Kapitel 48 ~ How dare you?

5.1K 194 38
                                    

Gekränkt widmete ich mich wieder Doktor Phillips, der etwas überrumpelt Louis hinter her schaute. „Er hätte auch einfach vor der Tür warten können“, murmelte er in seinen Bart. Ich zuckte nur mit den Schultern und wartete darauf, dass er mit seinen Untersuchungen begann. Achtsam befreite er mein Handgelenk von der Schiene, doch ich zuckte trotzdem vor Schmerz zusammen. Als ich einen Blick auf die nun freie Stelle erhaschte, weiteten sich meine Augen. Mein Handgelenk war ziemlich angeschwollen, es war blau angelaufen und ging an einigen Stellen schon ins Lilane über. Vorsichtig betastete Doktor Phillips meinen Arm, was mich immer wieder ungewollt vor Schmerzen zusammen zucken ließ. „Es wird noch eine Weile weh tun, weswegen du die Schiene noch ungefähr zwei Wochen tragen musst. Wir machen an der Rezeption einen Kontrolltermin aus. Wenn alles gut läuft, kannst du sie vielleicht vorher abnehmen.“
Er kramte in seiner Tasche und überreichte mir kurz darauf eine kleine Tube. „Diese Salbe solltest du jeden Abend verteilen, sie lindert die Schmerzen und lässt die Schwellung zurück gehen.“ 
Ich nickte nur und begann abwesend mit meinen Beinen, die über der Bettkante hingen, hin und her zu schaukeln. Nachdem er mir die Schiene wieder umgebunden hatte, kümmerte er sich um die Platzwunde an meinem Kopf. „Das könnte kurz ziepen“, wies er mich darauf hin. Bevor ich wusste, was er meinte, hatte er das Pflaster schon von meinem Kopf gezogen. Ich wusste selber nicht, wie die Wunde aus sah, war aber auch nicht gerade wild darauf, es zu erfahren. Das brennende Desinfektionsmittel ließ mich scharf die Luft einziehen, weswegen er mich kurz entschuldigend anlächelte. Nachdem er auch dort ein neues Pflaster darauf geklebt und meine Rippen abgetastet hatte, ließ er endlich von mir ab. „Das alles sieht den Umständen entsprechend doch sehr gut aus. Wenn du die Salben regelmäßig benutzt, wird alles gut verheilen.“
„Danke“, lächelte ich. Ich schaute ihm kurz dabei zu, wie er all seine Sachen wieder zusammen packte, als mir noch etwas einfiel. „Wann darf ich denn aus dem Krankenhaus?“
Er löste seinen Blick von seiner Tasche und widmete seine Aufmerksamkeit wieder mir. „Wir behalten dich noch über eine Nacht zur Kontrolle hier. Wenn nichts passiert, wovon wir ausgehen, darfst du Morgen gegen Vormittag wieder nach Hause. Allerdings solltest du den Rest der Woche daheim bleiben.“
Erleichtert atmete ich aus und bedankte mich noch einmal, als er dabei war, das Zimmer zu verlassen. Endlich konnte ich hier wieder raus. Das einzige Problem war, dass ich nun nicht mehr in unmittelbarer Nähe von Harry war. Aber das würde mich nicht davon abhalten, ihn so oft wie möglich zu besuchen. Das Schuljahr war fast vorbei, vielleicht würden es meine Eltern dann auch nicht ganz so streng sehen. Und vielleicht würde Harry ja auch bald wieder aufwachen. Ganz sicher würde er das.

Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Handy und schloss es ans Ladegerät an, da es ausgegangen war. Sobald sich der Bildschirm erhellte, zeigte es mir sieben verpasste Anrufe und unzählige ungelesene Nachrichten an. Jeweils einer waren von meinen Großeltern, Louis und Marie. Die restlichen vier waren allesamt von Jade. Ich beschloss, die Nachrichten erst später zu lesen und erst einmal meine Eltern anzurufen. Nach zweimaligen Klingeln hörte ich die besorgte Stimme meiner Mutter. „Sarah? Ist alles in Ordnung?“
„Mir geht es gut.“ Ich hörte sie beruhigt ausatmen. „Aber dass alles in Ordnung ist, würde ich nicht sagen“, flüsterte ich erschöpft.
„Ist es wegen Harry?“, fragte sie vorsichtig. Auch wenn sie es nicht sah, nickte ich. Es dauerte etwas, bis ich meine Stimme wieder fand. Es fiel mir noch immer schwer, es laut auszusprechen.
„Er liegt im Koma“, wisperte ich tonlos. Am anderen Ende der Leitung war es kurz still.
„Ich weiß. Anne hatte mich heute morgen angerufen. Warst du schon bei ihm?“
„Natürlich. Ich habe alles versucht, aber – er wacht einfach nicht auf, Mama. Was soll ich nur machen?“ Ein erstes Schluchzen entglitt meinen Lippen.
„Schätzchen, sein Körper braucht einfach ein wenig Ruhe, damit die Verletzungen verheilen können. Er wird sicher bald wieder aufwachen.“ Sie versuchte, so ruhig wie möglich zu klingen. Und tatsächlich beruhigte es mich etwas, mit ihr zu reden.
„Wann bald? Ich schaffe es nicht ohne ihn.“ Ich hatte ihn doch gerade erst wieder. Ein ganzes Jahr waren wir getrennt und es war die Hölle. Ich wusste, ich würde das nicht noch einmal überstehen.
„Das musst du auch nicht“, versicherte sie mir. „Zweifel nicht daran, er wird wieder kommen.“
Ich kaute auf meiner Lippe, um die Tränen zurück zu drängen, die schon wieder in meine Augen traten. Es war wie damals, als ich nicht über Harry reden konnte, ohne glasige Augen zu bekommen. Nur dass er dieses Mal nicht freiwillig nicht bei mir war.
„Mum?“
„Ja?“
„Ich hab dich lieb“, nuschelte ich in den Hörer. Ich konnte mir genau vorstellen, wie sich ein liebevolles Lächeln auf ihre Lippen schlich.
„Ich dich auch, Mäuschen. Weißt du schon, wann du entlassen wirst?“
„Doktor Phillips meinte, ich dürfte Morgen Vormittag wieder nach Hause, wenn nichts vorfällt.“ Ich ließ mich in meine Kissen sinken und schloss für einen kurzen Moment meine Augen.
"Ruf uns an, sobald wir dich abholen sollen.“
„Mach ich.“ Ich hörte im Hintergrund meinen Bruder und meinen Vater reden, konnte allerdings nicht verstehen, was sie sagten. Ich wollte endlich wieder nach Hause. Krankenhäuser hatten immer eine so deprimierende Wirkung auf mich und dass Harry hier noch länger bleiben musste, verbesserte dies nicht gerade.
„Hast du Schmerzen?“ Meine Mutter klang nach wie vor besorgt, aber wahrscheinlich würde das jede Mutter, nachdem ihr Kind fast von einem Auto angefahren wurde.
„Ein bisschen, aber nur wenn ich mich bewege. Deswegen muss ich diese Woche auch noch daheim bleiben.“ Ich begann, mit den Enden meiner Decke zu spielen, während ich meiner Mutter zuhörte. Wir redeten noch eine Weile über alles mögliche. Sie gab ihr bestes, um mich abzulenken, und auch wenn Harry noch immer präsent in meinem Hinterkopf war, gelang es ihr ziemlich gut, wofür ich ihr wirklich dankbar war. Sobald wir aufgelegt hatten, fiel mein Blick auf das Tablett, dass Mandy vorher in mein Zimmer gebracht hatte. Unter dem Deckel kamen zwei Scheiben Brot und verschiedene Aufschnitte zum Vorschein. Erst als ich das Frühstück roch, bemerkte ich, wie hungrig ich eigentlich war. Mit wackligen Beinen machte ich mich im Gang auf die Suche nach einem Wagen, von dem ich mir etwas zu trinken holen konnte. Vor dem Büro der Schwester fand ich endlich einen und nahm mir eine Flasche Wasser sowie ein Glas mit, um mich danach wieder auf den Weg zu meinem Frühstück zu machen. Ich machte es mir so bequem wie möglich in meinem Bett und schaltete den Fernseher ein, um dieser unsäglichen Stille zu entkommen. Ich bekam nicht viel mit von dem, was ich gerade anschaute, da meine Gedanken immer wieder zu dem Gespräch mit Louis wanderten. Er war so kurz davor gewesen, es mir zu sagen und genau dann musste ja Doktor Philips stören. Klar, ich konnte ihm nichts vor werfen, da er ja nicht wusste, wo er gerade rein platzte, aber nerven tat es mich trotzdem. War Louis jetzt wirklich mit Kelsey zusammen? Oder hatte Harry Recht und es steckte viel mehr dahinter? Was auch immer es war, ich musste es raus finden.

Nachdem ich weitere drei Stunden meines Krankenhausaufenthalts mit allen möglichen Sendungen verbracht und mich gezwungen hatte, mein nicht gerade genießbares Mittagessen zu essen, klopfte es abermals an der Tür. Bevor ich denjenigen herein bitten konnte, stürmte schon Jade in mein Zimmer und fiel mir um den Hals. „Du lebst, Gott sei Dank, dir geht es gut. Warum hast du mich nicht zurück gerufen? Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!“, redete sie wie ein Wasserfall drauf los. Ihr Griff wurde immer stärker und ich spürte kleine Tränen, die auf meine Haut fielen.
„Jade … Luft …“, krächzte ich, woraufhin sie mich notgedrungen los lies. Tatsächlich liefen ihr vereinzelte Tränen die Wange herunter, die ich sofort weg wischte.
„Es tut mir Leid, ich habe nicht mehr daran gedacht“, entschuldigte ich mich ehrlich. Sie setzte sich zu mir aufs Bett und musterte mich kopfschüttelnd. „Was machst du nur immer für Sachen? Weißt du, was dir alles hätte passieren können? Und wo ist eigentlich Harry? Mit dem habe ich auch noch ein Hühnchen zu rupfen. Einfach so vor ein Auto zu rennen, wie könnt ihr nur?“
Als sie meinen verletzten Blick sah, hielt sie augenblicklich inne. Sie schaute mich verwirrt an, bis es ihr schließlich langsam zu dämmern schien. Sie griff nach meiner Hand und fuhr beruhigend über meine Haut. „Was ist denn genau passiert?“
Ich erzählte ihr alles, angefangen von dem Autounfall über den Abend, an dem er von dutzenden Ärzten umringt an mir vorbei aus dem Zimmer gebracht wurde, nachdem seine Herzfrequenz beinahe stillgestanden hatte, bis hin zu seinem jetzigen Zustand. Ich ließ nichts aus und Jade hörte mir einfach nur zu, die Hände vor Schreck vor ihr Gesicht geschlagen. Nur die Sache mit dem fast stattgefundenen Gespräch mit Louis ließ ich aus. Ich wollte vorher erst klären, was wirklich zwischen ihm und Kelsey war. Am Ende meiner Erzählung tropften erneut einige Tränen auf ihre Wangen. Schluchzend nahm sie mich in den Arm, fassungslos darüber, dass Harry im Koma war. „Er wird wieder aufwachen“, murmelte sie immer wieder vor sich hin, wie ein beruhigendes Mantra. Ich nickte einfach nur stumm. Wir alle waren überzeugt davon, dass er zu uns zurück kommen würde, keiner ließ einen anderen Gedanken zu.
„Willst du zu ihm?“, fragte ich, sobald wir uns lösten. Jade schwieg für einen kurzen Moment, ihr Blick entschuldigend abgewandt. „Ich weiß nicht“, sagte sie vorsichtig. „Ich denke nicht, dass ich das schaffen würde. Zumindest jetzt noch nicht. Ich glaube, ich muss das alles erst etwas verarbeiten.“
Verständnisvoll nickte ich, ich kannte das Gefühl, noch nicht bereit dazu zu sein, gut genug. Ich selber hatte genug damit zu kämpfen gehabt, seinen Raum zu betreten. Es war schwer, jemanden, der einem so viel bedeutet, so hilflos zu sehen. Geschwächt in dem weißen Krankenhausbett liegend, die Decken beinahe genauso weiß wie seine verblasste Haut.
„Ist okay, es ist deine Entscheidung“, lächelte ich. „Was habe ich in der Schule alles verpasst?“, fragte ich dann, um das Thema zu wechseln.
„Die Nachricht von eurem Unfall hat sich total schnell verbreitet, manche haben sogar gemeint, ihr oder der Autofahrer seien tot. Deswegen habe ich es auch nicht geglaubt, als ich gehört habe, dass Harry im Koma liegt. Ich habe gedacht, dass wäre nur ein Gerücht gewesen, wie alles andere auch.“ Verlegen strich sie sich ein paar Strähnen, die ihr wild ins Gesicht flogen, hinter ihr Ohr. „Selbst Kelsey war geschockt von der Nachricht, sie sah kurze Zeit sogar wirklich besorgt aus aber du kennst sie ja, das hielt nicht lange an und sie hatte gleich wieder ihren gleichgültigen Blick drauf. Zayn ist zu mir gekommen und wollte wissen, wie es dir geht, aber ich konnte ihm noch keine Antwort geben. Ich habe auch nicht sonderlich lange mit ihm geredet, weil Kelsey ihn zu sich gerufen hatte. Kaum zu glauben, dass er sich freiwillig mit ihr abgibt. Ansonsten verlief der Tag ganz normal, in Kunst hast du echt gefehlt. Mister Edwards hat sich auch nach dir erkundigt. Danach haben wir mit irgendwelchen Skulpturen angefangen...“
Ich lehnte mich in meinem Bett zurück und starrte an die Decke, während ich Jades Stimme lauschte. Es tat gut, sie hier zu haben. So war die Zeit im Krankenhaus wenigstens nicht ganz so trist. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie ihre Erzählung bereits beendet hatte, bis mich ihre Stimme wieder zurück aus meinen Gedanken holte.
„Woran denkst du?“
„An Harry“, murmelte ich. „Was, wenn er nicht mehr aufwacht?“ Es war das erste Mal, dass ich diesen Gedanken wirklich zu ließ und seitdem bekam ich ihn nicht mehr aus meinem Kopf. Ich brauchte einfach jemanden, mit dem ich darüber reden konnte.
„Hör auf. Du darfst diese Option nicht einmal in Erwägung ziehen. Er wird wieder aufwachen, okay? Ich weiß, du hast Angst, aber wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren. Es wird alles wieder gut werden, egal wie ausweglos die Situation scheint und egal wie abgedroschen diese Sätze sind. Es wird wieder alles gut werden, da bin ich mir sicher.“ Streng schaute sie mir in die Augen, ihr Ton und ihr Blick ließen keine Widerrede zu. Und ich war ihr dankbar dafür. Dankbar, dass sie die schlechten Gedanken erst gar nicht aufkommen ließ. Ich beugte mich zu ihr und drückte ihr einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange. „Danke. Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?“
Sanft lächelte sie mich an. „Ich dich auch, Süße. Aber ich muss jetzt langsam gehen. Wann kannst du hier raus?“
„Morgen, aber Schule bleibt bis Montag für mich tabu.“
„Bis Montag?“, fragte sie erschrocken. Theatralisch seufzte sie auf und schüttelte ihren Kopf, weswegen ihre Haare nur so um sie flogen. „Das kann ja was werden.“
Jetzt war ich diejenige, die ihren Kopf schüttelte, allerdings lachend. „Hör auf zu jammern. Ich habe ein geprelltes Handgelenk, geprellte Rippen und eine Platzwunde, glaub mir, dagegen kommst du nicht an.“
„Stimmt“, kicherte sie. „Aber ein bisschen Mitleid habe ich trotzdem verdient. Ohne dich ist es wirklich langweilig in der Schule.“
„Du wirst es überleben.“ Grinsend umarmte ich sie zum Abschied und wenig später war ich wieder alleine. Seufzend schnappte ich mir mein Handy und ging die ungelesenen Nachrichten durch. Die meisten waren von Klassenkameraden, die fragten, ob das mit dem Unfall stimmte und mir gute Besserung wünschten. Bei einer Nachricht blieb ich stehen und las sie verwirrt ein zweites Mal.
Gute Besserung. K. –
Die Nummer war unterdrückt und auch das K sagte mir nicht viel. Schulterzuckend widmete ich mich den anderen Benachrichtigungen. Ich hatte genug von irgendwelchen Zetteln und Nachrichten mit Initialen, die ich nicht zuordnen konnte. Wenn jemand etwas von mir wollte, sollte er es doch bitte persönlich tun.

The day you left meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt