Nun war Marietta an der Reihe, dumm aus der Wäsche zu gucken. „Wie meinst du das?“, fragte sie verständnislos. Ian sah sie an. „Leider kann ich es dir jetzt nicht sagen. Molly kommt gleich hoch und sie wird sich fragen, was ein fremdes Mädchen in meinem Zimmer macht. Aber du kannst mir ‚Nachhilfe‘ geben, freitags, dann kann ich dir alles erzählen.“ Marietta nickte. Sie war gespannt, was sie am Freitag alles über ihren neuen Klassenkameraden erfahren würde. „Kannst du es mir zeigen?“, fragte Ian. Marietta war verwirrt. „Was soll ich dir zeigen?“ „Wie du dich verwandelst, das ist sicher spannend.“ Sie zögerte. „Okay. Wenn du willst. Ich müsste mich sowieso wieder in einen Vogel verwandeln, um nach Hause zu fliegen.“ Sie spürte Ians Blicke auf sich, als sie sich in eine Amsel verwandelte. Als das Werk vollbracht war, flog sie auf, zwitscherte: „Bis morgen!“ Und machte sich auf den Heimweg.
„Because I’m happy…“, ertönte Pharell Williams Stimme aus Mariettas Radiowecker. Marietta blinzelte und unterdrückte ein Gähnen. Mit zerzausten Haaren stieg sie aus dem Bett. Sie zog sich an und machte sich auf den Weg ins Bad, wo sie versuchte ihre Haare zu entwirren. Fertig gestylt stieg sie die Treppen hinunter und setzte sich an den Küchentisch, an welchem ihre Familie schon auf sie wartete. „Guten Morgen!“, begrüsste Antje ihre Tochter. Immer noch halb in der wunderbaren Welt des Schlafes versunken murmelte Marietta eine Begrüssung und begann Müesli in ihren Mund zu löffeln. Anschliessend machte sie sich schulfertig und stand wenig später vor Ians Haus. Unsicher berührten ihre Hände den Klingelknopf. Er fühlte sich kühl und rostig an. Über ihm hing ein kleines Schild, auf welchem mit geschwungenen Lettern van Braaten stand. Marietta seufzte tief, ihre Hand zitterte leicht und ein leiser Schauer kroch ihr über den Rücken, als sie auf den Knopf drückte. Nach wenigen Sekunden öffnete sich die Türe und eine kleine, leicht rundliche Frau streckte den Kopf in die kühle Morgenluft. „Hallo?“, fragte sie mit freundlicher Stimme, „Wer bist du?“ „Guten Tag!“, gab Marietta schnell zur Antwort, „Ich heisse Marietta und gehe mit Ian in dieselbe Klasse. Ich wollte ihn zur Schule abholen.“ „Oh!“, rief die Frau aus, „Dann komm rein in die gute Stube. Ian wird jeden Moment bereit sein! Er hat Glück, mit einem Mädchen, wie du es bist, in der Klasse zu sein. Ich hoffe, ihr werdet gute Freunde.“ Mit diesen Worten lief sie die Treppe hinauf um Ian zu holen und liess Marietta mit heissen Wangen zurück. Sie hoffte auch, dass sie und Ian gute Freunde sein würden. Vielleicht sogar ein bisschen mehr als Freunde, aber daran wagte sie nicht einmal in ihren schönsten Träumen zu denken. „Hallo Marie!“, rief Ian und kam polternd die Treppe hinunter. „Hallo Ian“, antwortete Marie. „Husch, husch, Kinder!“, rief Ians Mutter, „Sonst kommt ihr noch zu spät!“ „Ist ja gut Molly, wir gehen schon!“ Molly? Ist das nicht jene, welche auf keinen Fall von Camuns Besuch wissen durfte? Wieso versteckt Ian seine Besonderheit(was auch immer sie ist) vor seiner Mutter? Das ist doch nicht normal! Ich werde ihn darauf ansprechen, das kann einfach kein Zufall sein!
Schweigend trotteten sie nebeneinander dem Kanal entlang. Schliesslich brach Marietta das, ihr unangenehme, Schweigen: „Deine Mutter ist wirklich nett.“ „Von wem sprichst du?“, fragte Ian verblüfft, „Du kennst meine Mum doch gar nicht.“ „Was? Aber ich habe sie doch vorhin gesehen!“ Ian blickte sie einen Moment lang erstaunt an, dann legte er den Kopf in den Nacken und lachte laut los. „Molly ist nicht meine Mutter!“ „Wer soll sie denn sonst sein?“, fragte Marietta ungläubig. Ian blickte betreten zu Boden. „Das ist schwer zu erklären“, murmelte er. Marietta blickte ihn von der Seite an. „Ian. Wer bist du?“ Er wich ihrem Blick aus, das Geländer einer Brücke schien ihn plötzlich ungemein zu faszinieren. „Ich bin Ian van Braaten, Sohn von Jana van Braaten. Eigentlich wollte ich dir dies alles erst freitags erzählen, wenn wir ungestört sind. Weisst du, niemand darf wissen, wer ich wirklich bin.“ Er holte tief Luft. „Ich gehöre zu dem Volk der Kanali. Wir sind nixenähnliche Wesen und leben unter dem normalen Wasser der Kanäle. Meine Mutter ist Königin der Kanali, doch vor wenigen Tagen wurde sie auf geheimnisvolle Weise entführt. Der hohe Rat beschloss, dass es für mich sicherer wäre, eine Zeit lang in eurer Welt zu leben. So kam ich in deine Klasse. Camun ist eigentlich mein Diener aber zurzeit ist er mein Kundschafter und vertritt mich während ich hier bin.“ Marietta schluckte. Dies war wirklich eine besondere Vergangenheit, hingegen sah ihre eigene ganz einfach und kindisch aus. „Jetzt hältst du mich vermutlich für verrückt“, fügte Ian hinzu, doch Marietta ignorierte die Bemerkung. „Was sind Tenurkristalle?“ Ian holte tief Luft. „Tenur ist ein seltenes Gestein, welches nur in den Kanälen existiert. Dem Tenur wohnen magische Kräfte bei, unter anderem auch Klone erschaffen. HHHNatürlich kann man mit Hilfe von Tenurkristallen auch jemandem das Gedächtnis löschen, ihn seinem Willen unterwerfen und noch viel mehr.“ „Ach so!“, unterbrach ihn Marietta, „ Deshalb hast du Camun gesagt, dass du fast alle deine Tenurkristalle aufgebracht hast um Molly überzeugen zu können.“ „Du hast es erfasst.“
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unter Amsterdams Kanälen
FantasyMarietta würde am liebsten einfach ein ganz normales Mädchen sein, ohne die lästige ‚Gabe‘ die verursacht, dass die Person vor ihr brennende Haare hat, wenn sie wütend ist. Mehrere Male wünscht sie sich, dass ihr Vater noch bei ihr wäre, denn er hat...