Eigentlich war fast alles so gelaufen, wie er es geplant hatte. Die Sache mit Stark und der Bombe war sogar ein unerwarteter Bonus gewesen. Trotzdem änderte es nichts an der Tatsache, dass seine derzeitige Situation eher unangenehm war und vermutlich noch sehr viel unangenehmer werden würde.
Im Moment befand sich Loki in einer Zelle in Asgard.
Er wusste, dass er hier nicht allzu lange bleiben würde. Anscheinend sollte er nach Midgard gebracht werden. Die Menschen waren der Meinung, dass er für Taten, die er auf der Erde verübt hatte, auch auf der Erde büssen sollte. Loki vermutete, dass die meisten Asen damit nicht gerade glücklich waren, aber sie würden sich wohl hinten anstellen müssen. Glück für sie, dass er unsterblich war.
Loki war bei diesen Verhandlungen nicht dabei gewesen, aber Thor hatte ihm davon erzählt. Es war der einzige Moment gewesen, in dem Loki ihm tatsächlich zugehört hatte. Die restliche Zeit liess er Thors täglichen Redeschwall einfach über sich ergehen.
Er musste Thor zugute halten, dass er nicht so schnell aufgab. Seit Loki inhaftiert war, kam er jeden Tag, um mit ihm zu reden.
Loki war, scheinbar im Gegensatz zu Thor, der Meinung, dass es für ein Gespräch in der Regel zwei Leute brauchte. Er trug immer noch die eiserne Fessel über dem Mund, so dass er Thor nicht antworten konnte, und da er an dessen Monologen nicht interessiert war, liess er seine Gedanken abschweifen, während Thor sich alle Mühe gab, zu ihm durchzudringen.
Es war sowieso immer dasselbe. Wieso er das getan hätte? Was er damit bezweckte? Wieso es nicht wieder so sein könnte wie früher?
Darauf hätte Loki nicht einmal antworten können, wenn er diesen verdammten Maulkorb nicht tragen würde. Noch nicht. Vielleicht nie. Thor würde seine Handlungen niemals nachvollziehen können.
Trotzdem kam Loki nicht umhin, zu bemerken, wie viel Mühe sich sein Bruder gab. Es verging kein Tag, an dem er nicht mehrere Stunden auf ihn einredete. Loki fragte sich ernsthaft, woher er die Geduld dafür nahm, denn er hatte ihn bisher nicht ein einziges mal mit einer Reaktion seinerseits belohnt.
„...denn dir läuft allmählich die Zeit davon. Morgen wirst du nach Midgard zurückkehren. Versuch es doch wenigstens!“
Die erwartungsvolle Stille, die sich ausbreitete, riss Loki aus seinen Gedanken. Thor sah ihn hoffnungsvoll an. Nicken oder den Kopf schütteln? Loki hatte keine Ahnung, wovon Thor gerade gesprochen hatte. Er entschied sich für gar keine Reaktion.
Thor seufzte frustriert.
Gut. Ein Punkt für ihn.
„Ich glaube wirklich, er würde dich anhören“, sagte Thor.
Loki war sich ziemlich sicher, dass Thor von Odin sprach, und er war sich sehr sicher, dass Odin ihn nicht anhören würde. Thor schien davon auszugehen, dass jeder so reagierte, wie er es tun würde. Loki wünschte, es wäre so. Thor hatte ein grosses Herz. Vielleicht kompensierte er damit, was ihm im Kopf fehlte. Aber Thor verstand nicht, dass die wenigsten Leute so waren wie er. Auf eine seltsame Art war das niedlich. Es war einfach unmöglich, Thor nicht zu mögen.
Thor sah immer noch zu Loki, merkte aber, wie jener schon wieder in seine eigenen Gedanken versunken war. Es war frustrierend. Jeden Tag hatte er auf seinen Bruder eingeredet, in der Hoffnung, ihm eine Reaktion zu entlocken, wenigstens einen Funken des alten Lokis wieder zu sehen. Aber da war nichts. Loki hatte ihn konsequent ignoriert.
Es war seine letzte Chance gewesen. Morgen musste er ihn zurück nach Midgard bringen, und dort war Loki auf sich allein gestellt. Er hatte getan, was er konnte. Kurz verspürte er den Drang, Loki bei den Schultern zu fassen und kräftig durchzurütteln, einfach um irgendeine Reaktion zu bekommen.
Schliesslich beschränkte er sich darauf, ihm zum Abschied kurz die Hand auf die Schulter zu legen. Er hatte sich dabei schon zur Zellentür umgedreht, deshalb bemerkte er nicht, dass er dieses mal tatsächlich eine Reaktion bekam. Loki hatte ihn überrascht angesehen.
Loki sass auf der Bank seiner Zelle. Man konnte es nicht Bett nennen, denn dazu gehörten nach Lokis Ansicht mindestens eine Matratze und nach Möglichkeit eine Decke und ein Kissen. Der Erbauer der Zelle schien anderer Meinung zu sein.
Die Tür fiel hinter Thor ins Schloss und Loki schaute ihm verblüfft nach. Er entspannte sich und merkte erst dadurch, dass er vorher angespannt gewesen war. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Bruder ihn anfassen würde, und ärgerte sich, wie er darauf reagiert hatte. Zum Glück hatte Thor es nicht gesehen.
Es war nur eine Kleinigkeit gewesen, doch wenn man bei Kleinigkeiten nachlässig wurde, dauerte es nicht lange, bis man auch grössere Dinge hinnahm, und schlussendlich würde es auf Dinge hinauslaufen, die Lokis Stolz nicht zuliess.
Es war einfacher, gar nichts an sich heran zu lassen.
Loki drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Kein grosser Unterschied. Es war stockdunkel in der Zelle.
Er wünschte sich, er müsste diesen verdammten Maulkorb nicht tragen.
Er konnte damit leben, dass seine Hände gefesselt waren und die Ketten seine Magie unterdrückten. Sogar damit, so verletzlich und schwach zu sein wie ein Mensch, aber er wünschte sich, er könnte sprechen.
Seine Stimme war schon immer seine stärkste Waffe gewesen.
Bei den Reichen, sie hätten ihm das Ding doch wenigstens abnehmen können, wenn er alleine in der Zelle war. Loki hätte sogar der Dunkelheit Geschichten erzählt, wenn er nur reden könnte.
Nun, vielleicht war es besser so. Die Wachen würden ihn für verrückt erklären. Obwohl, was spielte das für eine Rolle?
Die Gedanken überschlugen sich und er wollte sie rauslassen, wollte sie aussprechen. Das Gefühl machte ihn wahnsinnig.
Beruhig dich. Ruhig.
Loki schloss die Augen und atmete tief durch. Beruhig dich. Du wirst hier nicht ausrasten, nur weil du seit ein paar Tagen nicht sprechen kannst. So schwach bist du nicht. Sieh es als Übung an. Selbstbeherrschung. Darin bist du doch angeblich so gut? Es bringt nichts, den Kopf an die Wand zu schlagen. Das wäre jämmerlich. Und das bist du nicht.
Loki spürte, wie er sich langsam entspannte. Er atmete ruhiger und tiefer. Noch eine Nacht in dieser Zelle. Vermutlich wurde die Lage danach nicht besser, aber zumindest würde sie sich ändern.
Was er nun brauchte, war Ablenkung. Er liess seine Gedanken wieder schweifen, dieses mal weiter zurück, bis in seine Kindheit.
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Feel like a god
FanfictionThor bringt Loki zurück nach Asgard, doch Fury will, dass Loki seine Strafe auf der Erde verbüsst.