Natürlich hielt ich mich nicht an das Verbot vom Arzt. Vor Kurzem hatte ich mich nämlich an den Ausritt mit Bolero, Vito und allen anderen erinnert. Als wir damals über den Galoppweg gejagt waren. Und der Wunsch, endlich auf Vito zu galoppieren, war wieder in mir erwacht. Der Traum vom ersten eigenen Galopp auf meinem Pferd. Auf dem Pferd, dass ich selbst zugeritten hatte. In das ich so viel Liebe gesteckt hatte und wegen dem ich so gelitten hatte.
Kurzerhand hatte ich beschlossen, ich würde es heute machen. Seit der Vollmondnacht waren nun genau drei Tage vergangen. Es war Freitag in der dritten Woche der Sommerferien. Und ich war wahnsinnig aufgeregt.
Den Morgen verbrachte ich mit dem richten von Vito. Der Falbe musste glänzen, denn wir wollten den Galopp filmen. Rocheforts Reich freute sich garantiert, auch wenn nicht nur sie damit gemeint waren. Ich hatte eine Festplatte, auf der unser gesamter Werdegang filmisch dokumentiert war und ich war so froh darum.
Eine Stunde brauchte ich für meine Arbeit, doch es konnte sich sehen lassen. Vitos lange Mähne hatte ich noch mit Mähnenspray eingesprüht, sodass sie jetzt schön glänzte. Seinen Schopf hatte ich eingeflochten, sodass er nicht im Weg war, wenn wir galoppierten. Marion hatte unterdessen Aguilito gerichtet. Sie wollte Thorgal nicht noch mehr belasten und der Fuchs hatte einen ruhigen Galopp. Immerhin musste sie nebenbei noch die Kamera festhalten.
Während ich Vito geputzt hatte, hatte ich mich außerdem entschieden, ohne Sattel zu reiten. Klar, ich wusste, das war absolut gefährlich, da ich seinen Galopp ja gar nicht kannte, aber das war mir egal. An der Longe und beim Freirennen hatte ich ja schon gesehen, dass Vito keinen allzu schwungvollen Galopp hatte. Er war mehr der Typ, der flach, doch dafür richtig schnell galoppierte.
Schließlich holte ich seine Trense, die ich immer noch bewunderte. Ludo hatte vor Kurzem noch ein paar goldene Schnallen hinzugefügt, sodass die Trense jetzt ziemlich edel wirkte. Doch für den Winter würde ich ihm noch eine normale Dressur Trense kaufen. Die hochwertige, selbstgemachte, war mir eigentlich zu schade. Es war ja eine Showtrense. Vito folgte mir, als ich ihn auf den Hof führte. Dort wartete Marion mit Aguilito bereits. Chris und Rango standen ebenfalls etwas abseits. "Gehen sie auch mit?", fragte ich meine Freundin, die nickte. "Ja, aber sie werden ein bisschen hinterher reiten. Eigentlich wollten sie heute ausreiten gehen und da haben sie sich uns angeschlossen.", erklärte sie. "Kein Problem.", meinte ich nur. Vito machte sich rücksichtsvoll für mich kleiner, damit ich leichter auf ihn draufkam. Immerhin wollte ich ihm nicht in den Rücken fallen und meinen Fuß nicht belasten. Manchmal war er ganz schön ein Gentleman und manchmal dagegen, was eigentlich häufiger der Fall war, ein total fauler Teenager, der nicht mehr machte, als er musste. Und für diesen vielseitigen Charakter liebte ich ihn. Nie konnte ich genau sagen, was seine nächste Aktion war.
Marion hatte in einer Hand die Zügel und in der anderen Hand den Camcorder. So ritten wir vom Hof. Meinem Fuß ging es mittlerweile ein bisschen besser. Zwar konnte ich ihn immer noch nicht vollständig belasten, aber mit der Schiene konnte ich zumindest einigermaßen wieder laufen. Mein Pferd kaute locker auf dem Gebiss und ich ließ die Zügel durchhängen. Im Schritt ritten wir zu der Galoppstrecke.
Als wir schließlich am Anfang des Feldweges standen wurde ich immer nervöser. Das übertrug sich sogar auf Vito, der ungeduldig mit dem Huf scharrte. Aber auch er hatte ein bisschen Angst. "Was ist, wenn ich etwas falsch mache?", fragte er mich leise und ich kraulte ihm beruhigend den Hals. Dann beugte ich mich nach vorne. "Du machst schon nichts falsch. Alles wird gut gehen.", flüsterte ich ihm ins Ohr.
Sein Kopf drehte sich zu mir. "Aber was ist, wenn du runterfällst?", fragte er leise. Wie süß er sich Sorgen um mich macht, dachte ich schmunzelnd. "Vito, ich reite jetzt schon so lange. Selbst wenn ich runterfallen sollte, dann war es mein Fehler und nicht deiner. Lass es uns einfach genießen!", lachte ich, um meine eigene Nervosität zu überspielen. Marion hob die Kamera schließlich auf mich. "Läuft!", rief sie noch und ich drehte Vito so, dass wir direkt in die Kamera sahen. "Also, ihr da draußen. Ihr Arena Fans!", grinste ich, auf Deutsch, in den Camcorder.
"Das was ich jetzt mache, dürft ihr auf gar keinen Fall nachmachen. Vielleicht kennt ihr ja noch den hübschen Hengst hier.", meinte ich und deutete auf Vito, "Ihn habe ich selbst eingeritten und heute steht unser erster Galopp an. Also das ist auch für Vito eine Premiere. Es ist das erste Mal, dass er mit einem Menschen galoppiert. Normalerweise macht man das auch zuerst an der Longe, aber ihr wisst ja, ich habe einen Dachschaden.", ich schmunzelte.
"Also, nicht nachmachen! Auf gar keinen Fall. Das ist extrem gefährlich, weil ihr seht ja, ich sitze hier auch noch ohne Reithelm und Sattel. Wir filmen das Ganze jetzt. Dann könnt ihr ja sehen, ob ich das überlebe. Andererseits habe ich auch eine Bindung zu dem Pferd, die nicht jeder hat. Seine ganze Entwicklung unter dem Sattel habe ich selbst geführt und ich bin auch bisher die Einzige, die auf seinem Rücken sitzt. Also ich weiß schon, was ich hier mache.", erklärte ich und drehte mich dann von der Kamera weg. Jetzt war es endlich so weit. "Bereit?", fragte ich Marion noch und ich sah, dass sie nickte.
"Wir schaffen das, Vito!", sagte ich liebevoll zu meinem Hengst. Dieser tänzelte nervös über den lehmigen Untergrund des Feldweges. Ein letztes Mal holte ich tief Luft und gab Vito dann die Galopphilfen. Dieser sah mich nochmal fragend an und als ich zaghaft nickte, galoppierte er langsam aus dem Stand an. Er versuchte möglichst sanft zu sein, was ich auch merkte. Zuerst hatte ich mich noch in der Mähne festgehalten, doch es war nicht notwendig. Sein Galopp war noch viel besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Ein wenig schwungvoller, als ich dachte, aber es ließ sich wunderbar sitzen. Ich richtete mich weiter auf und federte die Bewegungen des Pferdes locker in der Hüfte mit.
Als ich mich endlich sicher fühlte, das war schon nach zwei, drei Galoppsprüngen, wurde ich auch entspannter und drückte Vito ein bisschen die Schenkel in den Bauch. "Du bist noch viel zu brav!", rief ich, "Ich falle nicht runter, galoppiere ruhig etwas wilder!" Das ließ sich Vito nicht zweimal sagen. Durch seinen Körper ging ein Ruck und er streckte sich im Wind. Sein Galopp wurde wie geheißen, schneller und mein Hengst zeigte, was in ihm steckte. Damit ich ihn nicht behinderte, beugte ich mich ebenfalls ein wenig nach vorne. Seine Mähne peitschte mir ins Gesicht und ich spürte die vielen Muskeln unter mir arbeiten. Da war wieder die Freiheit, die ich so sehr liebte.
Langsam ließ ich die Zügel aus der Hand gleiten und ließ endgültig los. Ich streckte meine Arme zur Seite, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Vito galoppierte immer noch und es tat so gut, endlich wissen zu können, dass man sein Ziel erreicht hatte. Naja, ganz erreicht hatte ich es nicht, aber ich war so weit, dass ich endlich sagen konnte, Vito eingeritten zu haben. Dieser Prozess von Einreiten zog sich über den Rest seines Lebens, denn immer lernte er dazu. Immer konnte ich ihm etwas Neues beibringen. Doch im Moment war ich einfach nur glücklich, auf meinem Pferd über den Weg zu jagen. Mein Kopf war im Moment einfach nur noch leer, das einzige Gefühl dass ich empfand, war die Liebe und das Vertrauen für mein Pferd. Und die Freiheit, die es mir brachte.
Alles andere war vergessen. Es gab nur noch Vito und mich.
Das Ende der Strecke kam viel zu schnell, aber ich wusste, dies war nur der Anfang unserer gemeinsamen Geschichte. Der Anfang einer Geschichte voller Vertrauen.
Mein Hengst wurde langsamer und verfiel schließlich in den Schritt. Er atmete schneller als vorher, aber er schien genauso glücklich wie ich es war. Erwartungsvoll drehte er den Kopf zu mir. "Und?", fragte er und ich fiel ihm überglücklich um den Hals. "Du bist das beste Pferd der Welt.", seufzte ich nur und kraulte ihn an der Brust. "Und du bist der beste Mensch der Welt.", antwortete er sanft.
------------------------
Anbei nochmal ein Bild von Vitos Showtrense
DU LIEST GERADE
Moondancer - Pferdemädchen
FanficDie Rache der Milady, Arenashow 2013. Eine Geschichte über Pferde, Trickreiten, Mario Luraschis Cavalcade und einem Mädchen, das nicht ganz so normal ist. Ein unvergesslicher Sommer steht Hanna, 17, bevor. Ihr größter Traum beginnt wahr zu werden, a...