1* Gabriel

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1: Gabriel
Zusammengekauert saßen sie still schweigend in der kleinen Gruft. Das kleine Mädchen, das gerade erst ihren vierten Geburtstag gefeiert hatte, spielte ängstlich mit ihren zwei blonden, schulterlangen Zöpfen, die ihr über die Ohren hingen. Dabei wimmerte sie leise vor sich hin.
„Psst! Du musst leise sein, Nina. Sonst hören sie uns noch. Ganz ruhig“, flüsterte eine Frau in das Ohr des kleinen Mädchens und strich ihr beruhigend über den Kopf. Das kleine Kind namens Nina kuschelte sich fest an die Frau und hauchte zurück: „Okay, Mami!“
Beruhigt ließ die Mutter ihren Blick über die anderen Anwesenden schweifen. Trauer malte sich auf ihren Zügen ab, als sie ihre müden und erschöpften Mienen sah. Sie waren zu siebt. Sieben Leute, die sich in einer Gruft außerhalb der Stadt versteckten. Sich vor ihnen versteckten. Sie, das waren die Monster, die eines Tages in diese idyllische Kleinstadt eingefallen und fast alle Einwohner entweder getötet oder für ihre Zwecke versklavt hatten. Alle, bis auf diese acht hier. Irgendwie hatten sie es geschafft, sich zu verstecken. Jedoch war es nur eine Frage der Zeit, bis man sie finden würde. Das wussten sie auch. Zwei Wochen hockten sie nun schon hier und hofften auf ein Wunder. Alle paar Tage musste einer von ihnen in die Stadt gehen, um Nahrung und Getränke oder sonstiges zu besorgen.
Die Stadt wurde von den Monstern belagert. Daher war es jedes Mal sehr riskant für denjenigen, der sich dorthin wagte. Das Risiko, verfolgt und somit gefunden zu werden war stets gegenwärtig. Immerzu mussten sie darauf achten, in der Gruft nicht zu laut zu sein, um nicht die Aufmerksamkeit der 'Patrouille' auf sich zu ziehen. Besonders für die Jüngsten unter ihnen war es schwer.
Und weil es so gefährlich war, ging immer derselbe. Der Mann, der am meisten Erfahrung damit hatte. Nur er wusste, was diese Kreaturen waren und was sie vorhatten. Er war es gewohnt, leise zu sein wie eine Katze.
Er, das war Gabriel St.James. Die anderen wussten, dass sie, diese Monster, Dämonen waren. Sie wussten auch, dass Gabriel Damonenjäger war. Er hatte es ihnen verraten. Ebenso wie den Grund dafür, weshalb ihre heimelige Kleinstadt von ihnen überfallen worden war .
Ein älterer Mann, so um die sechzig Jahre alt, räusperte sich leise und stöhnte verhalten. Sein faltiges Gesicht war schmerzverzerrt und er zitterte. Alle Apotheken sowie das Krankenhaus wurden stets von den Dämonen bewacht. So natürlich auch die Ein- beziehungsweise Ausgänge der Stadt. Es war geradezu unmöglich, aus dieser Stadt zu fliehen. Nahrung und Getränke bekam man von überall her, wenn man nur vorsichtig genug war. Der ältere Mann war einfach alt und geschwächt. Gabriel wusste nicht, wie lange er es ohne Medikamente noch aushalten würde. Die restlichen drei der Gruppe waren zwei Frauen Mitte zwanzig und ein Mann, ungefähr in Gabriels Alter, also um die zwanzig. Der junge Mann war Ninas Vater. Die kleine Familie wurde, wie alle anderen auch, von Gabriel her gebracht.
•Die Wände der Gruft waren kalt und nass. Irgendwo aus einem Loch im Dach zog kalte Luft herein, und man hörte das nervige, aber anhaltende Tropfen des Wassers, das durchsickerte und am Steinboden sein Ende fand. Bei solchen Umständen war es nicht weiter verwunderlich, dass einige von ihnen kränkelten. Es war keine sonderlich anheimelnde Atmosphäre. Die schwarzen, feuchten Wände strahlten eine Kälte aus, die kaum auszuhalten war. Ein penetranter Schweißgeruch lag in der Luft, der den Anwesenden das Atmen erschwerte. Die Gruft bot keine zehn Quadratmeter Platz. Sie hatten also kaum Bewegungsfreiheit.
Heute war es wieder soweit. Zeit, um Essen zu besorgen. Ebenso Decken, wenn irgendwie möglich. Gabriel tapste vorsichtig in Richtung Türe. Er konnte nur im Dunkeln raus, sonst war die Gefahr zu groß, gesehen zu werden. Möglichst leise öffnete er die schwere, steinerne Türe der größten Gruft des Friedhofs und drehte sich noch einmal um. Im Licht des Mondes, das durch das kleine, schmutzige Fenster herein schien, sah er seine 'Schützlinge' nochmal an. „Sei vorsichtig!“, flüsterten sie ihm zu. In ihren Gesichtern standen Leid und Resignation, aber auch ein winziger Funken Hoffnung. Und dieser Funke Hoffnung war es, der ihm jedes Mal die Kraft gab, da draußen gegen diese Übermacht an Dämonen zu kämpfen.
Schnell trat er hinaus und schloss die Tür hinter sich. Zum Glück gab sie nicht den geringsten Laut von sich. Es gab Zeichen wie diese, da lastete die bedrückende Stimmung schwer auf ihm. So wie jetzt. Daher war er froh, der Gruft für eine Weile zu entkommen. Mit großen Schritten rannte er über den Friedhof, vorbei an alten und frischen Gräbern. Als er am ersten Gebäude ankam, pochte sein Herz wild in seiner Brust. Obwohl er ein erfahrener Jäger der dritten Generation war, wurde ihm jedes Mal flau im Magen, wenn er auf Mission ging. Es waren einfach zu viele Dämonen. Alleine hatte er keine Chance gegen sie. Er musste unbedingt unentdeckt bleiben, schließlich waren die anderen sechs Überlebenden auf ihn angewiesen. Er konnte es nicht verantworten, zu sterben oder gefangen genommen zu werden. Das würde ihren sicheren Tod bedeuten.
Gerade wollte er in eine Seitenstraße einbiegen, da hörte er etwas. Es klang verdächtig nach einer Frauenstimme. Mit krauser Stirn horchte er noch einmal genauer hin. Ja, es war tatsächlich eine Frauenstimme, die da um Hilfe rief. Irritiert hielt er inne. War das eine Falle? War es möglich, dass außer ihnen noch jemand nicht gefunden worden war und erst jetzt entdeckt wurde? Er konnte nicht anders, er musste einfach nachsehen. So leise wie möglich rannte in die Richtung, aus der die Hilferufe kamen.

Das Geheimnis von Water Hills *Leseprobe*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt