Alone

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Ein leises Klicken erklang, als ich den Schlüssel langsam im Schloss umdrehte und sie mit letzter Kraft aufstiess. Der Boden knarzte vor sich hin, während ich müden Schrittes ins Haus hineinstolperte und die Schuhe in einer fliessenden Bewegung auszog. Mit letzter Kraft schleppte ich mich in die Küche um mir ein Glas Wasser einzugiessen. Nach mehreren grossen Schlucken stellte ich das Glas zurück auf die Küchenzeile und sah mich um. Auf dem Herd lag eine dünne Staubschicht, da ich ihn seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt hatte. Es lohnte sich eben einfach nicht, für eine einzige Person zu kochen.
Kurzum beschloss ich, endlich wieder einmal das ganze Haus zu putzen. Erstens hatte es das wirklich nötig und zweitens würde es mich von meinen, fast schon krankhaften, Sorgen um Rouven ablenken. Mit mehr oder weniger neuerlangter Motivation rannte ich schon fast in Richtung der Abstellkammer und zog eilig einige Putzutensilien hervor und lief zurück in die Küche. Den Eimer stellte ich unter den Wasserhahnen und drehte diesen voll auf.
Als erstes nahm ich mir die Küche und den Rest des Hauses vor, bevor ich mit festen Schritten auf das Wohnzimmer zu ging. Wieder quietschte die Tür leise auf, was mich aber kaum mehr störte, da ich dies jetzt schon über zwei Jahre lang jeden Tag zu hören bekam.
Sofort als ich den Raum betrat, schlug mir eine, man könnte schon fast sagen, traurige Stille entgegen. In der Küche hatte wenigstens das Radio leise vor sich hin gedudelt, aber hier war es mucksmäuschenstill. Wehmütig dachte ich an die vielen Abende, an denen Rouven und ich auf der Couch gekuschelt und einfach nur herumgeblödelt hatten. Um nicht schon wieder in Tränen auszubrechen, verdrängte ich diesen Gedanken schnell wieder und widmete mich den staubigen Bücherregal vor mir.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, die dennoch viel zu kurz war, war ich endlich an der Kommode angekommen und sah mir die Fotos an, die ich darauf platziert hatte. Das Eine zeigte mich mit meinem Zwillingsbruder Caleb, kurz nach unserem 18. Geburtstag. Beide hatten glücklich gelächelt, obwohl ich genau wusste, dass es bei Caleb an seiner Freundin hinter der Kamera lag. Die Beiden waren nun schon seit zwei Jahren verheiratet und ich sah sie nur noch ab und zu, da sie in einen anderen Bundesstaat gezogen waren. Mein Blick schweifte weiter nach rechts und blieb schliesslich bei meinem Lieblingsfoto stehen. Das Bild war schlichtweg perfekt.
Es zeigte Rouven und mich genau in dem Moment, als er mir die schönste Frage stellte, die man sich von der Person die man liebt, vorstellen kann. Ich stand da, mir Tränen in den Augen und dem glücklichsten Grinsen im Gesicht, während er vor mir kniete, mit einer kleinen, blauen Schachtel in der Hand. Meine Augen suchten automatisch nach dem kleinen, funkelnden Ring an meinem Finger und ich versicherte mich, dass er auch wirklich noch an seinem Platz war.
Eigentlich hätte ich jetzt aufstehen und mit der Arbeit fortfahren sollen, aber mein Blick wurde wie magnetisch von dem Bild ganz hinten angezogen. Ich hatte es mit Absicht dort hingestellt, da ich den täglichen Anblick einfach nicht mehr ertrug, es aber auch einfach nicht wegräumen konnte. Und obwohl ich wusste, dass ich kurz vor einem mentalen Zusammenbruch stand, hob ich meine Hand und nahm mit zitternden Fingern den Bilderrahmen hervor. Das Foto zeigte ihn in seiner Uniform, kurz vor dem Abschied, welcher nun schon über sieben Monate her war. Sein strahlendes Lächeln und diese vertrauten haselnussbraunen Augen, die vor Stolz geradezu glänzten, verursachten einen kleinen Stich in meinem Herzen, da ich noch nicht einmal wusste, ob ich Rouven je wiedersehen werde. Ein kleines Schluchzen drang über meine Lippen und ich wusste, dass es so schnell nicht wieder aufhören würde. Bald schon liefen die Tränen mir in Massen über die Wangen und ich machte mit nicht einmal die Mühe, sie wegzuwischen, da unaufhörlich neue nachkamen. Nicht mehr im Stande etwas vernünftiges zu tun, kauerte ich mich weinend auf dem Teppich hin und presste das Foto gegen meine Brust.
Irgendwann musste ich wohl weggedämmert sein, denn das Klingeln des Telefons lies mich aufschrecken. Nicht im Stande die Nummer mit meinen vom Weinen verquollenen Augen zu entziffern, hielt ich mir den Hörer ans Ohr und krächze mit rauer Stimme hinein: „Josie Hilton hier, was ist los?"
Zu mehr konnte ich mich im Moment einfach nicht aufraffen. Win Räuspern erklang am anderen Ende der Leitung. „Hallo Josie, hier ist Andrew. Wie geht es dir?", sein besorgter Tonfall war unmöglich zu überhören und obwohl er sich die Antwort auf seine Frage sicherlich denken konnte, antwortete ich mit einem schlichten: „Den Umständen entsprechend". Einige Augenblicke sagte niemand etwas, bis ich die Stille durchbrach.  „Warum rufst du an?"
Es war nicht so, dass ich mich nicht gut mit Andrew verstand, aber er war immer noch Rouvens bester Freund und nicht meiner.
„Wir..." Er zögerte kurz , bis seine tiefe Stimme wieder erklang. „Wir wurden vor wenigen Minuten von der Station angefunkt, es wurde zwar noch nicht öffentlich bekannt gegeben, aber es gibt ein paar Soldaten, die den Angriff überlebt haben." „Ist er...?", meine Stimme brach ab, bevor ich den Satz beenden konnte, zu gross war die Angst, das Rouven nicht zu den erwähnten zählte und nie mehr zurückkehren würde.
„Ich kann es dir noch nicht mit Sicherheit sagen. Ich habe die Liste mit den Namen selbst noch nicht gesehen. Als ich es gehört habe, habe ich sofort dich angerufen. Warte kurz einen Moment, Sam bringt sie gerade..." Im Hintergrund waren Stimmen zu hören und kurz darauf raschelte Papier. Mein ungeduldiges „Und?" zerriss die Stille, die Hoffnung die in diesem einzigen Wort lag, konnte man fast schon greifen. Andrew zog die Luft tief in seine Lungen, bevor er zu einer Antwort ansetzte. „Josie..." Er klang ernst, mitfühlend und selbst voller Trauer. „Nein, bitte nicht! Alles nur das nicht. Andrew, ich flehe dich an, schau noch einmal nach und sag mir, dass das nicht wahr ist!" Ich war immer leiser geworden und meine Stimme brach nun komplett ab, nur noch ein leises Wimmer war zu hören. „Es tut mir so unendlich leid Josie, aber es gibt keinen Eintrag mit M. Ich wünschte wirklich ich könnte es ändern!" „Ich weiss, danke trotzdem" So lauteten wohl meine letzen Worte, bevor ich ich auflegte, sicher war ich mir nicht. Mein Wimmern war zu einem lautem Schluchzen geworden und die ganzen Ausmasse des Gesagten nahmen erst jetzt wirklich Gestalt an. Rouven war irgendwo im schlimmsten Kriegsgebiet versollen, entweder tot oder in den Händen des Feindes.  Im zweiten Fall konnte er sich nur wünschen, tot zu sein, denn die Kriegsgefangenen wurden auf grausamste Art und Weise gefoltert, um Informationen an die Gegner preiszugeben.
Ich hatte gerade noch Kraft genug, mich auf der Arbeit für die nächste Zeit krankzumelden, bevor ich im gemeinsamen Bett zusammenbrach.
Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so hilflos, leer und alleine gefühlt wie jetzt. Und ich wollte es auch nie wieder, denn dieses Gefühl war einfach nur schrecklich. Es war, als ob ein Teil meines Herzens herausgerissen wurde. Und irgendwie war das auch der Fall. Der Teil meines Herzens, der ganz alleine meiner grossen Liebe, Rouven McEvans gehört hatte, war jetzt wohl auf ewig bei ihm.

Wo auch immer er gerade war...





- 1120 Wörter

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