Der kurze Spaziergang durch den Wald hat mir gut getan. Für mich gibt es, noch immer, nichts Schöneres, als die Gerüche und Geräusche des Waldes aufzunehmen. Da hat auch mein Tod nichts dran ändern können.
Auf Rains Rat hin, steh ich hier nun vor Marlons Hütte. Ich bin mir nicht sicher, was ich mir davon verspreche, aber ich wollte Marlon eh mal besuchen und mal schauen, wo er in der Nebelwelt zuhause ist.
Ich klopfe an seine Tür. Nichts. Klopfe nochmals, etwas zögerlich, denn ich möchte ihn nicht stören, falls er keinen Bock auf Besuch hat. Oder keine Zeit. Aber allem Anschein nach, ist er nicht zuhause.
Ich setze mich auf die Treppe, die zum Hauseingang führt und beschliesse zu warten.
Wie kann ich dieses idiotische Muster, das mich mein Leben lang schon verfolgt, durchbrechen? Warum nur, habe ich River verletzt, obwohl er genau das getan hat, was ich mir insgeheim gewünscht habe?
Nach einer guten Weile, sehe ich Jemanden den Weg entlang kommen. Es ist nicht Marlon. Auch ohne allzu genau hinzuschauen, erkenne ich ihn an seinem Gang. Und an seinen Bewegungen. River. Na toll!
Ich bleibe sitzen und warte, bis River bei mir angelangt ist. Meine Herz flattert und ich habe keinen Dunst, was ich sagen, was erhoffen, oder befürchten soll.
River betrachtet mich eine Weile und mir wird bewusst, dass auch er nicht weiss, wie er sich verhalten soll. "Ich nehme an, du hattest dasselbe vor wie ich? Mit Marlon sprechen?"
Statt etwas zu erwidern, nicke ich nur mit dem Kopf. Auch River verfällt in ein nachdenkliches Nicken. "Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass er nicht da ist, denn das Thema, über das ich mit ihm habe sprechen wollen, dreht sich sowieso um dich, Nina. Also kann ich genauso gut mit dir direkt sprechen."
"Okay..." Ich beisse mir auf die Lippen, eine dumme Angewohnheit, die ich aus der Welt der Lebenden mitgebracht habe.
"Was ist los, Nina? Versuch doch mindestens, es mir zu erklären, damit ich nicht wie der Esel am Berg stehe. Ich weiss, du hast mit Rain gesprochen, aber sie hat nur gemeint, ich müsse dich selber fragen."
River, der sich inzwischen neben mich auf die Treppe gesetzt hat, schaut mich zweifelnd an. "Lass mich nicht der Letzte sein, der erfährt, was das Problem ist zwischen uns, denn ich weiss, dass du mich magst. Daran kann's also nicht liegen."
Rivers Gesicht hat einen besorgten und dennoch liebevollen Ausdruck. Ich seufze. So ist es verdammt schwer, ihm zu widerstehen. "Natürlich mag ich dich. Sehr sogar und vielleicht ist genau dies das Problem"
"Wie wär's, wenn du mir das etwas genauer erklären würdest, Nina?" meint River, nachdem ich eine Weile geschwiegen habe.
"Es hat mit meiner Angst zu tun, die ich seit jeher habe, genau das zu verlieren, das mir am meisten bedeutet. Wie es der Zufall so wollte, hat sich diese Angst auch immer bewahrheitet bzw. es ist immer etwas wirklich Schreckliches passiert, wenn ich Jemanden in mein Leben gelassen habe."
River schweigt eine ganze Weile und scheint zu überlegen. "Es gibt keine Garantie, weder im Leben noch danach. Auch ich kann dir nicht garantieren, dass nichts passieren wird. Trotzdem, du kannst nicht immer davon laufen. Gewisse Dinge sind unvermeidlich und du weisst nicht, ob sie nicht so oder so passiert wären."
Was er mir da zu verklickern versucht, klingt ja ganz logisch. Logischer zumindest, als meine Angst. Trotzdem, fällt es mir nicht leicht, über meinen Schatten zu springen.
"Schau mal... das Gute ist doch, dass hier die schrecklichen Dinge, die uns noch passieren können, ziemlich eingeschränkt sind. Wir können nicht mehr sterben, können (meines Wissens wenigstens) keine schlimmen Unfälle haben, wir können sogar in einem brennenden Haus sitzen, wenn wir dies möchten, ohne dass uns etwas passiert." River versucht mich zu einem Lächeln zu bewegen und in Anbetracht seiner eigenen Geschichte verziehe ich tatsächlich den Mund zu einen leichten Lächeln, obwohl es ja nicht eigentlich lustig ist.
Ich spüre, wie meine Angst zu bröckeln beginnt. Vielleicht hat er ja Recht... Vielleicht ist das unsere Chance. An einem Ort zu sein, an dem man alles Schlimme schon hinter sich hat. Das meiste zumindest...
"Das Einzige, das wir nicht wissen, was niemand von uns weiss, ist, wie lange wir hierbleiben können oder werden. Manche sind Ewigkeiten hier, manche nur für eine kurze Zeit."
"Und wenn wir nächstens wieder auseinandergerissen werden?"
"Willst du wirklich auf etwas Wunderbares, das uns entgegen aller Erwartungen geschenkt wurde, verzichten, weil du Angst hast, es könnte irgendwann vorbei sein?"
Wieder kaue ich an meiner Unterlippe. "Ich weiss nicht. Klar, es klingt idiotisch, aber..."
"Schau mal Nina... mein Leben lang habe ich mich nie verliebt. Es ist mir einfach nie Jemand über den Weg gelaufen, der mich genug interessiert hätte. Ich hatte andere Dinge im Kopf als diese Gefühlsduseleien. Ich musste erst sterben, um zu erfahren, was Liebe ist. Seit ich dich das erste Mal gesehen habe, ist es um mich geschehen. Ich habe erst selber ne ganze Weile gebraucht, um zu verstehen, was da passiert. Aber irgendwann konnte sogar ich nicht mehr die Augen davor verschliessen. Und ich hab's lange versucht, das kannst du mir glauben." River zwinkert mir mit einem schelmischen Lächeln zu. "Rain hatte mich schon längst durchschaut, lange bevor ich es selber kapiert habe."
River schweigt eine Weile und fährt dann fort: "Und jetzt willst du mir erzählen, dass ich dich einfach so vergessen soll?"
Ich hole ziehe tief Luft ein. "Ich weiss, River. Aber es ist nicht so einfach!"
"Versuch es zumindest, Nina. Versuch es für mich! Für uns!"
Seuzfend lege ich meinen Kopf an seine Schultern, worauf er seinen Arm um mich legt. "Ok, ich werde es versuchen." Ich kann, auch ohne ihn anzuschauen fühlen, dass sich sein Mund zu einem glücklichen Grinsen verzieht, ehe er mir einen Kuss auf mein Haar verpasst.
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A/N: Bald, bald neigt sich die Geschichte dem Ende zu. Ich hoffe, sie hat euch bis hierher gefallen.Mir jedenfalls hat es grossen Spass gemacht, sie zu schreiben und euch als treue Leser mit dabei zu haben. Insbesondere auch wegen den Verwirrungen mit meiner anderen Geschichte "Flaschenpost". Ihr wart der Hammer!! :D :D :D
Nun freue ich mich schon bald auf neue Projekte und hoffe, den einen oder andern auch wieder mit dabei haben zu können!
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Mails hinter die Nebelgrenze #IceSplinters18 #teaaward2018 #GoldenAward_2018
Fiction généraleEine Sekunde. Eine klitzekleine Sekunde, die alles beendet. Die alles auf den Kopf stellt. Nina war eigentlich recht zufrieden mit ihrem Leben. Bis zu diesem Moment, der alles verändert, dem Moment, der sie aus dem Leben reisst. Wie soll sie dami...