Kapitel 19

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Ich verbrachte die ganze restliche Woche Zuhause und verließ nur einmal das Haus um von Max zu meinem Therapeuten gefahren zu werden.

Am Sonntag beschloss ich, dass ich am nächsten Tag wieder zur Schule gehen würde, da es mir von Tag zu Tag besser ging und es irgendwie akzeptiert hatte, dass sich unsere Mutter so schnell wohl nicht melden würde. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wie mir das gelungen war, aber das Gefühl war befreiend. Natürlich zerbrachen wir uns oft den Kopf darüber, was denn wohl schlimmes passiert sein musste, jedoch konnten wir am wenigsten an dieser Situation ändern.

***

In der Nacht von Sonntag auf Montag konnte ich kaum schlafen und starrte größtenteils die wirklich sehr interessante Wand neben meinem Bett an. Doch nach hunderten Malen umdrehen und einer plötzlichen Übelkeit nach der ich mich übergeben hatte, fand ich doch irgendwie noch in den Schlaf.

Mein Handy hätte ich am liebsten aus dem Fenster geworfen, als der Wecker viel zu früh am Morgen läutete. Doch da Max nicht glauben sollte, dass ich noch nicht wieder bereit für die Schule war und sich unnötig Sorgen gemacht hätte, raffte ich mich auf und saß etwas später in einem großen Hemd und einer schwarzen Hose in der Küche und kaute an dem mir unendlich vorkommenden Toastbrot.

„Komm, auf geht's. Bist du fertig?", forderte mich Max auf der bereits fertig angezogen an der Tür stand.

Schnell sprang ich auf und machte mich ebenfalls fertig.

15 Minuten später gingen wir auf die großen, geöffneten Türen unseres Schulgebäudes zu und mein Bruder versuchte mir klar zu machen, dass ich ihn jederzeit aus der Klasse holen könne falls etwas sein sollte.

Er verabschiedete sich und wurde sogleich mit Handschlag von einer Gruppe Jungs empfangen.

Mein Blick schweifte über die Aula und ich entdeckte Selina an unserem typischen Platz in der Ecke. Mir fiel ein kleiner Stein vom Herzen, denn einerseits hatte ich gehofft, dass sie die ganze Woche nicht allein herumsitzen musste, doch hatte ich auch Angst, dass ich von jetzt an wieder allein war. Und mich nicht trauen würde zu anderen zu gehen.

Lächelnd ging ich auf sie zu und sie sprang schon fast von ihrem Platz auf um mich fest zu umarmen.

„Bin ich froh, dass du wieder da bist und es dir scheinbar auch wieder besser geht!", nuschelte sie in meine Haare. Unsere Umarmung wollte gar nicht mehr aufhören, es wunderte mich echt, dass die lange Berührung nicht unangenehm für mich wurde. In diesem Moment merkte ich wie wichtig mir Selina geworden war.

***

In der Pause saßen wir uns, wie gewöhnlich, mit unseren Tabletts gegenüber und sie erzählte mir ein paar Dinge, die in der Woche so passiert waren.

„Diese Jessica, von der du mir auch schon erzählt hast, hat was krasses abgezogen."

„Echt?! Erzähl!", erwiderte ich gespannt.

„Alsoo....", begann sie, „vorgestern saß ich in der Mittagspause draußen an der Seite und hatte einen recht guten Blick über den Großteil des Pausenhofs. Plötzlich kam irgendwie eine Unruhe auf und diese Jessica stolzierte von ihrem Platz hinüber zu den Jungs wie Jannik und Moritz, du weißt schon. Sie stellte sich vor einen Jungen hin und wollte ihn vor der ganzen Schule auf den Mund küssen. Aber gerade noch rechtzeitig hat er sie von sich weggeschoben und dann hat sie ihm eiskalt eine Ohrfeige gegeben. Die ganzen Jungs sind natürlich komplett ausgerastet, aber haben sie mit Sicherheit nicht berührt!! Was macht sie? Dreht sich um hält sich ihre Wange und rennt heulend zu ihrer Freundin hin und beschwert sich dort lauthals darüber, dass sie geschlagen wurde."

Selina und ich waren beide nicht die gesprächigsten und deshalb war ich ziemlich überrascht über ihre lange Erzählung.

Doch jetzt war ich neugierig und fragte gespannt nach, was danach passiert ist.

Selina lachte kurz und erzählte weiter: „ Der, der von IHR die Ohrfeige bekommen hatte, wurde richtig sauer und wollte auf sie zulaufen, wurde dann aber von Jannik zurückgehalten der leise irgendwas zu ihm gesagt hat. Aber auch ihm und den restlichen konnte man die Wut deutlich ansehen. Naja sie haben dann den Hof verlassen und waren angeblich auch den restlichen Tag nicht mehr im Unterricht.", beendete sie ihre Erzählung und lehnte sich gespielt erschöpft in den Stuhl zurück.

Das ganze musste ich erst mal sacken lassen, ja sie hatte Recht, das war ziemlich krass. Heute würds mich nicht Mal wundern wenn Jannik allgemein schlecht drauf ist, aber nicht nur gegenüber mir. Bis jetzt kann ich ja eh noch nichts Schlechtes sagen, weil ich ihn noch gar nicht gesehen hab.

Am Ende der Pause machten Selina und ich uns wieder auf den Weg, sie in ihren Kurs und ich nach draußen, denn heute fiel zum Glück Chemie bei mir aus und ich hatte eine Freistunde.

„Wir sehen uns dann in Biologie, bis später!", rief Selina schon unterm gehen über ihre Schulter.

„Ja, bis später!", antwortete ich ihr schnell.

Also machte ich mich auf den Weg nach draußen, um wenigstens etwas vom schönen Wetter mitzubekommen. Ich wollte mich nicht mitten in den Hof setzen, wo mich jeder aus den Klassenzimmern sehen kann, deshalb machte ich mich auf den Weg zu dieser ‚Raucherecke', denn während der Unterrichtszeit war da eh nichts los.

Dachte ich.

Normalerweise rauchte ich nie, wenns mir richtig, richtig schlecht ging vielleicht mal. Das ist auch der Grund warum ich überhaupt Zigaretten hatte. Ich holte die Schachtel aus meiner Tasche und zündete sie mir an.

„Rauchen ist scheiße.", Jannik war um die Ecke gekommen und stand nun vor mir.

„Okay", ich hatte gerade echt keine Lust mir wieder alles gefallen zu lassen, deshalb blockte ich gleich schon ab.

„Ich wusste nicht, dass du rauchst.", sprach er unbeirrt weiter.

„Es geht dich auch nichts an was ich tu oder eben nicht tu."

Ich war genervt von seinen Stimmungsschwankungen oder was auch immer das war. Einmal ist er super nett und unterhält sich mit mir, am Tag darauf bekomm ich nur kalte und finstere Blicke zu sehen?

„Hey, du ähm....ich glaub ich bin dir eine Erklärung schuldig.", stammelte er verlegen.

Aha, dem feinen Herrn fehlen auch mal die Worte. Das sagte ich aber lieber nicht. Ich war wirklich verwirrt und wusste nicht wie ich darauf reagieren sollte.

„Ich weiß eigentlich echt nicht, ob ich deine Erklärung wirklich hören will. Was denkst du bin ich?! WAS habe ich dir bitte getan? Am Anfang verteidigst du mich noch vor blöden Kommentaren, unterhältst dich mit mir und bist sogar nett zu mir! Am nächsten Tag schaust du mich so finster an, dass es finsterer und kälter nicht mehr geht?"

Ich war überrascht von mir, wie die ganze aufgestaute Wut plötzlich aus mir heraussprudelte und hatte auch ein wenig ein schlechtes Gewissen, da ich mir grundsätzlich immer ganz genau überlegte was ich sage.

„Ich, ich weiß....und so blöd sich das auch anhört jetzt....es gibt sogar eine Erklärung dafür und die würde ich dir wirklich gerne sagen weil ich es echt bereue so mit dir umgegangen zu sein."

„Okay.", antwortete ich etwas genervt, doch darauf war ich schon etwas gespannt, denn so viel ich auch darüber nachgedacht hatte war ich auf keine halbwegs logische Erklärung gekommen.

Verlass mich nicht!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt