"Dass du so gut spielst, hast du aber nicht erzählt!"
"Ich hatte eben immer viel Zeit zum Üben.", gebe ich grinsend zurück. "Ich hatte ja keine Familie, mit der ich mich hätte beschäftigen müssen..."
Letzteres sage ich mehr zu mir sebst, als zu meinen Großeltern. Dennoch scheinen sie es beide gehört zu haben, denn kurz darauf finde ich mich in einer Umarmung mit den beiden wieder.
"Du wirst niemals wieder alleine sein, mein Schatz. Nie wieder! Das verspreche ich dir!"
Oma laufen schon die ersten Tränen die Wangen hinunter, die Opa vorsichtig wegwischt. Doch auch bei ihm sehe ich Tränen in den Augen.
Sie müssen mich sehr vermisst haben.
Sie müssen mich so sehr vermisst haben, wie ich sie. So sehr, wie ich meine Mama und meinen Papa vermisse.
Und wieder kommt in mir diese Frage auf, die mich schon seit dreizehn Jahren plagt:
Warum ist das alles passiert?
Den Tod meiner Mutter, den hätte wohl niemand verhindern können.
Aber bin ich es meinem Vater nicht wert gewesen, bei ihm zu bleiben? In einer richtigen Familie aufzuwachsen? Hat er mich jemals geliebt? Oder hat er mich nur akzeptiert, weil er meine Mutter geliebt hat und sie nicht verlieren wollte?
Ich verstehe es einfach nicht! Warum hasst er mich so? Was habe ich ihm getan?
"Ich ... ich muss hier weg ..."
Die Rufe meiner Großeltern nehme ich schon garnicht mehr wahr, so schnell bin ich in der Kabine verschwunden und habe meine Tasche gepackt. Draußen laufe ich ziellos umher, bis ich vor dem Friedhof stehe, auf dem meine Mutter begraben liegt.
Langsam gehe ich zu ihrem Grab und knie mich vorsichtig davor auf den Kiesweg. Die Tränen laufen mir unaufhaltsam das Gesicht hinunter und mein Schluchzen wird wohl kaum zu überhören sein.
"Ma- Mama ... Warum? Warum bist du nicht mehr bei mir? Ich brauche dich!"
Mit verweintem Gesicht sehe ich den Grabstein an.
"Ich liebe dich so sehr!"
Dann stehe ich wieder auf und verlasse den Friedhof in Richtung eines nahegelegenen Parks. Das, was ich jetzt mache, das darf ich nicht an ihrem Grab. Ich weiß zwar, dass sie immer bei mir ist, aber ich kann es nicht vor ihrem Grab tun. Das bringe ich nicht über's Herz.
In dieser Ecke des Parks ist niemand. Also setzte ich mich auf eine Bank und hole eine Klinge aus der Tasche.
Ich kann den seelischen Schmerz einfach nicht ertragen! Dieses Gefühl, nicht hierher zu gehören, niergendwo hinzugehören, ist einfach unerträglich.
Als das warme Blut über meinen Unterarm läuft fühlt es sich an, als würde mit einem Mal alles leichter sein. Der körperliche Schmerz überdeckt den seelischen einfach und lässt mich für einen kurzen Augenblick das Leid vergessen. Bald werden jedoch nur noch Narben zurückbleiben. Und der seelische Schmerz wird wieder zurückkehren. So war es schon immer und so wird es wohl auch immer sein.
Nach einiger Zeit packe ich meine Tasche wieder zusammen und mache mich auf den Weg zurück zum Hotel. Als wäre nie etwas gewesen öffne ich die Türen und blicke direkt in die Gesichter meiner Großeltern ...
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505 WörterKein Kommentar zu meinem Zeitmanagement. Ich arbeite daran.
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Spiel des Lebens
FanficDiese eine Nacht vor dreizehn Jahren, die alles für die damals dreijährige Sophia veränderte, verfolgt nicht nur das junge Mädchen aus Leverkusen. Immer wieder kommen in der Familie die Erinnerungen an die Zeit vor dem 26. September 2004 zurück - ab...