Warum war ich noch hier?

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Nur ich blieb zurück. Chris hatte sich wieder neben mich gestellt. "Und du willst bleiben?" Es klang weniger wie eine Frage, als wie eine Feststellung. "Nicht bei dir. Nessa, können wir reden?" Nun war ich es die Vanessas Blick suchte. "Komm mit", sprach sie mit leicht verletzlicher Stimme wie ich sie noch nie gehört hatte. Wir liefen zu großen, hängenden Netzen wobei Vanessa vor einem stehen blieb. Ich stellte mein Rad ab und folgte ihr in dieses. "Das ist Gonzos. Er meinte ich könne es mit benutzen", fing sie schließlich leicht verträumt an. Ich lächelte ebenfalls leicht. "Du magst ihn wirklich oder?" Sie nickte. "Liebst du ihn auch?" Mit der Frage hatte sie nicht gerechnet. Kurz sah sie mich an, ehe sie ihren Blick runter gleiten ließ. "Ich... Ich weiß es nicht. Er ist süß, so wie er es tut wurde ich noch nie behandelt, ich fühle mich bei ihm wie ein anderer Mensch", gab sie schließlich nach längerem Überlegen von sich. "Warum bist du nicht mitgekommen? Du hättest von den Kerlen wegkommen können. Nicht mehr bei ihrem Kinderkram mitmachen", fragte sie mich nun,"Wegen ihm, oder?" "Was? Nein. Ich stehe immer noch nicht auf ihn. Er ist doch ein genauso großes Kind wie die anderen auch. Wie kommst du überhaupt auf so einen Mist" Schon seit längerem behauptete sie ich wäre verknallt, doch ich schwöre bei den heiligen Fußballgeistern das ich es nicht bin. "Eure Blicke sagen alles. Er sieht dich genauso an, wie du ihn" "Was?", nun musste ich lachen," Er schaut mich an, wie eine Nervensäge?" Vanessa schüttelte grinsend den Kopf. "Du wirst schon noch sehen, das mit euch beiden wird was", meinte sie ehe sie wieder ernst wurde,"Du hasst mich nicht, weil ich weg bin?" "Warum sollte ich? Ich kann es verstehen das man Auszeit von den Kindern haben will, doch das hier ist das falsche für mich. Aber wenn du glücklich damit bist" 

Vanessa und ich sprachen noch eine Ewigkeit zusammen. Bis ich auf die Uhr sah und aufschreckte. "Verdammt! Ich muss noch meinem Vater helfen. Tut mir leid Nessi und ich entschuldige mich jetzt schon mal für die Aktionen die noch kommen werde. Ich weiß zwar nicht was, aber es wird bestimmt nichts intelligentes sein" "Schon gut" Zum Abschied lächelte sie mich noch einmal an, bevor ich endgültig verschwand. 

Zuhause angekommen schmiss ich mein Rad achtlos in eine Ecke und rannte die Treppen hinauf. Als ich die Wohnung betrat sah mein Vater mich leicht sauer an. Er stand gerade in der Küche und machte anscheinend Abendessen. "Elena du solltest schon vor einer halben Stunde hier sein. Ich brauche deine Hilfe", fing er auch schon an mich anzumeckern. "Tut mir leid", murmelte ich,"Hab die Zeit vergessen" "Das nützt jetzt auch nichts mehr, du kannst auch sofort wieder runter gehen. Der Hof muss noch aufgeräumt werden, dein Bruder darf später die alte Halle aufräumen. Der hat sie schließlich mit seinen Freunden ruiniert" "Geht klar" Ich verließ wieder die Wohnung und lief die Treppe runter. Im Hof angekommen fing ich an den Kleinmist ,der überall rum lag, wegzuräumen. Eher schmiss ich ihn in die passenden Ecken. Den ganzen Tag hatte ich alles unterrückt. Klar hatte ich mich gefreut als wir die Kohle bekommen hatten. Aber ich hatte nicht wirklich die Chance meine Wut über die Dummheit der Jungs rauszulassen. Das konnte ich nun mehr oder weniger. Und als ich endlich fertig war holte ich meinen Ball und lief in eine der Lagerhallen. Die über gebliebene Wut krachte an die Wände. Der Ball flog nicht mehr, er knallte gegen alles was in seine Bahn kam. Und all das tat gut. 

Komplett erschöpft lief ich in die Wohnung. Mein Vater musste noch irgendetwas regeln und Michi war wahrscheinlich kleine Kinder tyrannisieren. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es auch gerade erst halb sieben am Abend war. Gedankenverloren schnappte ich mir meinen Block und verschwand zu den einzigen Ort wo ich ungestört sein konnte. Auf das Dach. Wie immer stieß ich die schwere Tür auf, wie immer wehte der Wind meine Haare um mein Gesicht. Für einen kurzen Moment sah ich nur braun, bis ich meine Haare gebändigt kriegte. Ich setzte mich in meine übliche Ecke und zeichnete gedankenverloren. Ich merkte nicht mal was ich zeichnete, alles was zählte waren meine Gedanken. 

Am nächsten Tag trafen wir uns alle im Teufelstopf. Schon am Morgen wurde all möglicher brauchbarer Schrott geliefert und so saßen wir alle verteilt auf dem riesigen Schrotthaufen. Abwartend sahen wir zum Eingang, nur noch Leon und Deniz fehlten. "Was kam gestern eigentlich mit Vanessa raus?" Doch ich blieb ruhig. Am Boden sitzend lehnte ich mich gegen irgendein Brett, welches hinter mir lag. Meine Beine hatte ich von mir gestreckt und übereinander gelegt. Auch wenn ich meine Augen geschlossen hatte, so spürte ich die stechenden Blicke der anderen. "Frag mal lieber deinen Bruder", gab ich schließlich abwesend von mir. Marlon blieb ruhig. Er wusste wohl genau, dass es sinnlos wäre, etwas aus mir raus zubekommen. Innerlich konnte ich die anderen sehen, wie sie starrend auf die anderen warten. Ich schreckte leicht auf, als ich Leons befehlerische Stimme vernahm. "Los bewegt euch! Wir haben eine Menge zu tun" Doch keiner rühte sich. Lediglich machte ich meine Augen auf und blickte ihn emotionslos an, wie wir alle. Ungläubig drehte er sich von einem zum anderen. "Kacke verdammte", stieß er aus," Was ist mit euch los?" Ja, was war mit uns los? Vielleicht hatten wir einfach keine Lust. Das Spiel schien ohne Vanessa aussichtslos. Und vor allem ich hatte kein Bock mehr. Die Jungs hatten gezeigt, wie viel ihnen Mädchen bedeuteten. Also warum war ich noch hier? Ehrlich gesagt wusste ich es selbst nicht. 

"Wo ist Vanessa?", holte Marlon mich schließlich aus meinen Gedanken. "Was meinst da damit?", giftete Leon seinen Bruder an. Beim dreibeinigen Nachtmonster. Der Typ bräuchte mal ein Hirn. "Wozu brauchen wir ein Stadion, wenn wir am Samstag verlieren?", fragte Juli ihn. Doch Raban ließ Leon gar nicht erst antworten. "Dann gibt es Die Wilden Kerle nicht mehr" "Weil wir dann bis zum jüngsten Gericht nur noch sowas wie das hier basteln werden" Maxi hielt Leon irgendein seltsames Metallteil ins Gesicht, was wohl einen Engel darstellen sollte. Etwas angewidert nahm dieser das Teil in die Hand und betrachtete es erst von allen Seiten. "Das werdet ihr nicht", erhob sich seine Stimme selbstsicher,"Nicht solange ich euer Anführer bin" Damit schmiss er das Ungetüm von Metall weg. 

Fragt mich nicht wie er es angestellt hatte, doch wir alle wollten nun das Stadion zu einem richtigen machen. Wir wollten nicht in einen Bastelverein für Weihnachtsschmuck eintreten. Wir hatten besseres mit unserem Leben vor. Auf gar keinen Fall durften wir aufgeben, so feige würden wir niemals sein.

Ella-Der Sturm kommt näherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt