Der Trank

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  Astrids Sicht:

Unruhig tigerte ich hin und her. Shadrian versuchte beruhigend auf mich einzureden, aber ich blockte ihn gnadenlos ab und lief weiter unruhig im Höhleneingang auf und ab. Ischtuan saß neben Shadrian und täuschte Ruhe vor, doch an seinem leicht hin und her zuckenden Schwanzende konnte ich erkennen, dass auch er sich Sorgen um seinen Freund machte. Immer wieder hielt ich inne und blickte aus der Höhle. Langsam suchten meine Augen den klaren Himmel nach einem Zeichen meiner Freunde ab. Immer wieder kehrte ich enttäuscht zurück. Auch Shadrians liebevolle Blicke konnten nichts daran ändern, dass ich mich total mies fühlte. Und es gab eigentlich auch keinen Grund dafür. Schließlich war es nicht meine Schuld, dass sie die Körper getauscht hatten. Nein, das war definitiv nicht meine Schuld.

*Shadrian können wir ihnen nicht irgendwie helfen oder ... *

*Astrid, wir können nichts tun. Wir haben keine Ahnung, wo die Beiden sind. Außerdem zieht ein Unwetter auf, das spüre ich.*

*Aber dann müssen wir erst recht etwas tun.*

Plötzlich zuckten Bilder durch meine Gedanken und ich zuckte erschrocken. Es waren Bilder aus dem Albtraum, den ich letztens hatte. Ohnezahn und Hicks waren in einem Sturm unter Wasser gerissen worden und ich hatte ihnen hilflos beim ertrinken zusehen müssen. Aber das war nur ein Traum. Ein Albtraum zwar, aber zum Glück nur ein böser Traum. Oder war es doch die Wirklichkeit? Beunruhigt beobachtete ich die dunklen Wolken, die sich am Himmel bedrohlich immer näher heran schoben. Wie ein schlechter Vorbote hingen sie am Himmel und verdunkelten den Tag.

*Ach komm schon, Shadrian. Wir müssen etwas tun.*

*Nein Astrid. Es ist zu gefährlich.*

Erneut packte mich die Unruhe. Mein Fuß tippte immer wieder ungeduldig auf den Boden. Dann lief ich erneut zum Ausgang. Der Himmel war nun fast schwarz und der Wind jaulte durch das Tal. Blitze sah ich zwar nicht, aber trotzdem war es ein furchtbares Unwetter. Als ich nach draußen gehen wollte, war Shadrian plötzlich hinter mir und hielt mich zurück. Ich schmiegte mich an ihn und streckte dann langsam meine Hand aus. Meine Fingerspitzen wurden nass und der Regen war eiskalt auf meiner Haut. Hicks, bitte komm zurück. Ich liebe dich. Und ohne dich will ich nicht weiterleben. Meine Gedanken wirbeln durcheinander und ich versinke in Verzweiflung und Trauer. Wie in Trance sitze ich neben Shadrian im Höhleneingang und starre in den Himmel. Dass meine Kleidung nach kurzer Zeit feucht ist und mir kalt am Körper klebt, nehme ich gar nicht richtig wahr. Es ist, als wäre ich gefangen. Bewegungsunfähig hocke ich da, neben meinem besten Freund und warte auf ein Wunder. Als sich der Himmel, nach einer gefühlten Ewigkeit, langsam wieder klärt, sitze ich immer noch da. Ein blinzeln. Ein schwarzer Punkt am Himmel. Ein Zucken meiner Beine. Das alles passiert im Bruchteil einer Sekunde. Ich springe auf und kneife die Augen zu engen Schlitzen zusammen, um besser sehen zu können. Pures Glück fliest durch meine Adern, als ich erkenne, dass es tatsächlich Hicks und Ohnezahn sind.

Schnell kommt der schwarze Fleck näher und man kann die Beiden besser erkennen. Als sie landen, stürme ich auf sie zu und falle dem Nachtschatten um den Hals. Er gurrt freundlich, während Ohnezahn von seinem Rücken steigt. Schnell lasse ich Hicks los, doch ich spüre, dass mir bereits die Wärme ins Gesicht steigt. Bei Thor, ist das peinlich, ich bin bestimmt knallrot.

,,Kommt doch bitte rein" fordert Ischtuan uns drei auf und wir folgen sofort seiner Bitte.

Drinnen brodelt, in einem großen, schwarzen Kessel, schon eine seltsame grünliche Flüssigkeit.

„Ohnezahn, hol bitte die Zutaten" verlangt Ischtuan.

Ohnezahn geht zu Hicks und öffnet die Satteltasche. Er holt ein kleines Säcken und ein paar Blumen heraus.

„Wo ist der Aal?" fragt Ischtuan nach.

„Ich kann ihn nicht berühren." sagt Ohnezahn.

Schnell greife ich in die Tasche und hole das Tier heraus.

„Wirf ihn rein, Astrid:" sagt Ischtuan.

Ich nähere mich dem Kessel und halte mir, mit der freien Hand, Nase und Mund zu, weil diese verdammte Brühe furchtbar stinkt. Schnell werfe ich den Aal in den brodelnden Trank und dann trete ich schnell wieder zurück. Gerade als ich einen Meter entfernt bin, zischt der Trank auf und es steigen gelbliche Rauchschwaden auf, die über dem Kessel herum wabern. Die Brühe im Kessel verfärbt sich erst gelb, wird dann aber zunehmen dunkler, bis hin zu einem dunkelorange. Ischtuan packt hastig die Blumen mit dem Maul und befördert sie in den Kessel. Sofort hört es auf zu brodeln und die Blumen schwimmen auf der Oberfläche des, jetzt leicht violetten, Gebräus. Langsam sinken die Blüten ein und die Trankoberfläche kräuselt sich ganz leicht. Als letztes streut Ohnezahn den Knochenstaub hinein. Dort, wo der Staub den Trank berührt, wird dieser sofort mitternachtsblau, na ja eigentlich ist er eher schwarz. Die Schwärze breitet sich langsam aus und nach wenigen Sekunden ist alles komplett schwarz. Ischtuan weist Ohnezahn an, zwei Becher voll zu füllen und Ohnezahn gehorcht. Einen der Becher drückt er mir in die Hand.

„Du musst es Hicks ins Maul schütten. Er kann den Trank nicht alleine zu sich nehmen." sagt er.

Zitternd halte ich den Becher in der Hand. Ich habe Angst, dass es nicht klappen könnte. Was soll ich dann bloß machen? Ich liebe Hicks und wenn er ein Nachtschatten ist, wie sollen wir dann jemals zusammen sein?

*Ach das klappt schon * mischt sich Shadrian plötzlich ein.

Dann erklärt Ischtuan uns, mit ruhiger Stimme, was wir tun müssen:

„Hicks und Ohnezahn müssen den Trank gleichzeitig schlucken, habt ihr das verstanden. Sonst wirkt er nicht. Astrid, am besten ist es, wenn du nach draußen gehst, sobald du Hicks den Trank gegeben hast. Ich habe sowas noch nie zuvor selber miterlebt aber es muss wohl eine sehr unschöne Angelegenheit sein. Also wäre es besser, wenn du es nicht mit ansiehst." meint Ischtuan traurig zu mir.

„Ich bin stark. Ich schaffe das." werfe ich mutig ein.

Ich will meinen Hicks nicht hier allein lassen, wenn er vielleicht Schmerzen hat. Andererseits, kann ich es wirklich verkraften, ihn leiden zu sehen oder versuche ich gerade nur mir selber Mut zu machen?

Endlich ist es soweit, Ischtuan zählt langsam runter. Drei. Zwei. Fertig machen. Eins. Los. Das Wort hallt durch meinen Kopf. Ich schütte die Brühe in sein offenes Maul. Dann sehe ich Hicks tief in die Augen und ich kann in ihnen lesen wie in einem Buch. Er möchte, dass ich gehe. Er hat Angst um mich. Und ich glaube, er möchte nicht, dass ich ihn sehe, wenn er solche Schmerzen hat und so verletzlich ist. Ich kann das verstehen. Das würde ich auch nicht wollen. Leise ziehe ich mich zurück, Shadrian folgt mir. Nur Hicks, Ohnezahn und Ischtuan sind noch in der Höhle. Doch schon nach kurzer Zeit kommt auch Ischtuan nach draußen und sagt leise und mit tiefer geheimnisvoller Stimme:

„Es hat begonnen."
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Verkehrte Welt 1 - Die Kinder des Himmels [Httyd/Drachenzähmen leicht gemacht]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt