Drei

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Gelangweilt schaute Scarlett zwischen den Besuchern des Wildpark-Centers hin und her. Die meisten waren Touristen. Natürlich waren es Touristen. Der Wildpark befand sich in einer Kleinstadt mit nicht mehr als fünfhundert Einwohnern. Scarletts Zuhause.

Jeder, der hier lebte, war schon mindestens fünfmal im Park. Diese Leute hingegen... Allein schon, was sie anhatten. Die Führung beinhaltete eine zwei- bis dreistündige Wanderung und da standen doch tatsächlich Frauen in hohen Schuhen und Männer mit goldenen Uhren.

Kopfschüttelnd ging sie zum Infoschalter. "Hey, Riley.", begrüßte sie ihre Kollegin. Diese sah von ihrem Computer hoch. "Hey, Scar. Hab gerade gesehen, dass du heute für die Touristen eingeteilt bist. Viel Spaß!", sagte sie grinsend und drehte eine ihrer lilafarbenen Locken zwischen den Fingern. 

"Haha. Auf wie viele muss ich aufpassen?" Riley tippte kurz etwas ein. "Auf zweiundzwanzig." Scarlett stöhnte. "Na gut. Bis später." Riley war schon wieder in den Computer vertieft. "Bis später.", murmelte sie. 

Scarlett sah sich die Menge genauer an. Sechs Kinder waren darunter. Acht Familien, drei Pärchen und drei Leute, die scheinbar allein hier waren. Scarletts Blick blieb an einem jungen Mann hängen.

Er war ein, vielleicht zwei Jahre älter als sie. Seine sandfarbenen Haare waren kurz und sauber geschnitten. Seine blauen Augen betrachteten die anderen, als würde er jeden einzelnen analysieren. Er hatte ein kantiges Gesicht, das gut zu seiner abschätzenden Art passte. 

Scarlett wurde erst bewusst, dass sie ihn angestarrt hatte, als er ihren Blick erwiderte. Sie bemühte sich in eine andere Richtung zu schauen. Wie ein Schulmädchen drehte sie sich um und stellte sich vor die Menge.

"Okay, fangen wir an.", sagte sie laut. Als sich alle zu ihr umgedreht hatten, begann sie mit der üblichen Begrüßung. "Willkommen im Old Oak Wildpark! Mein Name ist Scarlett Anderson und ich werde sie heute durch den Park führen. Ganz kurz zu den Regeln: Die Tiere dürfen nicht gefüttert werden. Bleiben Sie auf den Wegen und entfernen sie sich nicht von der Gruppe. Vermeiden Sie bitte laute Geräusche und nähern Sie sich den Tieren nicht unerlaubt. Bitte achten Sie besonders auf die Kinder. Die Führung dauert zwischen zwei und drei Stunden. Wir legen zwei Pausen ein. Danke." 

Die Besucher folgten ihr nach draußen auf den Wanderweg. Es gehörte zu Scarletts Job ihnen hin und wieder etwas über den Wald und die Tiere zu erzählen. Sie kannte den Text längst auswendig. Doch schon nach den ersten zehn Minuten wurde sie unterbrochen.

"Verzeihen Sie, Miss. Aber sind Sie nicht etwas zu jung, um als Rangerin zu arbeiten?" Eine Frau Anfang Dreißig sah sie misstrauisch an. Es war nicht das erste Mal, dass sie das hörte. Sie setzte ein zugegebenermaßen falsches Lächeln auf und gab ihre übliche Antwort. "Ma'am, ich habe mich nach meinem Schulabschluss hier beworben und wurde als passend und geeignet angesehen." 

Die Frau sah sie weiterhin komisch an. Der Mann neben ihr legte einen Arm um sie und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Dann kicherten beide. Scarlett verdrehte die Augen und ging weiter.

Bei einem Feld liefen sie ein paar Rehen über den Weg. "Das ist wirklich langweilig, Brian. Warum hast du mich hierher geschleppt?", sagte die Frau von vorhin so laut, dass Scarlett es hören konnte. Sie verkniff sich eine bissige Antwort. Jemand anderes anscheinend nicht.

"Wenn es Ihnen hier nicht gefällt, dann können Sie ja gehen. Aber Vorsicht! Es wird bald dunkel. Nicht das Sie von einem der langweiligen Tiere angefallen werden.", sagte eine fremde männlichen Stimme. Die Frau wurde kreidebleich und der Rest der Gruppe brach in schallendes Gelächter aus.

Auch Scarlett konnte sich ein Kichern nicht verkneifen und drehte sich zu der Quelle der Stimme um. Es war der junge Mann aus dem Center mit den blauen Augen.

Rotkäppchen (Märchenadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt