Kapitel 1

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Verstand

Der Geruch von trocknenden Ölen und ein vergleichbarer Duft von Benzin kamen mir entgegen als ich mein Arbeitszimmer betrat. Der Arbeitsbereich war nicht besonders groß noch bot er mir die ideale Größe, die ich für meine Arbeit brauchte, aber es genügte um meine Tätigkeiten nachzugehen. Trotz der unangenehmen Kälte und der trübseligen Räumlichkeit, fing ich an mich auf die Arbeit vorzubereiten. Ich besaß mehrere kleine Tische, wo ich mein Arbeitsmaterial hortete. Viele Menschen würden mein Arbeitsmaterial als belanglosen Abfall gleichsetzen. Verrostete Messer, Metallschrott, Kartons und substanzlose Gläser schmückten meinen gegenwärtigen Raum. Außer mit den Unmengen von Acryl- und Ölfarben und den Pinseln konnte wohl niemand wirklich was anfangen. Mit einem deprimierten Schnaufen setzte ich meine Arbeit in Gang. Ich stellte meine Leinwand auf und fing an den Pinsel zu zücken, der sich neben mir befand und ihn in die rote Farbe zu tunken. Der Pinsel glitt mit einer Geschmeidigkeit über die noch kahle Fläche. Es folgten weitere Farbvariation, aber alle ähnlich. Ohne einen Gedanken zu fassen malte ich weitere Striche. Die Kombination aus schwarzer Farbe und ein dunklen Rot, die ich nach einer Weile aquarellierte, bildete eine noch sehr rohe Landschaft. Nur ein geschultes Auge konnte die Details registrieren, die in diesen doch sehr kleinen Stück von Leinwand versteckt war. Die Umgebung im Bild wirkte sehr bedrückend. Das Gemälde war im Allgemein sehr melancholisch gehalten. Die Schattierung, der Kontrast und die Farben waren sehr dunkel gehalten. Eine Kette von Felsen. Weit entfernt, verschwommen. Obwohl dieses Bild sich den keltischen Klippen gewidmet hat, hatte es doch ein sehr furch einlösenden Eindruck auf mich. Ich betrachtete, mein Werk weiterhin kritisch. Rechts neben mir erblickte ich ein abgestanden Whiskeyglas. Es stand dort schon einige Tage, aber ich nahm trotzdem dem Mut zusammen um es zu leeren. Ich kniff meine Augen zusammen und biss mir leicht auf die Zunge. Der Geschmack war scheußlich. Es war vermutlich, auch das einzige Glas mit einer trinkbaren Flüssigkeit. Ich ermüdete nach einigen Minuten, der Selbstbeurteilung. Ein Gefühl der Hilflosigkeit und Einsamkeit überkommt mich. Aus mir nicht bekannten Gründen empfand ich im Sekunden Takt verschiedene Gefühle, aber keins davon wohliger Natur. Nach einigen Minuten konnte mein Verstand sich schlussendlich auf die einfache Empfindung Wut einstellen. Vielleicht akzeptierte ich diese Emotion, weil sie einfach ist. Bei Wut flossen nur selten Tränen. In vielerlei Hinsicht könnte man sagen, dass keine Tränen fließen sondern Blut gegen derer die, die Wut ausgelöst haben. Ich schüttelte den Kopf. Fast schon primitiv warf ich mit einen lauten Aufschrei, den Pinsel in die Ecke und zog es vor die Leinwand mit einen kräftigen Schlag zu durchbrechen. Ein Feuerwerk des Hasses auf alles was mich umgibt, steuerte in diesen Moment meine Handlungen. Dieses cholerische Ereignis kam öfters vor und wie auch heute war es explodierend. Ich schrie nochmals sehr laut auf und nahm meinen ganzen Ellbogen, um die Tische zu leeren. Der Boden und die Tische färbten sich von den zersplitterten Gläsern in allen möglichen Farben. Farbspritzer dekorierten mein altes graues Hemd was ich trug. Meine Beine erschöpften vom unkontrollierten Treten gegen die Möbel und nahmen mir somit die Fähigkeit zu stehen. Ich lag kniend auf dem befleckten Boden. Das dunkle Rot färbte die Jeans. Meine Hände verdeckten mein Gesicht und ich grummelte stark auf. Es herrschte Stille im Apartment. Die einzigen Töne die meine Ohren wahrnahmen, waren mein starker Atem und ein Tröpfeln. Offenbar hat sich ein Farbklecks sich ein Weg durch die Holzrinnen des verstellten Tisches auf den Boden gebahnt. Das Tröpfeln folgte einen regelmäßigen Rhythmus. In einen 3 Sekunden Takt gab die Farbe einen beruhigenden Ton wieder. Eine kleine flackerte Leuchte zeigte direkt auf mich, auch sie folgte einen Takt, allerdings eher ungleichmäßig. Ich begriff nicht warum, aber der Ausbruch tat mir gut. Die vorherigen Geräusche wurden übermannt von einer plötzlichen und unbeschreiblich schönen Melodie. Nach kurzem Analysieren wurde mir schließlich klar, dass der Klang von einer Geige kam. Mein Körper wurde allmählich ruhiger und mein Aufbrausen sank rapide. Die Musik wurde immer lauter und deutlicher. Wie ein Farbverlauf der von schwarz zu weiß wechselte, wurde die Lautstärke immer erkennbarer. Ich schloss meine Augen für einen kurzen Moment und genoss wie die Musik durch meinen Körper floss. Meine visuelle Umgebung wechselte sich abrupt beim Öffnen der Augen. Ich realisierte sehr schnell, dass ich mich in einem fahrenden Auto auf den Rücksitz befand. War es wirklich ein Schmerz den ich vor einigen Sekunden hatte? Ich wusste es nicht. Es tat mir zumindest im Herzen weh. Ein kurzer Blick durchs Fenster lässt mich erahnen, dass die Nacht eingebrochen ist. Ich hatte wohl geschlafen. Obwohl man nicht mehr als ein leichten Ansatz von dichten Wald erkennen konnte, ist es zweifellos, dass es regnete. Die Tropfen prasselten wie kleine Schottersteine auf das Auto. Der drauffolgende Blick ging Richtung Fahrbahn. Am Chrom und Leder verzierten Fahrzeugs saß scheinbar ein junger Mann, der direkt ins Unendliche fährt. Ich habe es zu mindestens so empfunden. Mehr ließ sich nicht einschätzen, denn sein Spiegel richtete sich auf mich. Man konnte nur mich erkennen. Einen 23-Jährigen Mann mit kurzem Haar. Der Leuchtkegel des Autos zeigt, dass es eine schmale Straße ist. Nur lauter Tannen um uns herum, die dem Mondlicht die Chance nahm, sich zu zeigen. Der letzte Blick zur absoluten Klarheit ging nach rechts. Ich erblickte meine 22-Jährige Freundin. Ich mochte ihren Namen, Emma. Ihre Haare waren lang und verteilten sich auf ihren Schultern. Die verträumten braunen Augen zogen Blicke auf das regnerische Kunstspiel der Tropfen des Seitenfensters. Ihre zierlichen Finger tasten leicht die Scheibe. Das Akzentuieren ihrer zartgefüllte, gerundeten Unterlippe war fesselnd. Meine Augen folgten gebändigt die Ansehnlichkeit ihres eleganten Körpers. Sie summte das Lied im Radio mit, was mich aus meiner Trance herausgeholt hatte. Ich muss herzhaft schmunzeln. Die Melodie gab mir ein Déjà-vu. Mir fiel wieder ein, warum ich mich hier befand. Es war ein Taxi, das mich in eine Therapie schicken sollte. Der Grund absurd. Obwohl ich mich anfangs hemmend gegen eine Therapie entschied, ging ich das Angebot letzten Endes doch ein. Das Risiko, sie durch Kleinigkeiten zu verlieren war mir dann doch zu hoch. Ihrer Meinung nach war die Kombination aus Alkohol und enormer Druck eine Problematik. Ich wohnte mit meiner Freundin in einer Stadt in Irland. Die Stadt war von Unwichtigkeit nicht zu überbieten. Ihr Name war nicht nennenswert. Mehr als die nötigsten Gebäude, das ihr den Namen „Stadt“ an verleiht hatte, gab es nicht. Meine Freundin wollte mich unbedingt begleiten. Der Abschied fiel mir schwer. „Wie lange hab ich geschlafen?“, fragte ich leicht benommen und fasste mir an die Stirn. Emma drehte den Kopf zu mir. „Eine Weile. Verständlich. Immer hin fahren wir seit 4 Stunden.“, entgegnete sie. Etwas mürrisch sagte ich: “Wir hätten uns den Weg, die Zeit und die Kosten sparen können, hättest du nicht wegen meinen kurzen Aussetzer wieder, aus einer Mücke einen Elefanten gemacht. Bei jeder Lappalie machst du ein auf Börsenmakler, der sich grad im Börsencrash befindet. Du weißt ganz gen..  “. Ich wurde unterbrochen. Emma blieb gelassen, trotz meines Auftritts. „Hätte, hätte. Du weißt ganz genau, dass dein Zustand nicht nur dir selber schadet sondert auch mir.“ Ich nahm Vernunft ein. Das Mir in ihren Satz prügelte mir wieder die Urteilsfähigkeit ein, die ich brauchte um die richtige Antwort zu verfassen. „Du hast ja Recht“, gab ich von mir. Sie nickte mir Verständnis voll zu. Unterhaltungen mit Emma erwiesen sich immer als sehr einfach. Auseinandersetzungen oder Streitgespräche waren selten und kurz. Ich konnte mir nie wirklich erklären, warum wir keine hatten. Paradoxerweise hätte ich mir manchmal welche gewünscht. Unsere Blicke trennten sich wieder. Jeder schaute verträumt durch das Fenster des Autos. Es begann zu donnern. Das schrille Licht des Blitzes, der in der Ferne einschlug, ließ uns ein Einblick in den Wald gewähren. Dieser Sekundenblick in die Weiten des Waldes gab mir ein Gefühl von vertraulicher Angst. Emma schien es nicht zu stören. Vermutlich lag es daran, dass sie im Halbschlaf am Fenster angelehnt war. Ich startete den Versuch an etwas anderes zu denken. Ich betrachtete die Kette, die ihren Hals zierte. Es war ein Geschenk zu unseren 3 Jährigen. Ein Miniatur-Portrait von ihr in einem Stück edel Metall eingebunden. Sie trägt es die ganze Zeit bei sich. Eine Weile verging bis Emma in einem Tiefschlaf langsam auf meinen Schoß fiel. Mein Körper senkte sich leicht. Ich lag mit meinem Ohr auf ihrer Brust. Lauschte ihren Herzschlag. Der Herzschlag ist ruhig und sanft. Ihre Brust hob und senkte sich. Ein leichtes Grinsen von beiden Seiten aus. Ihr Lächeln spürte ich nur, aber ich wusste genau dass es da war. Ihre Hand, die weiterhin meine Hand umschloss, lies mich einfach Lächeln. Ich blieb liegen. Ich wollte diesen Moment nicht zerstören. Das Wissen, dass ich sie habe erleichterte mich. Ich konnte mir kein Leben ohne Sie nicht mehr vorstellen. Für mich wird sie nie älter werden. Der Anblick ihrer lieblichen Lippen zog mich an, was zur Folge hatte, dass ich ihr einen sanften Kuss auf die Lippen gab. Der übliche Effekt war, dass sie wieder einmal ein leichtes Schmunzeln ausstieß.

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