Sonnenauge ~ #PlatinAward19

21

"Scheiße", höre ich eine tiefe, männliche Stimme aus der Ferne.
Ravi? Bin ich tot?
"Jungs! Ich habe sie!", schreit Ravi. Das ist nicht in meinem Kopf...
Was macht er hier in Person?
Erschöpft öffne ich meine Augen. Verschwommen kommt mir ein Umriss näher. Ich will ihn abwehren, doch ich habe die Kontrolle über meinen Körper verloren. "Scheiße Sun", flucht Ravis Stimme und jemand hebt mich hoch. Dieser Geruch. Ist das nicht Wonshik?
Ich versuche etwas zu sagen, doch der schwarze Nebel umhüllt wieder komplett meinen Körper.

Wärme fließt durch meinen Körper. Jemand hat meine Hand in seine genommen. Langsam öffne ich meine Augen und schaue in Wonshiks Gesicht. Er läuft schnell und hat seinen Blick besorgt nach vorne gerichtet. "Scheiße. Ich habe doch versprochen sie zu beschützen und jetzt finde ich sie unterkühlt und bewusstlos in einem Park", murmelt er vor sich hin. Mit Ravis Stimme.
Er scheint nicht bemerkt zu haben, dass ich ihn anstarre. "Es war nicht deine Schuld. Irgendjemand hat deine Verbindung zu ihr unterbrochen", sagt eine weitere bekannte Stimme.
Also wird meine Hand von Jaehwan gehalten. Aber. Wonshik hat Ravis Stimme. Wieso haben die beiden die selbe Stimme? Sind die beiden die selbe Person? Nein. Ravi ist eine Stimme, die ich mir einbilde. Mehr ist er nicht. Das kann nicht sein!

"Sun!", Jaehwan scheint bemerkt zu haben, dass ich wach bin. Wonshik bleibt stehen, um mich auf einer nahegelegenen Bank abzusetzen. Mein Kopf beginnt höllisch zu pochen. Beide Jungen knien sich vor mich. Jaehwan legt seine Hand an meine Wange, während Wonshik mir seine Jacke über die Schultern legt. "Was machst du nur immer? Ich hole Hakyeon, der soll uns nach Hause fahren", beschließt Jaehwan schnell.
Er entfernt sich etwas von uns.

Wonshik ist still, lächelt mich aber sanft und erleichtert an. "Sag bitte etwas", murmel ich leise.
Ich will wissen, ob er wirklich Ravi ist.
"Ja. Ja, ich bin Ravi", antwortet Wonshik mir zögernd. Erschrocken starre ich ihn an.
Was? Wie?
"Wir werden dir alles erklären, aber jetzt musst du erstmal ins Warme. Hast du Schmerzen? Irgendetwas?", erklärt Wonshik mir. Er klingt vollkommen wie Ravi. Seine Stimme ist zwar dunkel und rau, hat aber diesen sanften Nachklang. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Jaehwan auf uns zurennt, gefolgt von Taekwoon und Hongbin. Wonshik schaut mich panisch an. "Sag keinem, dass ich mit dir geredet habe ok? Ich erkläre dir später alles, versprochen", flüstert er panisch. Paralysiert nicke ich nur.

Der Rest kommt bei uns an. Taekwoon wirft wütende Blicke zu Wonshik, die gleich wütend erwidert werden. Irgendwas ist zwischen den beiden passiert, normalerweise sind sie doch immer so friedlich, aber viel wichtiger... Wonshik ist Ravi und Ravi ist Wonshik.
Jaehwan nimmt meine Hand. "Hakyeon ist gleich da, dann bringen wir dich zu uns und dann kannst du dich aufwärmen", erklärt er mir Sanft. Diese typischen Glücksgefühle schießen durch meinen Körper. Ich nicke.
Es will immer noch nicht in meinen Kopf, dass Ravi Wonshik ist. Wie soll das überhaupt möglich sein?

Da fällt mir etwas auf. "Wo ist Hyuk? Ihr alle seid da, aber Hyuk nicht", bringe ich mit kratziger Stimme heraus. Langsam bekomme ich Kontrolle über meinen Körper zurück. Die Gesichter der Jungs versteinern.
Habe ich etwas falsches gesagt? Ist etwas mit Hyuk? Warum reagieren sie so?
"Krank", antwortet Hongbin mit einer seltsam gezwungenen Stimme.

Bei ihnen zuhause angekommen, werde ich erstmal in mehrere Decken eingewickelt. Langsam strömt mollige Wärme durch meinen Körper, doch die Decken können nicht die Kälte in meinem Herzen auftauen. Immer wieder gehen meine Gedanken zu den Sachen zurück, die meine Familie mir an den Kopf geworfen haben. Müdigkeit übermannt mich und ich drifte in einen traumlosen, unruhigen Schlaf.

Eine warme Hand umschließt meine. Müde öffne ich meine Augen. Jaehwan sitzt neben mir mit meiner Hand in seinen. Sein Gesicht ist anders. Er scheint angespannt und besorgt zu sein, Ausdrücke, die ich von ihm nicht kenne. Es verunsichert mich ihn so zu sehen. Jaehwan wendet seinen Blick zu mir. Sofort, als meine Augen seine treffen, setzt er sein normales Lächeln auf. "Na. Wach?", fragt er mich sanft. Ich nicke. Noch etwas wackelig versuche ich mich aufzusetzen. "Geht es dir besser?", möchte Jaehwan weiter wissen. Wieder nicke ich, nicht in der Lage zu sprechen. Die Ereignisse von gestern liegen mir schwer in den Knochen. "Möchtest du mir erzählen, warum du im Park warst? Nur grobes. Nichts genaues", hakt er weiter nach.
Soll ich es ihm sagen? Ich vertraue ihm, besser gesagt, habe ich allen vertraut, aber Wonshik ist Ravi. Das haben sie vor mir geheim gehalten. Wie soll ich ihnen da noch vertrauen?

Langsam und unsicher schüttel ich meinen Kopf. Ich schaue mich schnell um. Der Einrichtung nach zu urteilen bin ich in Hongbin und Jaehwans Zimmer. Etwas verschüchtert löse ich meine Hand aus Jaehwans Griff.
Ich möchte gerade nicht wirklich jemanden sehen. Ich muss meine Gedanken ordnen und zwar schnell, sonst werde ich hier noch ganz verrückt.
"Kann ich vielleicht kurz etwas Ruhe haben?", bitte ich Jaehwan vorsichtig. Meine Stimme ist kratzig und zittrig. "Alles was du willst, Sunnie. Ruf einfach, wenn du etwas brauchst", erwidert der Angesprochene. Ich nicke und Jaehwan verlässt den Raum.

Unsicher rutsche ich auf dem Bett hin und her. Die Vorwürfe von Seong liegen mir noch schwer im Magen, aber da ist noch etwas daneben. Ravi ist Wonshik. Wie kann das sein? Bin ich hier in einem Fantasy-Novel oder was? Wieso ist die Stimme in meinem Kopf ein wirklicher Mensch?
Die Tür geht langsam auf. Wonshik schaut mich liebevoll an und kommt auf mich zu. "Also?", unterbinde ich jeden Versuch, auf ein Ablenkungsmanöver. Meine Stimme ist wieder fester. Von Entschlossenheit gepackt versuche ich meine negativen Gedanken zu unterdrücken. Wonshik kratzt sich sichtlich unsicher den Kopf. "Sun, hör mir bitte einfach zu. Es wird jetzt alles ziemlich verrückt", bittet er mich.
Da muss ich erstmal schauen. Und außerdem kann es gar nicht verrückter werden.
"Doch kann es", seufzt Wonshik auf meine Gedanken und kniet sich vor mich auf den Boden. Sanft nimmt er meine Hand. "Du bist die Tochter eines Gottes"