1. Kapitel

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Vanessa

Unsaft wurde ich geweckt. Eine kalte Hand fasste mir an den Arm und rüttelte schwer daran. Widerwillig öffnete ich meine Augen. Das Erste, was ich sah, waren die langen, kupferfarbenen Haare meiner besten Freundin, die ihre glatt über Schultern fielen.  Mein Blick wanderte zu ihrem Gesicht und somit zu ihren wunderschönen eisblauen Augen, die mich ernst ansahen. "Steh auf, sonst verpassen wir das Frühstück. " ,meckerte sie und zog mir schwungvoll die Bettdecke vom Körper. "Ey", protestierte ich und nahm mir meine Decke zurück, in die ich mich darauf wieder einkuschelte. Gerade als ich meine Augen schließen und weiter schlafen wollte, verschwand meine Decke erneut. Zitternd rollte ich mich zu einer Kugel zusammen. "Komm schon, ich habe Hunger. " , forderte Isabell (Spitzname Isa) mich ein weiteres Mal auf, aus dem Bett zu steigen. Und wie auf Kommando grummelte es in ihrem Bauch. Schlussendlich schwang ich dann doch meine Beine aus dem Bett und marschierte stampfend ins Badezimmer, das an unser Zimmer grenzte. Dort betrachtete ich mich eine Weile im Spiegel, der über dem Waschbecken hing, nur um festzustellen, dass ich mein jetztiges Aussehen, dass eines Zombies ähnelte. Meine blonden, eigentlich glatten, schulterlangen, gestuften Haare standen zerzaust von meinem Kopf ab. Mein Mund stand etwas offen und ich musste laut gähnen. Mit noch halb geschlossenen Augen suchte ich mir meine Zahnbürste und strich etwas Zahnpasta drauf, steckte sie mir in den Mund und schrubbte. Nach dem Zähneputzen wusch ich mein Gesicht mit klarem, eiskalten Wasser und vergrub es dann im Handtuch. Dann probierte ich meine Haare zu bändigen und band sie zu einem Zopf nach hinten. Als ich unser Gruppenzimmer wieder betrat, stand Isa schon umgezogen und topfit an die Zimmertür gelehnt und wartete sehnlich darauf, dass auch ich einmal fertig werden würde. Eilig tapste ich zu dem riesigen Kleiderstrank, der an der Wand, neben der Tür stand und suchte mir etwas zum Anziehen heraus. Ich schlüpfte in eine grau-blaue Skinnyjeans und zog mir ein T-shirt mit der Aufschrift Who cares über den Kopf. "Vanni!", drängte Isa.

Sie war schon über die Türschwelle getreten ,in den langen, endlos scheinenden Flur und setzte bereits den nächsten Schritt zum Gehen an. Ich verdrehte die Augen und lief genervt hinter ihr her. An gefühlten Tausenden von Türen, die in verschiedene Zimmer führten, schritten wir vorbei, auf dem Weg zum Gemeinschaftsraum, der ebenfalls zum Essen gedacht war. Kurz bevor wir ankamen, setzte ich ein fettes Fake-Lächeln auf und als wir dann vor der Gruppen von millionen Kindern standen, ließ ich ein höflich gestelltes Guten Morgen über meine Lippen gleiten. Der Ein oder Andere schaute zu uns auf, beschäftigte sich dann aber wieder mit seinem eigenen Zeugs. Isa zog mich an der Hand zum Buffet hinüber und bediente sich an den Kornflakes. "Leer!",stöhnte sie genervt auf. Tja, da hatten sich wohl ein paar Kinder vor uns dran bedient. Und es war nicht das erste Mal. Es passierte oft, dass wir leere Packungen vorfanden. Also würde das Frühstück heute mal wieder ausfallen. Wir hätten zwar noch ein steinhartes Brötchen von Vorgestern oder einen weiß beigen Brei, der so aussah, also wäre er schon mal verdaut worden, essen können, aber wir stritten ab. Dann lieber gar nichts.

"Los Kinders! Ab zur Schule!", schrie eine weibliche, dennoch tiefe Stimme durch den Raum. Isabell und ich rannten die Treppen in die nächste Etage hinauf, den schmalen, von weißen, kahlen Wänden umrandeten Flur entlang, bis zu unserem Zimmer, das wir uns mit fünf weiteren Kindern teilen mussten. Doch statt unsere Rucksäcke mit Büchern und Heften zu füllen, packten wir Drähte, Seile,Werkzeuge und andere Dinge, die wir so brauchten, ein. Mit schweren Rucksäcken verließen wir das Gebäude. So ziemlich alle Kinder, die ebenfall in dem Heim lebten, gingen jetzt zur Schule. Doch Isa und ich, wir suchten uns ein neues Opfer, Haus oder Laden, je nach dem, was wir brauchten.

Zur Zeit saßen wir im Park auf einer der Bänke und planten den heutigen Tag. "Ich habe hunger!", bettelte Isa verzweifelt. "Okay.", sagte ich entschlossen, sprang von der Bank auf und nahm sie an der Hand mit zum Bäcker. "Du lenkst ab, ich mache den Rest.", flüsterte ich ihr beim Gehen ins Ohr. Wir liefen aus dem Stadtpark, über die Straße, durch einige schmale Gassen zwischen den breiten Häusern und fanden in einer Seitenstraße eine kleine Bäckerei vor. Bei näheren Betrachten, stellte ich fest, dass in dem Laden nur eine Person hinter dem dicken Tresen stand. Perfekt!

Gemütlich betraten wir die Bäckerei. Beim Öffnen der Tür klingelte eine Glocke und wir wurden sofort mit einem herzlichem Guten Tag begrüßt. Mein Blick schweifte über die Leckereinen, die auf der Theke standen und ließen mir das Wasser im Mund zusammen laufen. Die verschiedensten Arten von Kuchen, Donuts, Torten und Brote waren vorzufinden. Es roch einfach himmlisch. "Essen", seufzte Isa verträumt. Auch wenn ich mir vor kam, wie im siebsten Himmel, verstetze ich ihr einen leichten Stoß in die Rippen. Sie funkelte mir wütend zu, doch verstand dann. "Entschuldigen Sie", fragte sie höflich und lächelte die Frau mit der Stürze ihr gegenüber an. Diese wendete ihr ihre Aufmerksamkeit zu."haben sie vielleicht noch Cupcakes?", fragte sie freundlich. Ihre Augen glitzerten und wurden mit jedem Wort größer. Die Frau blickte verwirrt drein. "Ich werd' mal nachsehen.", sagte sie und verschwand. Isa folgte ihr ein Stück, blieb am Türrahmen, durch den die Verkäuferin gerade verschwunden war, stehen und gab mir durch eine Handgeste das Zeichen, dass ich beginnen konnte. Leise stürzte ich auf die Andere Seite und tütete sämtliche Kuchen und kleine Törtchen ein. Ich erschrack und zuckte leicht zusammen, als die Stimme der Verkäuferin erneut ertönte: "Lieber Erdbeere oder Schokolade?" Isa schaute zu mir herüber. Ich schloss die Tüte und verstaute sie in meinem Rucksack. "Ehm... gar nichts von beidem, aber danke. Bye!", rief sie als Antwort zurück und mit einem zweiten Klingeln der Tür waren wir verschwunden und schlagen den Rückweg zum Park an. Als wir im Park ankamen, hörten wir freudige Schreie und das Lachen von Kindern, die mit ihren Eltern den Spielplatz in mitten des Parks, besuchten. Bei diesem Anblick wurde ich etwas neidisch. Ich hätte auch gerne solch eine Kindheit gehabt, doch ich wurde direkt nach meiner Geburt in die Babyklappe abgeschoben. Ohne meine Eltern auch nur einmal zu Gesicht bekommen zu haben. Und nun war ich hier gelandet, im Heim, für abgeschobene Kinder, ebenso wie Isabell. Mir machte es nichts aus, über meine Kindheit zu sprechen, im Gegensatz zu Isa. Ich hatte zwar keine schöne Bilderbuch-Kindheit, aber immerhin hatte ich ein Dach über dem Kopf und jede Menge an Spielkammeraden, obwohl mich die meisten der Kinder im Heim verachteten. "Ich habe HUNGER!" , wies sie mich nochmal lautstark drauf hin. Mit einem Kopf nicken holte ich die Tüte aus dem Rucksack und hielt sie Isa hin. Gierig griff sie nach einem der Kuchenstücke und steckte es sich in den Mund. Es brachte mich zum Lachen, wie sie sich das große Stück in den weitgeöffneten Mund quetschte. Ich aß gemütlich mein Stück Apfelkuchen und machte es mir auf der Bank bequem, streckte mein Gesicht der zum Glück scheinenden Sonne entgegen umd genoss die Wärme. Plötzlich piepte die Uhr von Isa. "Zeit zu Gehen", sagte sie mir bescheid. Sie hatte sich einen Wecker gestellt, der uns mitteilte, wann es Zeit war, sich wieder auf den Weg zu Heim zumachen. All die anderen Kinder hatten jetzt nämlich Schulschluss. Wir standen auf und gingen 'nach Hause'. Nebenbei aßen wir noch den letzten Kuchen, da wir beführteten, dass das Mittagessen heute ebenfalls ausfallen würde.

Es war 20:00 Uhr. In einer halben Stunde mussten wir im Bett liegen, das Licht aus schalten und leise sein, schalfen. Mit drei anderen Kindern standen wir im Badezimmer und machten uns bettfertig. Klara, ein Mädchen, dass in unserem Zimmer schlief, schmierte mir mit Absicht Zahnpasta auf den Arm und begann darauf zu kichern. Haha, wie lustig!*ironie* Ich wusch mir die Zahnpasta vom Arm und schaute sie genervt an: "Musste das jetzt sein?" Sie kicherte immer noch. Augenverdrehen verließ ich das Bad und legte mich ins Bett.

"Gute Nacht", murmelte ich ,noch bevor ich die Augen schloss und in einen tiefen Schlaf viel.

Can I call you home?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt