46. Die Brüder

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AZAD

„If we could look into each other's hearts and understand the unique challenges each of us faces, I think we would treat each other more gently, with more love, tolerance and care."

„Wir wollen dich verstehen können", Mirza durchbrach die Stille in meinem Wagen. Seit einigen Minuten fuhr ich den Weg, den mir Zümras Milchbruder beschrieb um bei ihnen zuhause anzukommen. „Erklär uns, wieso du Zümra erst so sehr verletzt hast, jetzt aber hier bist und versuchst sie für dich zu gewinnen", Mirza seufzte laut und starrte in mein Gesicht. Dadurch nahm meine Konzentration ab, denn die Nervosität stieg mir zu Kopf. „Können wir später darüber sprechen? Ich möchte nicht, dass das Gespräch halbherzig geführt wird", ich spähte kurz zu Mirza und über den Rückspiegel zu Muhammed Fatih. „Er hat recht, Abi (Bruder). Wir sprechen zuhause in aller Ruhe", Muhammed Fatihs Worte ließen mich lächeln. Obwohl er der jüngste unter seinen Brüdern war, handelte er viel zu reif für seinen Alter.

„Du musst Azad sein, herzlich willkommen mein Sohn", an der Tür begrüßte uns die Mutter der Brüder und bat uns rein. „Danke, dass ich hier über Nacht bleiben kann", ich lächelte die Frau vor mir herzlich an und öffnete dabei den Reißverschluss meiner Jacke. „Das ist doch nicht der Rede wert! Vor allem nicht, wenn es sich bei dir um unseren zukünftigen Schwiegersohn handelt", sie zwinkerte mit einem Grinsen im Gesicht und brachte mich in Verlegenheit. „Aber ganz besonders nicht, wenn es sich um den Enkel der besten Freundin meiner Mutter handelt! Die Welt ist so unfassbar klein, ich habe deine Großmutter geliebt!", liebevoll legte sie ihre Hand an meine Wange. „Übrigens bin ich Yasemin, Zümras Milchmutter", stellte sie sich vor und nahm meine Jacke aus meinen Händen, um sie an den Kleiderhaken zu hängen. „Und Jungs, Halil und Ibrahim kommen auch in einigen Minuten her", klärte sie ihre Söhne auf, die hinter mir standen. „Komm, ich stelle dich noch meinem Mann vor, dann darfst du mit den Jungs nach oben", das herzliche Lächeln von Zümras Milchmutter erwärmte mein Herz. Stumm folgte ich ihr und betrat das Wohnzimmer. „Mustafa, das ist Azad", sie lächelte und legte die linke Hand auf mein Kreuz. „Willkommen, mein Sohn", der Mann erhob sich und hielt mir die Hand hin. „Ich habe gehört, dass meine Schwiegermutter dich bereits kennengelernt hat, seit eurem Besuch fragt sie nur noch nach dir", er lachte, während ich seinen Handschlag erwiderte. „Das Aufeinandertreffen mit ihr war auch für mich etwas ganz besonderes, es hat sich so angefühlt als stünde meine Großmutter vor mir", ich lächelte aufrichtig. Als ich ein mir zu bekanntes Murren hörte, blickte ich um mich und erkannte Bisasam einige Schritte von mir entfernt. Ich ging in die Hocke und beobachtete, wie sich der Kater auf mich zu bewegte. Neben mir angekommen, schmiegte er sich gegen mein angewinkeltes Bein und murrte. Lächelnd strich ich ihm über das Rückenfell und spürte, wie sehr ich ihn eigentlich vermisst hatte. „Tut mir leid, kleiner Löwe, dass ich in letzter Zeit so ein Arschloch war", flüsterte ich kaum hörbar. „Seit Zümra hier ist, ist das kleine Pokémon bei uns", Mustafa Amcas (Onkel) Worte brachten mich unwillkürlich zum Lachen.

Bevor ich ihm antworten konnte, klingelte es an der Tür und die Zwillinge standen binnen einiger Sekunden im Wohnzimmer. „Wir entführen Azad mit nach oben", erklärte Halil während Ibrahim mir einen vielsagenden Blick zuwarf, der keinen Widerspruch duldete.
Stumm stellte ich mich hin und folgte ihnen auf die obere Etage, bis Halil hinter der Badezimmertür verschwand und wir mit Ibrahim das Zimmer betraten, dass er zusteuerte. Bereits jetzt wusste ich, dass der Abend kein angenehmer werden würde. Das Zimmer stellte sich als zweites Wohnzimmer heraus, in dem sich zwei Sofas und ein Sessel, ein dazugehöriger Couchtisch, ein Fernseher und ein Regal mit Filmen, Gesellschafts- und Videospielen befanden. „Setz dich, Azad Abi", Muhammed Fatihs Stimme beruhigte mich für einen Sekundenbruchteil und ich blickte zu ihm. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und er deutete auf den Sessel, der zwischen der beiden Sofas stand. Stumm nickte ich und ließ mich auf das gepolsterte Möbelstück nieder.

Fels in der BrandungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt