“Komm Jimin, ich zeige dir mal dein Zimmer“, sagte meine Mutter und deutete auf eine Tür am Ende des Flurs. Mit unsicheren Schritten folgte ich ihr und sie öffnete mir, nach wie vor mit einem leichten Lächeln, die Tür. Es war sehr viel farbenfroher als das Zimmer in der Psychiatrie. Der Schrank, der Schreibtisch und das Bett waren aus hellem Holz. Die Bettwäsche war schwarz-weiß gestreift und die Wände waren hellgrün. Es gefiel mir ganz gut. „Ich habe dir einen Laptop gekauft, da du den sicherlich für die Schule brauchen wirst, und ein Smartphone“, sie deutete auf den Schreibtisch, wo die zwei Gegenstände lagen. Natürlich wusste ich was die beiden Sachen waren, allerdings hatte ich sie noch nie benutzt. Die Sachen waren in der Psychiatrie verboten und ich hatte sie auch nicht vermisst, da ich nie was damit zu tun hatte, immerhin kam ich mit sechs Jahren in die Psychiatrie. Das Einzige was ich davon gehört hatte war von neuen Patienten, die rum jammerten, weil sie eben nicht mehr ans Handy oder an den Laptop konnten. „Danke“, sagte ich dennoch, denn es war auf jeden Fall wichtig, dass ich lernte mich mit beidem auszukennen, um mich in der Gesellschaft wieder zurecht zu finden. „Du willst jetzt bestimmt erstmal alleine sein, was?“, fragte mich Kim und dankbar nickte ich. Als sie aus dem Zimmer war setzte ich mich vorsichtig auf das Bett und merkte jetzt schon, dass die Matratze um einiges besser war, als die in der Psychiatrie.
Ich atmete ein paar Mal tief durch, denn ich hatte das Gefühl, mein Kopf platzte gleich. So viele neue Eindrücke, beziehungsweise ich begann ja jetzt ein komplett neues Leben. Das wurde mir gerade so richtig bewusst. Es gab nicht mehr mein Leben in der Psychiatrie, mit dem geregelten Tagesablauf, den immer gleichen Programmen, den immer gleichen Räumen, diese Isolation, beziehungsweise, wenn ich jetzt so darüber nachdachte, diesen Schutz. Die Psychiatrie hatte mich vor der Außenwelt geschützt, doch der war jetzt weg. Aber irgendwann musste ich es nun mal schaffen. Ich musste nun mal lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Wobei ich das ja noch nicht mal komplett tat, immerhin musste ich mich nicht um eine Wohnung oder um den ganzen Kram kümmern, aber alleine die Tatsache, jetzt ein ganz normaler Jugendlicher zu werden, von denen ich keine Ahnung hatte, war eine riesen Herausforderung für mich.
Tatsächlich war ich daraufhin vor Erschöpfung direkt eingeschlafen und wachte irgendwann am Abend wieder auf, auf jeden Fall dämmerte es bereits. Und im nächsten Moment wurde mir auch klar, was mich geweckt hatte, denn ich hörte Stimmen im Flur, Männerstimmen. Jetzt waren wohl mein Stiefvater und mein Halbbruder da. Panik kam in mir auf, ich fühlte mich nicht bereit, noch mehr neue Leute kennen zu lernen. Ich kniff meine Augen zusammen und suchte Schutz unter meiner Bettdecke, doch kam schnell zu dem Schluss, dass das blöd war, schließlich musste ich die Beiden früher oder später kennen lernen. Also wagte ich mich aus dem Schutz des Bettes und bewegte mich auf die Zimmertür zu, bevor ich sie vorsichtig öffnete.
Nervös versteckte ich meine Hände in den Ärmeln meines weißen Pullis und ging zu dem Raum, aus dem die Stimmen kamen, die Küche wie ich erkannte. Ich trat an die offene Tür und blickte mich ein wenig um. Es war eine kleine Küche, in deren Mitte ein runder Tisch mit vier Stühlen stand, an denen nur noch einer frei war. Meine Mutter, Kyusung und Bao saßen an diesem und waren gerade am Abendessen. Bao war um die acht Jahre alt, würde ich einfach schätzen. „Ach hallo Jimin“, meinte meine Mutter Kim und stand auf, um mir noch einen Teller aufzutischen. „Ich hätte dir ansonsten natürlich noch deine Portion aufgehoben, wir wollten dich nicht wecken.“ „Danke“, sagte ich mit dünner Stimme, denn unter den Blicken von Kyusung und Bao wurde ich sichtlich nervös. „Du bist also mein Stiefsohn“, meinte Kyusung dann zu mir und sah mich ernst an. „Ja, schön Sie kennen zu lernen“, begrüßte ich Kyusung förmlich und verbeugte mich auch. „Lass doch die Förmlichkeiten Jimin, du bist schließlich Teil der Familie, setz dich!“ Ich befolgte seinem Befehl und setzte mich auf den Stuhl, der zwischen Bao und Kim stand. Kurz darauf bekam ich auch schon meinen Teller mit Spaghetti-Bolognese vor mich gestellt und Kim setzte sich auch wieder hin. Der Geruch war herrlich und zögerlich griff ich nach dem Besteck. „Fang schon an zu essen“, meinte Kim also ich es noch nicht getan hatte, also fing ich an und es schmeckte himmlisch. So viel besser als in der Psychiatrie. Kim war anscheinend eine unglaubliche Köchin. Ich bemerkte gar nicht richtig wie ich anfing zu stopfen, weil es so lecker war. „Da hatte aber jemand Hunger“, lachte dann Kyusung und vor Schreck plötzlich wieder angesprochen zu werden verschluckte ich mich und musste anfangen zu husten. Durch die fehlende Luftzufuhr merkte ich wie mein Gesicht knallrot wurde und meine Augen anfingen zu Tränen und ich bekam leicht Panik. Als ich dann auch noch eine Hand auf meinem Rücken spürte, die wahrscheinlich helfend klopfen wollte, sprang ich aber so schnell vom Stuhl auf, dass der umkippte und ging ein paar Schritte weg, mein verängstigter Blick weiterhin auf Kim gerichtet, die noch immer ihre Hand erhoben hatte und mich verwundert ansah. „Ruhig Junge, tut mir Leid, dass ich dich erschreckt habe“, meinte Kyusung und mein Hustenanfall hatte sich zwar langsam wieder beruhigt, aber ich war immer noch knallrot, nur diesmal vor Verlegenheit. Ich mochte Körperkontakt zwar nach wie vor nicht so wirklich, aber so panisch reagieren tat ich eigentlich nicht mehr. „Entschuldigung“, meinte ich dann und mein Instinkt sagte mir, so schnell es geht wieder in mein Zimmer zu flüchten, aber das wäre mehr als unhöflich. „Setz dich wieder Jimin und trink was, dann wird es wieder besser. Und aufessen musst du auch noch!“, meinte Kim und deutete auf meinen halb vollen Teller. Ich machte was sie sagte und setzte mich, trank etwas, was wirklich half, und aß auch weiter, nur diesmal mit sehr viel mehr Bedacht.
„Und freust du dich auf die Schule?“, fragte Kyusung mich dann, nachdem wir alle in Stille unsere Teller leer gemacht hatten und er hatte sich weit in den Stuhl mit verschränkten Armen zurückgelehnt und sah mich abwartend an. „Ich weiß nicht, ich weiß halt nicht, ob ich bei dem Stoff mitkommen werde“, antwortete ich leise wahrheitsgemäß. „Falls du Fragen hast, du kommst in die Schule mit dem Sohn eines guten Freundes von mir, er heißt Jaebum und er ist ein Ass in der Schule, sowie Schulsprecher, ihn kannst du immer fragen. Deine Schultasche mit den Büchern und allem haben wir übrigens in deinem Schrank verstaut. Ah, und um die Noten in der jeweils ersten Arbeit der verschiedenen Fächer brauchst du dir keine Sorgen machen, du wirst zwar normal mitschreiben und auch eine Note bekommen, aber die Note wird nicht gewichtet, damit du Zeit hast in den Unterricht reinzukommen und alles aufzuholen, was du nicht kannst. Dafür zählt die nächste Note doppelt, das ist alles mit den Lehrern abgeklärt, die auch über deinen Aufenthalt wissen und auch wissen, wie es um dich steht“, erzählte er mir und am Ende konnte ich bloß nicken, das waren so viele Informationen auf einmal und ich fühlte mich ein wenig überfordert. „Lebst du jetzt hier?“, fragte mich dann plötzlich Bao und sah mich missmutig an. „Bao, Schatz, das ist dein Stiefbruder, er wird jetzt hier leben bis er was eigenes hat“, erklärte Kim ihm. „Aber ich will nicht, dass hier noch jemand lebt“, meinte Bao dann auf einmal und verschränkte beleidigt seine Arme vor der Brust, während ich mich so klein wie möglich machte und mich in meinem Pulli versteckte. Es war kein schönes Gefühl zu wissen, dass mindestens ein Hausmitglied mich nicht da haben wollte. „Ich bin mir sicher, wenn du Jimin erst mal kennen lernst, wird es nicht mehr so schlimm sein. Es ist toll einen Bruder zu haben!“, versuchte Kim ihn zu beruhigen und Kyusung legte ihm bestätigend eine Hand auf die Schulter, doch Bao sah mich nur weiterhin böse an. „Ich geh wieder in mein Zimmer“, meinte ich also mit dem Blick auf den Tisch, um der angespannten Atmosphäre zu entfliehen.
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Zeig mir die Welt - Jikook
FanficNach elf langen Jahren, die Jimin in der Psychiatrie verbracht hatte, konnte er endlich zurück zu seiner Mutter ziehen. Doch es hinterließ Spuren, wenn man elf Jahre lang von der modernen Gesellschaft getrennt war. Zum Einen wusste Jimin nichts über...