er begrüsst mich mit einer Umarmung, bei der ich mich gefühlt zwei Meter nach oben strecken muss, da er so groß ist. Er trägt einen schicken schwarzen Mantel und eine schwarze Wollmütze, die er sich tief ins Gesicht gezogen hat. Seine Wangen sind ganz rosig, er ist die letzten Meter gelaufen, erzählt er mir, als wir das Café betreten und uns einen Tisch in der hinteren linken Ecke suchen. Ein bisschen verstohlen beobachte ich ihn, während er den Mantel auszieht, mir aus meinem hilft und ihn zur Garderobe bringt. Immer noch dasselbe spitzbübische Lächeln, das alte Kindergesicht. Irgendwer hat mir einmal gesagt, dass sich Freunde aus Kindertagen niemals wirklich verändern. Es stimmt. Tommy wirkt auf mich immer noch wie der Zehnjährige, der mich und Mia damals ärgerte, indem er uns mit dem Gartenschlauch verfolgte, während wir mit unseren Barbiepuppen ein Picknick unter dem großen Apfelbaum von Mias Eltern veranstalten wollten. 

Allerdings werden seine Schläfen langsam ein bisschen grau.

Wir bestellen Kaffee und kalte Getränke. Tommy ordert noch einen Kuchen aus der Tagesvitrine . Während wir auf das Bestellte warten, sprechen wir über Unverfängliches. Job, Partnerschaft. Er erzählt mir mit stolzem Grinsen im Gesicht von seinen Kindern, drei Mädchen. Das nächste wird ein Junge. Er ist schon ganz gespannt. Seine Frau Sabrina kenne ich noch von früher, allerdings nicht besonders gut, sie ist ein paar Jahre älter als ich. 





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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 17, 2019 ⏰

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