Die verlorene Blume

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Sie ging in die Küche. Was sie sah, verwunderte sie. Statt ihrer geliebten Schwester, die sich um Sophie kümmerte, seit ihre Eltern gestorben waren, fand sie einen Brief. Neben dem Briefumschlag stand ein kleiner Blumentopf mit einer Pflanze, die sehr zerbrechlich aussah und auf dem Umschlag lag Geld. Zögernd öffnete Sophie den Brief. Was sie las, ließ ihren Atem für einen Moment stocken.

Liebe Sophie,
Es tut mir Leid. Ich konnte mich nicht von dir verabschieden, ich musste weg und du solltest nicht erfahren, wohin. Du musst mir glauben, dass ich es nicht böse meine. Du bist schon ein großes Mädchen, du bist fast erwachsen und ich bin mir sicher, dass du es alleine schaffst, ein schönes Leben zu führen. Auch wenn ich nicht weiß, ob ich dich, ob wir uns, jemals wiedersehen werden, bist du immer in meinem Herzen und ich werde dich nie vergessen. Ich kann dir im Moment nicht erklären, wieso ich weg bin, wohin und warum, aber falls wir uns eines Tages wiedersehen, bin ich mir sicher, dass ich es dir erklären werde. Die Blume ist für dich. Sie wird dich an mich erinnern. Bitte, sei nicht traurig, ich weiß, dass du das schaffst.
In großer Liebe
Anna

Innerlich zerbrach Sophie bei diesen Worten, doch sie wollte stark sein, so, wie es ihre Schwester gewollt hätte. Sie betrachtete die Blume. Was war es für eine Sorte? Sie würde es wohl nur herausfinden, wenn sie diese Blume großzog. Es war das Abschiedsgeschenk ihrer Schwester und Sophie wusste, dass sie den perfekten Platz für die Blume finden musste. Sie entschloss sich, den Blumentopf auf die Fensterbank im Wohnzimmer zu stellen. Dies war der Raum, in dem sie einen Großteil ihrer Zeit verbrachte. Außerdem war diese Fensterbank auch der Platz, an dem immer ein Bild ihrer Eltern stand. Es war Sophies persönlicher Ort, um sich an die Vergangenheit zu erinnern.

Wie immer versuchte Sophie auch wenige Wochen später, ihre Schwester zu erreichen. Doch Annas Handy war noch immer ausgeschaltet. Nachdem sie gefrühstückt hatte, ging sie zu der Fensterbank im Wohnzimmer. Sie sah das Bild ihrer Eltern und daneben die Blume, die allmählich immer größer wurde und schon lange nicht mehr so empfindlich wirkte, wie noch vor zwei Wochen. Und auch diesmal spürte sie, wie ihr beim Anblick der Erinnerungen an ihre verlorene Familie eine Träne über die Wange lief. Und wieder waren diese Fragen da, auf die Sophie keine Antwort fand.
Warum war Anna gegangen? Wo war sie? Werde ich sie wiedersehen, wenn ja, wann? Lebt sie überhaupt noch? War ihr Abschiedsbrief die Wahrheit?
Die vergangen Wochen waren der blanke Horror für Sophie. Nicht nur ständig diese Fragen. Neben den Aufgaben für Schule, die für Sophie sowieso nicht immer einfach waren, auch noch den Haushalt zu schmeißen, war ebenfalls eine riesige Belastung für Sophie. Sie fragte sich wirklich, wie Anna es immer geschafft hatte, sich neben Haushalt und Job auch noch um Sophie zu kümmern. War das etwa der Grund, weshalb Anna weg war? War ihr alles einfach zu viel geworden?

Die Blume wuchs und befand sich bereits in dem Blumenbeet im Garten. Sie war mittlerweile kräftiger geworden und Sophie konnte erkennen, dass es eine Rose war. In jeder Woche, jedem Monat der verging, sah Sophie, dass die Rose wieder ein Stückchen größer geworden war. Genauso wie Sophie. Sie hatte sich langsam daran gewöhnt, das alles auszuhalten. Sie hatte sich an den Gedanken gewöhnt, dass Anna sie sitzen gelassen hatte und Sophie sie wahrscheinlich niemals wiedersehen wird. Denn der Alltag ging weiter. Sophie ging jeden Tag in die Schule, kam nach Hause und machte sich etwas zu essen. Nachdem sie gelernt hatte, ging sie zu ihrer Arbeit, denn sie wusste, dass das Geld von Anna nicht allzu lange reichen würde. Abends musste sich Sophie dann auch noch um den Haushalt kümmern. Freizeit hatte Sophie in den letzten Wochen nicht. Bald würde das aber hoffentlich besser werden, wenn sie in einem Jahr endlich ihr Abitur machte.

Sophie sah mal wieder auf die Rose. Es wurde Herbst. Es war schon September. Anna hatte sie im März verlassen. Es war jetzt ziemlich genau ein halbes Jahr her und Sophie hatte immer noch nichts von Anna gehört. Lustlos ging Sophie auch an diesem Samstagmorgen zum Briefkasten. Er war ziemlich leer. Es war nur ein Brief. Es gab keinen Absender, doch der Brief war definitiv mit der Post gekommen, denn er war mit einer Briefmarke versehen. Sophie ging ins Wohnzimmer und öffnete den Brief vorsichtig.

Liebe Sophie,
Es tut mir Leid. Ich konnte mich nicht bei dir melden, aber ich kann bald nach Hause zurückkommen. Ich freue mich so, dich wiederzusehen. Ich hoffe, dass du immer noch auf mich wartest und mich nicht vergessen hast. Ich jedenfalls habe jeden Tag an dich gedacht und gehofft, dass es dir gut geht und du dich alleine zurechtfindest. Ich werde bald wieder zu Hause sein und dir alles erklären.
In großer Liebe
Anna

Sophies Herz machte einen Freundensprung. Doch im nächsten Moment wurde ihr schmerzlich bewusst, wie sehr sie Anna eigentlich die ganze Zeit vermisst hatte. Sophie hatte immer versucht, es zu verdrängen. An diesem Tag begann Sophie, alles auf das Wiedersehen vorzubereiten. Anna sollte das Chaos, das in der Wohnung entstanden war, nicht sehen.
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Hey, das ist meine Geschichte für den Schreibwettbewerb von PandagirlLulu. Ich hoffe, dass sie euch gefällt und mich niemand wegen dem Ende umbringt.

Die verlorene BlumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt