Gut ist Nicht Genug

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Sakura schien einen Moment wie vor den Kopf gestoßen, ehe sie den Blick zu Boden senkte und sich auf die Kante des Bettes setzte. Hinata musterte ihre Freundin verwirrt. Sie wirkte so... geknickt. Hatte sie etwa schon wieder etwas falsch gemacht? Das konnte doch eigentlich nicht sein... Oder? Sie überlegte fieberhaft, was die Ursache für die Reaktion der Haruno sein könnte, als sie eine leise Stimme aus ihrer Gedankenwelt riss. „Das muss es nicht." Hinata erstarrte für einen Moment, ehe ihr ein Stein von Herzen fiel. Übersetzt hieß das wohl so viel wie vergeben und vergessen. Erleichtert setzte sie sich neben Sakura, jedoch mit geringem Abstand, und betrachtete diese. Sie saß zusammengesunken da, den Kopf gesenkt, die wirren Haare verdeckten ihr Gesicht. Ihre ganze Haltung vermittelte das Bild einer in sich gekehrten, verschlossenen jungen Frau und weckte in Hinata den Wunsch, ihre Freundin aufzuheitern. Sie wollte gerade den Mund aufmachen, als ihr etwas anderes einfiel. Es gab noch etwas, das sie belastete.

„Sakura?", fragte sie erneut. Die Angesprochene hob den Kopf und sah sie müde an. Hinata war verwirrt. Gerade eben hatte sie noch so energiegeladen gewirkt und nun sah sie aus, als ob sie seit gestern nicht geschlafen hätte. „Die Krankenschwester hat mich angerufen und mir gesagt, dass du aufgewacht bist. Und sie hat gemeint..." Sie biss sich zögernd auf die Lippe. „Was hat sie gesagt?", erkundigte sich Sakura. Hinata sah kurz in die Augen ihrer Freundin, ehe sie abwinkte. „Vergiss es. Ist nicht so wichtig." Abwehrend wedelte sie mit einer Hand in der Luft herum. Sakura runzelte die Stirn. „Na komm schon. Du hast damit angefangen, jetzt kannst du es auch zu Ende bringen." Hinata seufzte schwer, ehe sie unsicher den Blick abwandte. „Sie hat gesagt... Ich wäre eine gute Freundin von dir...", murmelte sie kaum hörbar.

„Ja, und?", erkundigte sich Sakura verwirrt. „Wo ist das Problem?" Der Mut verließ Hinata. Sie schüttelte heftig den Kopf und sprang auf. „Ist egal. „Willst du was trinken?" Sie hatte gerade einen Schritt getan, als sich kühle Finger um ihr Handgelenk legten. Hinata schauderte, ihre Nackenhaare stellten sich auf. „Hinata, bitte", erklang die leise Stimme ihrer Freundin. „Rede mit mir. Friss nicht immer alles in dich hinein." Ein ergebenes Seufzen entfuhr Hinatas Lippen, ehe sie sich mit gesenktem Blick wieder neben Sakura setzte. Irgendwie konnte sie ihr nie etwas abschlagen.

„Also?", forderte die Haruno sie zum Sprechen auf, nachdem beide eine Zeit lang geschwiegen hatten. Erneut seufzte die Schwarzhaarige, ehe sie stockend ansetzte. „Wir kennen uns jetzt schon ewig, Sakura-chan..." Erneut zögerte sie. Wie um alles in der Welt sollte sie ihrer Freundin beibringen, dass es sie verletzte, als ‚gute' Freundin bezeichnet zu werden? Dass es ihr nicht genug war? Würde es nicht furchtbar eingebildet klingen, wenn sie sagte, dass sie ihre besteFreundin sein wollte?

Ohne Vorwarnung legten sich zwei dünne Arme um ihren Hals. Überrascht hob Hinata den Blick, als Sakura sie in eine innige Umarmung zog. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, nur um danach umso schneller weiterzuschlagen. Das Blut rauschte ihr in den Ohren und etwas in ihr zog sich beinahe schon schmerzhaft zusammen. Sie ignorierte das Kribbeln in ihrem ganzen Körper so gut es eben ging, und erwiderte die Umarmung zögerlich. In diesem Moment war sie froh, dass Sakura ihr hochrotes Gesicht nicht sehen konnte. Tief sog Hinata den angenehmen Duft ein, der ihr entgegenschwappte und schauderte, als der Atem ihrer Freundin an ihrem Ohr vorbeistrich.

„Hinata, du bist meine allerbeste Freundin. Und du wirst es auch immer sein", flüsterte Sakura mit belegt klingender Stimme. Ein breites Lächeln legte sich auf das Gesicht der Hyuuga und sie fühlte sich unendlich erleichtert. „Das hab ich dieser blöden Krankenschwester auch gesagt. Mach dir nichts draus, wenn unzuverlässiges Personal dich anruft und dich als ‚gute' Freundin betitelt." Man konnte das Grinsen der Haruno förmlich hören. Leise lachend zog sie sich zurück. Hinata löste die Umarmung nur widerwillig. „Das ist ja fast schon eine Beleidigung", witzelte Sakura. Hinata versuchte, ihre Aufregung zu überspielen und grinste zurück. „Sollen wir das Krankenhaus verklagen?", schlug sie scherzhaft vor. Plötzlich wurde Sakura ernst.

„Auf alle Fälle", nickte sie. „Und wo wir schon mal dabei sind, legen wir ihnen auch gleich ans Herz, dass sie den Telefondienst durch einen Papagei ersetzen sollen." Einen Moment lang sahen sich die beiden an, ehe sie in haltloses Gekicher ausbrachen.

Ein überraschter Aufschrei entfuhr Sakura, als sich Hinata plötzlich ohne Vorwarnung gegen sie warf und sie erneut umarmte. Überrumpelt erwiderte die Haruno die Umarmung, wobei sie bemerkte, dass ihre Freundin zitterte. „Hinata?", flüsterte sie unsicher. „Alles in Ordnung?" Als Antwort erntete sie nur ein ersticktes Schluchzen. „Hinata, ist alles okay?", fragte sie erneut. „Oh Gott, Sakura!", schluchzte die Hyuuga gegen ihre Schulter. „I-Ich b-bin so froh, d-dass du w-wieder wach b-bist!" Beruhigend strich Sakura ihrer Freundin über den Rücken, wobei ihr die ersten Tränen über die Wangen liefen. „Ich auch, Hinata", flüsterte sie. Die Schwarzhaarige klammerte sich noch fester an sie und Sakura überlegte unwillkürlich, was jetzt wäre, wenn sie den Unfall nicht überlebt hätte. Oder wenn sie nicht mehr aus dem Koma aufgewacht wäre. Ohne Vorwarnung brach sie ebenfalls in haltloses Schluchzen aus, und so saßen die beiden Freundinnen da, in den Armen der jeweils anderen liegend, und weinten gemeinsam. So lange, bis sie keine Tränen mehr hatten.

Mit einem letzten, kleinen Schniefen löste sich Hinata von Sakura und rieb sich mit den Handballen über die verweinten Augen. Sakura strich sich die Tränen von den Wangen und räusperte sich. „Hinata? Kann ich bitte was zu trinken haben?" Hinata nickte. Auch ihre Kehle fühlte sich entsetzlich trocken an. Gemeinsam standen die Beiden auf und gingen aus dem Zimmer Richtung Küche, wo die Hyuuga zwei Gläser aus einem Schrank fischte und jedes mit Wasser füllte. Sakura trank ihr Glas in einem Zug leer und füllte es gleich noch einmal. Sie nahm einen großen Schluck und wandte sich dann mit leuchtenden Augen Hinata zu. „Du, sag mal... Was ist jetzt mit den T-Shirts?" Hinata zog eine Augenbraue nach oben. „Meinst du nicht, dass wir dafür schon zu alt sind?", entgegnete sie. Sakura schüttelte heftig den Kopf. „Bitte, Hina-chaaaan", quengelte sie. „Ich wollte ohnehin mein Zimmer streichen!"

Hinata überlegte einen Moment, ehe sie sich seufzend in ihr Schicksal ergab und nickte.

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