Mit Anlauf in die Fresse

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Alles wird irgendwann besser. Das merkte auch ich. Anscheinend hatte ich schon genug leiden müssen und die Depression und die Soziophobie zogen sich langsam aber merklich zurück. Das tägliche Heulen am Abend und all die negativen Gedanken waren fast verschwunden und selbstverletzendes Verhalten war kein Thema mehr.
Ich war das erste mal recht zufrieden mit meinem Leben, zumindest für meine Verhältnisse. Nicht nur die pessimistischen Gedanken wurden weniger, ich schloss auch einige neue, gute Freundschaften.
So hätte es gerne bleiben können, aber das Leben schreibt die Geschichte wie es will und fragt nicht seine Protagonisten, was sie gerne erleben würden oder wie es ihnen gehen soll.
Natürlich war es naiv von mir zu glauben, dass jetzt alles besser war. Nein, das Leben hatte andere Pläne für mich.
So leicht wurde ich die Depression nicht los. Im Gegenteil, obwohl ich verhältnismäßig glücklich war, die Depression war immer da. Sie begleitete mich tagtäglich, überall und zu jeder Zeit. Und als alles besser wurde, hatte sie keineswegs genug von mir. Sie holte nur schwung.
Heute war der Tag der Wahrheit und die Depression sprang mir mit Anlauf in die Fresse, sodass ich mich - heulend und zitternd - in Embryonalhaltung auf dem Bett krümmte.
Man wird die Depression nicht los. Sie ist ein ständiger Begleiter, in guten wie in schlechten Zeiten. Einmal depressiv, immer depressiv. Und auch wenn es kurz oder lang mal besser wird, irgendwann kommt der Tag an dem der Anlauf groß genug ist und sie dich in das tiefe, dunkle Loch schmeißt, aus dem du vorher mühsam herausgeklettert bist.

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