Jungkook war schon seit Stunden weg.
Seitdem er das Büro, wie er sagte, ‚kurz' verlassen hatte, war nichts mehr von ihm zu hören gewesen. Und wie ein Narr hatte Taehyung seinen Worten Glauben geschenkt, brav im Büro gewartet, um ihn erneut auf sein Verhalten anzusprechen und vielleicht... ja, vielleicht, um ihm endlich unter die Arme zu greifen. Bei was auch immer. Irgendetwas belastete den Jüngeren – und Taehyung könnte sich niemals verzeihen, sollte er nichts dagegen unternommen haben.
Niemals...
Doch Jungkooks ‚kurzzeitige' Abwesenheit zog sich deutlich in die Länge. Minuten waren zu Stunden geworden, Sonnenlicht zu Mondschein und Tag zu Nacht. Vielleicht war es naiv gewesen, auf den Jüngeren zu warten. Doch was sollte Taehyung tun? Er hatte es gesehen. Er war sich nun vollends sicher, dass Jungkook irgendeine ihm unbekannte Last mit sich trug, Sorgen hatte, denn der Jüngere hatte beim Antworten gezögert. Ein schlaues Köpfchen wie Jungkook hätte nicht gezögert – er hätte Taehyung vermutlich bloß so verwirrt angesehen, als wäre der Ältere nicht mehr ganz bei Verstand, und ihm dann ein paar hilfreiche Akten zu ihrem Fall vorgelegt. Undeutlich und verschleiert hätte er irgendwelche Schlussfolgerungen gezogen, ohne Anfang und Tatsachen vorher zu vermitteln.
Taehyung erinnerte sich noch daran, wie er den Jüngeren das Führen eines Verhörs lehren wollte. Und was hatte der Jüngere getan? Seine erste Frage an die Bekannte des Opfers war „wie nahe standen Sie ihm?" gewesen, und seine zweite Frage: „Haben Sie ihn umgebracht?"
Taehyung hatte ihm damals einen entsetzen Blick zugeworfen und war ihm weit unter der Tischplatte auf den Fuß getreten, als noch weitere unangemessene Fragen unaufhörlich über seine Lippen kamen. Anschließend hatte er ihn am Oberarm aus dem Verhörraum mit der verstörten Bekannten des Opfers gezogen und ihm gleich darauf eine hitzige Predigt gehalten. Was Jungkooks Antwort darauf gewesen war?
„Aber mit direkten Fragen konfrontiert man den Verdächtigen harsch und unerwartet, weswegen sie nicht nur Erfolg versprechen, sondern auch unnötige Zeitverschwendungen dämmen. Das ist doch effizienter, Hyung..."
„Kleiner", hatte er damals darauf geantwortet. „Ich weiß nicht, woher du das hast, aber solche indirekten Anschuldigungen sind in unserer Berufung gefährlich."
„Aber Menschen reagieren schneller darauf und widersprechen lieber, als dass, also, wenn es stimmt oder nicht stimmt... die Reaktionen sind dann leichter deutbar."
Ja, Jungkook widersprach oft. Doch wie mehr er von seiner Gedankenwelt preiszugeben versuchte, desto undeutlicher und zusammenhangsloser drückte er sich aus. Der Jüngere dachte stets, die Menschen könnten seine unausgesprochenen Gedankensprünge nachvollziehen, doch dem war nie so gewesen. Und das obwohl Taehyung zu den wenigen Individuen weit oberhalb des IQ-Durchschnittes gehörte.
Beim Gedanken an all die rhetorischen Pannen seitens des Jüngeren seufzte er entnervt und erhob sich von seinem ledernen Bürostuhl. Sie mussten noch daran feilen. Doch erst würde der Jüngere gleich am nächsten Morgen eine saftige Archivaufgabe für das Versäumen seiner Arbeitszeit bekommen. Oder zumindest versuchte Taehyung damit das mulmige Gefühl in seinem Inneren zu verdrängen, das ihm stets weiszumachen versuchte, irgendetwas würde nicht stimmen. Das Gefühl, welchem er das Däumchendrehen und Warten im Büro zu verdanken hatte.
Doch gerade als sich Taehyung zum Kleiderhaken reckte, begann sein Telefon zu klingeln.
Die aufweckenden Laute des Bürofestnetzes auf seinem tristen Arbeitsplatz durchbrachen die bedrückte Stille der Nacht und verliehen dem Puls des Älteren einen kleinen Kick. Das war äußerst kurios; die Telefone der Verwaltung sollten um diese Zeit eigentlich für die Zentrale nicht mehr zugänglich sein – sie konnten keine Anrufe mehr weiterverbinden. Die Direktwahl dieses Telefones hatte ebenfalls niemand, der nicht in diesem Gebäude arbeitete. Und dennoch, als Taehyung sich wieder seinem Platz zuwandte und durch die Dunkelheit zum Display des Gerätes spähte, zeichnete sich eine ihm unbekannte Nummer darauf ab. Eine Nummer, die laut den Zahlen gut einer Telefonkabine zugeordnet werden könnte.
Zögerlich näherte er sich wieder seinem grauen Arbeitsplatz, dessen Occasionsmöbel einer ehemaligen Treuhänderfirma gehört hatten, und ließ die Nummer dabei nicht aus den Augen. Unangenehm blinkte neben dem rechteckigen, dünnen Display ein rotes Licht, signalisierte den eingehenden Anruf zusätzlich. Und mit einem Mal wurde die Luft um ihn herum dick. In seinem Köpfchen schlugen die Alarmglocken und sein Magen drehte sich um, als würde sein Körper bereits wissen, dass dieser Anruf kein angenehmer werden würde.
Doch Taehyung wäre nicht das Ass der Spezialeinheit, würde er sich nicht trotzdem zu dem Gerät beugen und den Hörer aufheben, das verdrehte Kabel dadurch leicht anspannen. Ehe er sprach, presste er seine Lippen zusammen und schluckte.
„Wer ist da?", fragte er. Am anderen Ende der Leitung konnte er die Geräusche von vorbeieilenden Autos ausmachen, sogar einem Polizeiwagen, der kurz an der Telefonzelle vorbeigedüst sein musste. Doch was er noch viel deutlicher vernahm, war das Schluchzen. Der Anrufer weinte.
„Ich... ich bin es."
Und der Anrufer war Jungkook.
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Remember me ♛ VKook「50% Texting」
FanficKim Taehyung Ich vertraue dir nicht. Kim Taehyung Aber deswegen bist du noch lange kein schlechter Mensch. Unbekannter Bist du dir da wirklich so sicher? Kim Taehyung ? Wenn zwischen Mord und Totschlag Freundschaften entstehen, die eigentlich als Fe...