Schwerfällig erhob sich Rosmarie von dem ungemütlichen Stuhl des Wartebereichs und ging langsam und ein wenig schleppend den Korridor entlang. Die Wände an denen sie vorbei kam, die einst weiß waren, sahen mittlerweile schmutzig und grau aus. Auch die grünen Pflanzen, die den kühlen, sterilen Krankenhausflügel aufheitern und beleben sollten, ließen traurig die Blätter hängen. Mit einem Seitenblick in den Blumenkübel erkannte die alte Dame sofort, dass sie dringend Wasser benötigten.
Sie strich sich durch das kurze, graue Haar und steuerte das Schwesternzimmer an. Sanft aber bestimmt klopfte sie an das Glasfenster und einige Sekunden erschien eine junge Krankenschwester in ihrem Sichtfeld. Sie schien neu zu sein, Rosmarie hatte sie noch nie gesehen in all den Monaten, die sie nun schon hier her kam.
Freundlich lächelnd sah die Frau ihr in die kleinen, von Falten umrandeten Augen. „Ja bitte? Kann ich etwas für sie tun?“ Rosmarie nickte und deutete mit zittrigen Händen auf die Pflanze. „Ob sie wohl eine kleine Gießkanne für mich hätten?“ Überrascht blickte die Schwester sie an. Zögernd ging sie nach hinten und kam nach einigen Sekunden mit einer kleinen, pastellgrünen Gießkanne in der Hand wieder zurück. „Soll ich ihnen etwas Wasser rein füllen?“
Sie klang so aufrichtig und automatisch dachte die Rentnerin daran, dass sich diese ehrliche Freundlichkeit irgendwann abstumpfen würde, wie es bei einigen Krankenschwestern der Fall war.
Doch auch wenn Rosmarie mit ihren 78 Jahren und ihrem zierlichen Körper verletzlich und schwach aussah war sie sowohl geistig als auch körperlich fitter als so manche in ihrem Alter. Sie lehnte dankend ab, nahm die Kanne entgegen und ging gemächlich zur Gästetoilette der Etage.
Im Gegensatz zu ihrem Mann, Ernst, machte ihr die tägliche Arbeit noch nicht zu schaffen. Ernst… bei dem Gedanken an ihn wurde ihr Mund trocken und ihre Augen dafür feucht. Er war der Grund, warum sie heute hier war. Warum sie all die Tage und Wochen zuvor hier war. Bei ihm wurde Nierenzellenkarzinome diagnostiziert. Eine Krankheit, bei der ein unkontrollierbares Wachstum von Zellen des Nierengewebes vorliegt. Man hatte ihnen gesagt, dass nur eine Operation noch etwas retten könnte.
Die Niere sollte entfernt werden. Beiden war aber von Anfang an klar gewesen, dass auch dabei etwas schief gehen konnte. Nach langem Überlegen hatten sie sich aber dennoch dafür entschieden. Rosmarie wischte sich über die Augen, schluckte und ließ dann Wasser in das Gefäß fließen. Heute war der Tag, an dem Ernst operiert wurde. Und sie wartete bereits seit zwei Stunden und noch immer hatte sie nichts von einem Arzt oder Helfer gehört, wie es denn lief.
Zunächst hatte sie es noch geschafft, sich ein wenig mit Zeitschriften abzulenken, doch mit jeder Minuten, die verstrich, wurde sie nervöser. Das arme Pflänzchen kam ihr gerade recht.
Nachdem sie ihm reichlich Wasser gegeben hatte brachte sie die Gießkanne wieder zurück und sie merkte, wie sie bewundernd von der Pflegerin angesehen wurde. „M. Elstner“ stand auf ihrem Kittel. Vielleicht würde sie ja nochmal von ihr hören. Leise lächelte Rosmarie in sich hinein. Eine winzige Marotte hatte sie sich angewöhnt, in all der Zeit, die sie hier im Krankenhaus verbracht hatte.
Sie kontrollierte immerzu die Namensschilder der Leute hier. Nach und nach begann sie sich die Namen immer mehr einzuprägen und verfügte mittlerweile über ein geordnetes System in ihrem Kopf. M.Elstner würde sie ganz klar zu den Frischlingen einordnen.
Mit einem kaum hörbaren Ächzen ließ sich die schmale Frau wieder auf ihren Stuhl zurück sinken. Sie war die einzige, die hier saß und so schloss sie die Augen für einen kurzen Moment.
„Frau Eulenstein?“ Rosmarie klappte die Lieder auf. Nanu, sie musste eingenickt sein. Sie blinzelte rasch und sah dem Arzt ihr gegenüber in die Augen. „Ja? Ist Ernst fertig? Kann ich zu ihm?“ Von dem Arzt kam zunächst nichts. Herr Doktor Hill, ein erfahrener, stets netter und fürsorglicher Chirurg und Ernsts behandelnder Arzt, setzte sich neben Rosmarie auf einen der Sitze.
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Liebe stirbt nicht
Romance>>„Es gab Komplikationen.“ Komplikationen. Rosmaries Herz begann schneller zu schlagen und ihr Atem wurde lauter. Das war eines der Worte, die man nicht gerne nach einer Operation zu hören bekam.<< Ernst, Rosmaries Ehemann liegt im Sterben. Doch sta...