Manchmal frage ich mich wie mein Leben wäre, wenn ich Malaikat nie kennen gelernt hätte, wenn ich an diesem Tag nicht zu meinem Lieblingsplatz, einem Keller am alten Güterbahnhof, gegangen wäre und wenn ich mich schlussendlich dort nicht in ihn verliebt hätte. Wäre es dann anders? Eigentlich soll ich mich mit dieser Frage gar nicht auseinandersetzen, denn was passiert ist, ist passiert, doch ich kann einfach nicht aufhören darüber nachzudenken. Aber das ist schließlich nicht die einzige Sache, über die ich mir Sorgen machen sollte, schließlich muss ich ihm auch noch irgendwie beichten, dass ich in morgen heiraten werde. Eigentlich steht die Hochzeit schon viel länger fest und ich wollte es ihm auch schon längst sagen aber immer wenn ich mich in seinen diamantblauen Augen verlor, hatte ich Angst den Moment zu ruinieren oder ihn einfach nur für immer zu verlieren. Ich konnte es nicht. Doch jetzt stehe ich hier, vor dem Eingang zu dem Keller, unserem Keller, und habe ihm noch immer nichts von der Hochzeit erzählt. Aber wie, um Himmelswillen, soll ich ihm erklären, dass ich einen 67 Jahre alten Scheich heiraten soll und wir aus diesem Grund keinen Kontakt mehr haben dürfen. Ich weiß es nicht, aber was ich weiß war, dass ich jetzt dort hinein muss, sonst ist es auffällig. Also öffne ich leise die Tür zu dem Kellergewölbe, in dem wir uns seit zwei Jahren regelmäßig trafen. Mittlerweile kann ich den Weg im Schlaf: Den Gang bis ganz zum Ende, dann die linke Tür und die Treppe hinunter. Vielleicht liegt es daran, dass ich seine Anwesenheit durch die, sich im Nacken aufstellenden, Haare spüre, aber bevor ich die Tür öffne weiß ich auch schon, dass er mich dahinter bereits erwarte. Er sitzt mit dem Rücken zu mir auf einem Mehlsack, aber als sich die Tür mit einem leisen Knarzen öffne, dreht er sich um. Ich bin, wie immer, geblendet von seinem Aussehen; seinen wunderschönen Augen, seinen schwarzen, kurzen Haare und seinen langen, dichte Wimpern. „Malaikat!", rufe ich und falle ihm überglücklich in seine ausgestreckten Arme. Eine Weile stehen wir dann so da und spüren einfach nur den Herzschlag des anderen. „Malaikat, ich muss dir etwas sagen...", flüstere ich in die Stille hinein. „Ja?", gibt er mir zu verstehen, dass er mir zuhört. Und ich erzähle ihm die ganze Geschichte, bis hin zu dem Tag, als ich dann an einen der reichsten Männer Indiens verkauft wurde.
Als ich fertig bin, starrt er mich geradeheraus an. „Du weißt, was das für uns bedeutet?", fragt er mich leise. „Ja.", gebe ich sanft zurück. „Wie lang wusstest du schon davon?" „Seit... einem halben Jahr." „Was? Das ist nicht dein Ernst.", erwidert er. Ich kann den Schmerz in seiner Stimme kaum aushalten. Diese Reaktion ist viel schlimmer, als der Wutanfall, von dem ich eigentlich ausgegangen war. „Es... tut mir leid, aber ich wusste einfach nicht, wie ich es dir sagen sollte und außerdem hatte ich Angst vor deiner Reaktion." „Du musst mir nichts erklären Bintang. Bitte geh einfach." Die Zärtlichkeit, mit der er meinen Namen sonst ausspricht ist auf einmal wie verflogen. „Aber ich kann doch nichts dafür, dass ich ihn heiraten muss.", gebe ich erschöpft zurück. „Nein, aber du kannst etwas dafür, dass du mir davor nichts erzählt hast." Und mit diesen Worten wendet er sich nun endgültig von mir ab und lässt mir eigentlich nichts anderes übrig, als zu verschwinden, also verlasse ich meinen Lieblingsplatz, der mich immer so stark mit ihm verband und laufe verzweifelt nach Hause. Wie konnte ich nur so dumm sein?! Ich hätte ihm viel früher davon erzählen sollen, aber was wäre dann? Hätten wir uns dann nicht mehr getroffen? Ich weiß es nicht.
Ich wache nicht wie üblich von dem Weckruf meiner Mutter auf, sondern von dem leisen Klopfen an meiner Tür. Die Sonne ist noch nicht einmal aufgegangen. Es ist noch ganz dunkel. „Herein!", rufe ich und gehe eigentlich davon aus, dass meine kleine Schwester Matahari ins Zimmer kommt, um sich zu mir zu legen und ein bisschen zu kuscheln, aber als sich die Tür öffnet, kommt eine zierliche Frau, in einem roten Etuikleid ins Zimmer und knipst sofort das Licht an. „Ach, du bist ja noch gar nicht wach. Na dann aber flott.", flötet sie meiner Meinung nach eine Spur zu fröhlich. Ich bin zu schlaff um etwas zu erwidern, also klettere ich stöhnend aus meinem Bett. Ich schaue an mir herunter: Ich trage die Klamotten des vorigen Tages. Ich war gestern einfach zu müde und erschöpft um mich umzuziehen. „Auf auf.", ruft die Stylistin, die ich schon von der Brautkleid Anprobe kenne, „Wir haben noch viel zu tun bis heute Mittag."
Ich musste geschlagene sechs Stunden auf die Hochzeit vorbereitet werden, doch wenn ich mich im Spiegel anschaue, sehe ich eigentlich gar nicht mal so schlecht aus: Meine schwarzen Haare wurden zu einer aufwendigen Steckfrisur nach oben gesteckt, mein Make-up ist dezent und natürlich, mein Kleid, ein Prinzessinnen Kleid mit langer Schleppe und Strass Steinen, bildet einen perfekten Kontrast zu meiner, von der Sonne gebräunten, Haut. Ich sehe umwerfend gut aus, aber innerlich bin ich ganz leer. Warum muss ich diesen Schaich unbedingt heiraten? Immerhin bin ich erst 16 und seinen Namen kenne ich auch nicht. Ich weiß noch nicht einmal, wie er aussieht. Aber gleich werde ich es wissen. Ich betrachte mich noch ein letztes Mal im Spiegel, bevor ich meinen Platz am Ende der Parade einnehme. Am anderen Ende wird mein Bräutigam auf mich warten. Schon allein der Gedanke lässt mich erschaudern. Ich laufe langsam den Gang durch die vielen Menschen hindurch. Ich biege um eine Ecke und finde mich plötzlich direkt vor ihm. Er hat braune Augen, trägt einen schwarzen Smoking und stützt sich auf einen Stock. „Hallo, Bitang.", sagt er.
Den größten Teil der Hochzeit habe ichhinter mir, doch jetzt kommt der Teil, in dem ich ihm meine Treue schwören muss. Ich werde langsam nervös. Ich kann das nicht. Ich liebe diesen Mann nicht und ich werden ihn nie lieben können. Ich will ihn nicht heiraten. Ohne darüber nachzudenken laufe ich, so schnell meine Beine mich tragen können. Bloß weg von hier, weg von diesem Ort, weg von diesem Mann. Ich laufe den Gang aus Menschen wieder durch, doch auf einmal kommt er mir viel länger vor als zuvor. Wahrscheinlich sind die alle zu verwirrt, um mich aufzuhalten, denn ich komme ohne Probleme an der anderen Seite wieder heraus. Dort steht eine Limousine und ich steige blitzschnell ein. „Zum alten Güterbahnhof bitte.", zittere ich, denn ich habe angefangen zu weinen. Wahrscheinlich muss ich dem Fahrer leidtun, wie ich da, wie ein Häuflein Elend auf dem Rücksitz sitze, denn er fährt ohne zu zögern los.
„Danke.", nuschele ich, als ich aus dem Auto aussteige, dann drehe ich mich um und renne los. Mein Ziel ist mein Keller, doch als ich dort ankomme, bin ich nicht allein. Er fährt erschrocken herum, als ich die Tür hinter mir zuknalle. „Was ist passiert?", fragt er besorgt und ich erzähle es ihm. Er hört mir bis zum Ende zu. „Es tut mir leid, dass ich dich gestern so angefahren habe, aber ich konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, dass du einen Andern heiraten würdest. Ich liebe dich doch, Bintang, aber es war einfach so verletzend, dass du mir nichts davon erzählt..." Ich unterbreche ihn mitten im Satz, ziehe ihn sanft an mich heran und küsse ihn. Der Kuss war viel zu schnell vorbei, doch ich wusste, dass wir uns einen Plan ausdenken mussten. „Was werden wir jetzt tun?", frage ich ihn. „Abhauen.", entgegnete er und zieht zwei Rucksäcke hinter seinem Rücken hervor. Meine Reaktion ist wahrscheinlich genau die, von der er ausgegangen war, denn er lächelt sanft und macht mir dadurch Mut. Er zieht ein T-Shirt und eine Jeans aus einem der beiden Rucksäcke und wirft sie mir zu.
Wir stehen oben auf dem Hügel. Unter uns die Schienen für die Züge und linkerhand die Stadt unserer Kindheit. Ich werde meine Eltern und besonders meine Schwester sehr vermissen, doch das kann so nicht weiter gehen und vielleicht werde ich ja irgendwann zurückkommen. Ich schaue verzweifelt zu Malaikat , doch dieser beseitigt mit seinem wunderschönen Lächeln nun auch den letzten Rest Ungewissheit in meinem Herzen. Wir schauen einander tief in die Augen und wissen: Wir können einander vertrauen. Solange wir zusammenbleiben, wird uns nichts passieren. Wir werden immer zusammenhalten, egal was dort draußen auf uns wartet. Was für ein Glück, dass ich ihn gefunden habe. Mit diesem Wissen, kehren wir unserer Vergangenheit endlich den Rücken zu und schauen zuversichtlich in unsere gemeinsame Zukunft.
Ich hoffe diese Kurzgeschichte gefällt euch. Schreibt mir doch einfach mal eure Meinung.
DU LIEST GERADE
Kurzgeschichten
Short StoryHier will ich verschiedene Kurzgeschichte hochladen, in denen es meistens um das Thema Liebe geht.