Eine freundliche Begrüßung

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Er ist seltsam. Immer nur dasitzend mit der schmuddeligen Arbeiterhose und dem verwaschenen T-Shirt. Vielleicht so um die sechzig. Unrasiert und dreckig sitzt er da auf der Bank gegenüber von mir. Aber obwohl er so abstoßend wirkt lächelt er die ganze Zeit. Schräg. Hab das Gefühl er sitzt schon den ganzen Tag da mit diesem dämlichen Grinsen. Doch als ob das nicht das schlimmste wär. Das Grinsen geht mir schon genug auf den Sack. Aber immer wenn jemand vorbeikommen grüßt der den. Voll schräg und echt unangenehm. Als ob der alle anquatschen dürfte. Es gibt sowas wie Privatsphäre! Aber der denkt natürlich der dürfte alles. Starre ihn finster an. 

Ich bin immer an der Haltestelle. Seit der sechsten schon, also vier Jahre. Irgendwann war der plötzlich da. Hat da gesessen. Rumgelungert. Und hat jeden gegrüsst. Fand das erst garnicht so schlimm. Ich mein, der kann ja nicht so schlimm sein. Der grüßt ja nur. Hab gelächelt als er mir nen guten Tag wünschte. Hab gedacht, der kann nicht schlimm sein. Der grüßt ja nur. Dann hab ich's mal auf dem Schulhof erwähnt. „Der ist nicht richtig im Kopf!" - „Pass auf der könnt dich anfallen, bei solchen weiß man nie !" - „Warum wird der nicht bewacht? Das ist gemeingefährlich!", haben sie gemeint und sie haben Recht. Was fällt denen ein so jemanden auf freien Fuß zu setzen? Der könnte doch jeden Moment durchdrehen. 

Hab mich seitdem von ihm ferngehalten. Hab echt keinen Bock auf sowas. Ich hole mein Handy raus und guck die Nachrichten durch. Jan hat geschrieben, dass er die Hausaufgaben nicht hat. Was für ein Idiot. Zu faul Hausaufgaben zu machen. Schicke einen genervten Emoji und checke noch schnell Insta. Schnell noch was liken, dann linse ich kurz über mein Handy. Der Typ hockt immernoch da. Ich schaue auf die Uhr. Noch fünf Minuten. Stecke das Handy wieder ein. Starre in der Gegend rum. Ein paar Jugendliche sitzen eine Bank entfernt überm Handy. Eine Frau überquert schnell die Straße. Es ist still, bis auf den Straßenverkehr. Keiner Unterhält sich. Richtig langweilig. Linse wieder auf den Typen und dann auf die Uhr. Drei Minuten. Hoffentlich hat der Zug keine Verspätung. Ich lasse meinen Blick wieder schweifen und mein Blick kreutzt den des Mannes. Fröhlich lächelt er mir zu und winkt. Ich schaue ihn entgeistert an. Was für ein Spast. Ich rolle mit den Augen und schaue ihn genauer an. Er scheint total unbekümmert, als hätte er keine Sorgen. Er wirkt eigentlich auch nicht so gefährlich. Aber bei solchen kann man ja nie wissen. Aber vielleicht ist er ja ganz ok. 

Ein Mann geht an uns vorbei. Ich ignoriere ihn, doch der Typ nuschelt laut:„Schönen Tag!" Der Mann schaut uns nur entgeistert und angeekelt an und beschleunigt sein Tempo. Als ob ich etwas damit zu tun hab! Was für ein Schnösel. Das haben wir beide nicht verdient. Ich lächle dem komischen Typ kurz zu und er fängt an zu strahlen. Der kann nicht echt gefährlich sein. Vielleicht sollte ich mal mit ihm reden. Ich stehe gerade auf da höre ich meinen Zug kommen. Naja vielleicht morgen oder so. Seh ihn ja sowieso jeden Tag. Ich steige ein und überlege warum ich ihn eigentlich so gehasst habe.

Am nächsten Morgen mache ich mich fertig für die Schule. Meine Vater sitzt am Esstisch und blättert in der Zeitung.„Ach übrigens, irgend so ein komischer Typ ist gestern gestorben, gab echt viel Aufruhr. War irgendein Verkehrsunfall glaub ich."-„Aha" meint meine Mutter nur. Ich bin mit den Gedanken schon am Bahnhof und höre nicht richtig zu. Ich veräbschiede mich und gehe. Was werd ich sagen? Wie soll ich in ein Gespräch kommen? Ich setze mich auf die Bank auf der ich immer sitze. Die Bank vor mir bleibt leer.

Eine freundliche BegrüßungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt