9. Kapitel

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Die nächste Station waren die Matten. Wir sollten einander in den Klammergriff nehmen und umlegen. Ich schluckte heftig, denn jeder sollte einmal mit jedem ringen.
„Wer fängt an?" Sam sah fragend in die Runde. „Luke machen wir als erstes zusammen?" Oh nein.
Er nickte. „Klaro."
Ich wagte es erst gar nicht, Jeff anzusehen. Auch wenn das eigentlich überflüssig war, da jeder ja mit jedem kämpfen sollte. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie er seine Muskeln spielen ließ. Ich versuchte so konzentriert wie möglich den Kampf von Sam und Luke zu beobachten und mir ein paar Tricks zu merken, was mir vor Aufregung kaum gelang.
Zwei Minuten später lag Sam am Boden. Sie stöhnte, ob vor Schmerzen oder Enttäuschung war schwer zu sagen.
Luke machte eine Siegerpose. „Yeah! Jetzt seid ihr dran!" Er grinste Jeff und mir zu. Ich versuchte locker zu wirken, doch ich hatte das Gefühl, dass es mir nicht wirklich gelang.
Jeff lockerte seinen Nacken und dehnte sich kurz. „Die Kleine erledige ich mit Links.", rief er Luke so laut zu, dass ich es hören musste. Dieser Mistkerl!
Wut brannte in mir auf. Ich würde es ihm zeigen. Dieser Idiot würde hier nicht als Sieger rausgehen! Ich knurrte leise. Sam nahm das wahr, aber sagte nichts. Jeff stellte sich in Angriffsposition und grinste schief. Ich tat es ihm gleich. Wie auf Kommando rannten wir zwei Sekunden später gleichzeitig aufeinander zu. Dummerweise war ich nicht die Muskulöseste, weshalb er mich direkt umlegte.
„Ich geb ihr noch ne Chance!", sagte Jeff großzügig, als er von mir ließ.
Ich rappelte mich wütend auf. Ich gab nicht auf, nicht jetzt!
Er lachte und rief als wir gegenüberstanden: „Hey Süße, gib doch gleich auf. Ist besser für dich. Ich tu dir sonst noch weh!" Das war zu viel für mich. Ich brüllte, überrascht von mir selbst, was auf einmal in mich gefahren war, und sprang auf ihn zu. Einen Augenblick später hatte ich statt Händen Krallen, statt Zähnen Reißzähne und statt Füßen Pfoten. Ich fiel über Jeff her und erwischte ihn mit meiner Klaue im Nacken. Er schrie auf. Ich nahm wahr wie jemand „Chris!" schrie, wahrscheinlich war es Sam. Ich achtete nicht darauf. Ich warf Jeff zu Boden, doch einen Wimpernschlag später war auch er ein Werwolf - Ein schwarzer Wolf mit blitzenden gelben Augen. Ich musterte ihn kurz überrascht. Im Hintergrund waren Schreie zu hören. Er versetzte mir mit seiner Pranke einen Stoß in die Rippen. Ich jaulte vor Schmerz auf. Der hatte gesessen. Ich schüttelte ich um das Pochen zu verjagen und fiel ich erneut über ihn her.
„Hey! Auseinander!", donnerte eine so tiefe Stimme, dass sie nur von Chris sein konnte, plötzlich. Ich dachte jedoch nicht daran. Jeff scheinbar auch nicht. Er biss sich in meinem linken Bein fest und schien in naher Zukunft nicht loslassen zu wollen.
Auf einmal riss jemand uns auseinander. Ein großer, sehr muskulöser Wolf stand knurrend und fauchend zwischen uns. Das dunkelbraune Fell glänzte im Schein der Neonleuchten. Chris.

„Oh mein Gott, das war so krass!", rief Sam lautstark auf dem Weg zu Mathe. Nach dem Trainingszwischenfall hatte Chris den Unterricht frühzeitig beendet und uns gehen lassen. Ich glaube, er war verdammt sauer auf Jeff und mich.
„Du hattest dich gar nicht mehr unter Kontrolle!" Luke wirkte beeindruckt und zugleich etwas eingeschüchtert.
Ich lachte leicht. „Ja, das passiert."
Das passiert? Da bist du aber die Einzige!", rief die Schönheit, Sams dunkelhäutige Freundin, namens Mary-Ann.
„Sie ist ja auch erst seit kurzem ein Werwolf." Rosa, das andere Mädchen vom Tisch, hakte Mary-Ann lachend unter. „So waren wir doch früher auch."
Der Matheraum befand sich im Obergeschoss und da alle ihre Kurse wechselten, wurde es ziemlich voll in den Fluren und auf der Treppe. Sam führte uns zielsicher bis zum Unterrichtsraum, wo der Lehrer schon wartete und ungeduldig mit den Fingern aufs Pult trommelte.
„Da kommen ja die Herrschaften!", rief er und schlug lautstark das Mathebuch auf. Der würde ganz sicher nicht mein Lieblingslehrer werden, so viel war klar.
Wir setzten uns  schnell. Dabei pochte meine Wunde am Bein, die Chris notdürftig verbunden hatte. Ich biss die Zähne zusammen, obwohl der Schmerz mir beinahe die Tränen in die Augen trieb.
Da Sam neben Rosa saß, nahm ich mit Luke vorlieb, der in der letzten Reihe links saß. Ihn schien meine Gesellschaft kein bisschen zu stören - Im Gegenteil.
„Das ist Mr Parks, so ziemlich der strengste Lehrer überhaupt. Da sein Gehör nicht mehr bis in die letzte Reihe ausreicht, kann man hier nahezu ungestört reden.", informierte mich Luke mit einem Augenzwinkern.
Ich versuchte ein Lächeln. Klar, Luke war nett, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, er wollte was von mir. „Wo seid ihr gerade in Mathe?", fragte ich um solche Themen zu vermeiden und beim Wesentlichen zu bleiben.
„Heron-Algorithmus.", antwortete er. „Nicht gerade spannend, wenn du mich fragst."
Mr Parks redete vorne vor sich hin und notierte einige kompliziert aussehende Rechnungen. Zum Glück hatten wir das Thema schon auf meiner alten Schule gehabt. Er notierte eine Rechnung. Das war leicht, ich hatte sofort die Lösung.
„Hey", murmelte Luke. „Ziemlich cool, wie du vorhin Jeff erledigt hast. Er wäre beinahe durchgedreht." Er lachte leise.
„Erledigt würde ich nicht sagen ...", schob ich ein. Das war mir irgendwie unangenehm.
„Ich schon. Selbst ich hätte ihn nicht so angreifen können und ich kenne ihn und somit auch seine Kampfart schon seit einer Ewigkeit."
„Mr Jenson! Sie wissen doch sicher die Lösung, wo Sie doch so aufmerksam dem Unterricht gelauscht haben!", rief Mr Park. Alle waren augenblicklich still. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
„Ähm ..." Luke schien nicht die geringste Ahnung zu haben. „Ich ... äh ..." Er rang die Hände und wurde rot.
Ich legte meine Hand über meinen Mund, als würde ich angestrengt nachdenken und flüsterte Luke „3,57" zu.
„3,57 ist die Lösung.", beantwortete Luke Mr Parks Frage.
Der sah säuerlich drein. „Richtig.", knirschte er und wand sich wieder der Tafel zu.
Luke atmete merklich neben mir auf. „Puh, danke! Ohne dich hätte er mich jetzt richtig zusammengeschissen. Mr Parks hat mich irgendwie auf dem Kieker. Immer wenn keiner die Antwort weiß, nimmt er mich dran."
„Kein Problem!" Klang das zu sehr nach Ich-steh-auf-dich? Bitte nicht!
Luke lächelte mich an. „Sitzen wir beim Mittagessen zusammen?"
Ok, es klang zu sehr danach.

Werwolfsnacht - Die Chroniken von IntoriaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt