Niemals

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Das Schloss wurde während einer Galafeier zu Ehren des ersten Todestag von König Simon von Unbekannten überfallen. Da ich mich allerdings außerhalb der Feierlichkeiten befand, um einem wichtigen Telefonat mit Ophelia nachzugehen - endlich hatte sie sich gemeldet - kam ich von dem Chaos nur zeitverzögert etwas mit.

Mein Jacket hatte ich bereits abgelegt. Ich nahm einen weiteren Schluck von meinem Gin und lauschte ihrer Stimme. Sie klang anders, irgendwie schwerer. Aber kein Wunder, schließlich hatten wir etwas gemeinsam - unsere Väter wurden getötet. Mein Vater von ihrem und ihr Vater von mir, indirekt. Aber dennoch - das werde ich mir nie verzeihen. Beichten kann ich es ihr aber auch nicht. Nicht heute - nicht bei ihrem ersten Lebenszeichen nach so vielen Monaten.

Ich leerte mein Glas mit einem weiteren Zug und ließ das Telefon sinken als plötzlich Marcus durch die große Flügeltür hineinstürzte, die Waffe im Anschlag. „Was zum ...? Marcus was soll ...?", doch weiter kam ich gar nicht. Er deutete mir mit dem Zeigefinger an seinem Mund an, still zu sein. Er packte mich an der Schulter und führte mich straffen Schrittes in die hintere Ecke des großen Dinnerzimmers, zu einem Geheimgang. In diesem war ich seit Kindertagen nicht mehr. Lenny und ich versteckten uns oft darin und lauschten den langweiligen königlichen Gesprächen mit offiziellen Gästen. Wir können noch immer wunderbar die bereits abgedankte Königin der Niederlanden nachäffen.

Kaum hatte mich Marcus in den Gang gestoßen, schlug er die Tür hinter mir zu. Ich bin davon ausgegangen, er würde mich zum Panikraum begleiten? Dann allerdings hörte ich laute Wortgefechte und die ersten Schüsse. Ich zuckte innerlich wie äußerlich zusammen. „Weiter!", befahl ich mir selbst. Ich wollte nach meinem Bodyguard, meinem Freund schauen, das Protokoll verbot es mir und so gleitete ich durch den engen und dunklen Gang.

Ich räusperte mich und rief mir den Lageplan der Gänge ins Gedächtnis. Rechts oder geradeaus. Immer geradeaus, natürlich! Ich räusperte mich erneut - vermutlich der Staub. Ich schluckte den Kloß im Hals hinunter und räusperte mich erneut. Die Fliege hatte ich bereits längst gelöst und in der Hosentasche verstaut. Das war nicht der Staub - mein Hals schwoll an! Instinktiv griff ich mir an die Kehle, riss die obersten Knöpfe des Hemdes auf und hielt für einen Bruchteil der Sekunde an bis ich realisierte, dass mir die Zeit davon rennt. Ich beschleunigte meinen Schritt und war unglaublich erleichtert als ich an der gusseisernen, dunklen Tür mit zwei Bodyguards als Wachen davor ankam. Ich konnte kaum sprechen - brauchte ich aber auch nicht. Die Tür ging sofort auf und ich stürzte hinein. Mir versagte die Stimme, die Stimmbänder wurden gnadenlos eingequetscht - meine Lunge zehrte nach Sauerstoff, aber es kam kaum noch welcher in dem Organ an. Jede Zelle in meinem Körper schrie förmlich nach Sauerstoff - aber statt diesem Wunsch nachgehen zu können, fiel ich auf die Knie, mit einer Hand auf dem Boden und einer Hand an der Kehle. Meine Augen füllten sich mit Tränen und versperrten mir so den Blick auf meine Schwester, die sich aus ihrer Deckenumhüllung vom Stuhl erhob und Jasper, der ebenso aufsprang und in eine kleine rote Kiste griff bevor er auf mich zugesteuert kam.

Lenny, mein Schwesterherz, kniete mittlerweile vor mir und nahm mich in den Arm, ich lehnte mich gegen sie, ich sank an ihrer Brust förmlich zusammen - die Kraft verließ mich. Sie weinte mir etwas ins Ohr, das spürte ich - aber hören konnte ich nur mein Blutrauschen. Dann merkte ich an beiden Schultern ein paar starke Pranken, die mich von der Prinzessin wegrissen und auf den Rücken schmissen. Mein Körper verkrampfte sich und ich rang verzweifelt nach Luft, aber da kam nicht mehr viel durch. Lenny saß zu meiner rechten und hielt meine Hand - vermutlich war ich gerade dabei ihre zu brechen, denn in mir war die pure Panik. Ich kämpfte mit dem Tod und wusste nicht, wie lang ich diesem noch standhalten konnte und wollte. Mein Hals wurde überstreckt, aber es brach keine Linderung. Es fühlte sich wie eine halbe Ewigkeit an bis Jasper sich über mich beugte „Kratz bloß nicht die Kurve, Liam!", drohte er mir und vergaß plötzlich seinen hart antrainierten britischen Akzent und vor allem das königliche Protokoll. Wenn ich nicht gerade an Sauerstoffarmut im Hirn gelitten hätte, hätte ich vermutlich gelacht. Er griff nach meinem linken Oberarm und rammte mir eine Nadel in den Arm, direkt durch das Hemd - ich ächzte vor Schmerz. Lenny hielt meine andere Hand als Antwort noch fester. Ich spürte ihre heißen Tränen an meinem Arm hinunter laufen und hätte sie so gern getröstet. Plötzlich wurde mir ganz wohlig, die Augenlider wurden schwer - vielleicht ist es einfacher los zu lassen, das ist die Chance dazu. Entspannen und dem Chaos entfliehen. Von weiter Ferne hörte ich meinen Namen schreien, von Jasper und Lenny. Meine Wangen zwiebelten - das tat weh. Was sollte das? Wer wagte es den Prinzen von Großbritannien zu schlagen? Und dann: in meinen Lungenflügeln breitete sich Sauerstoff aus, endlich, ganz tief - bis in das kleinste Bläschen. Es fühlte sich an wie beim Auftauchen nach dem Schwimmen. Mir war kotzübel, jeder Muskel in meinem Körper war verkrampft und ich hustete. Man half mir, mich aufzusetzen - noch bevor ich richtig realisieren konnte, dass es doch noch nicht das Ende war, sondern in der vermaledeiten langen Nadel, die mir Jasper in den Arm rammte, ein Gegenmittel zum tödlichen Gin drin war, hing mir Lenny schon um den geschundenen Hals. „Du Vollidiot, du wolltest mich doch wohl nicht etwa allein lassen mit den ganzen Chaoten hier", flüsterte mir Lenny ins Ohr. „Nein, niemals", versprach ich ihr und drückte sie fest an mich. „Niemals!"

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⏰ Last updated: Feb 18, 2018 ⏰

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