"Liz! Liz komm mal her!", rief es von unten, als das Mädchen sich gerade vor dem Spiegel die Haare zusammenband. Voller Freude stürmte sie die Treppe hinunter, denn es war ihr Geburtstag. "Guten Morgen Papa!" Grinsend fiel sie ihm um den Hals und umarmte ihn. "Weist du, Heute ist ein ganz besonderer Tag." "Natürlich!", erwiederte Liz. "Es ist ja auch schließlich mein Geburtstag!" Ihr Vater musste grinsen. Liz war ein sehr aufgewecktes Kind, sie konnte aber auch sehr temperamentvoll sein. "Ja, aber heute ist ein ganz besonderer Geburtstag, denn ich habe etwas für dich, das mit keinem Geld bezahlt werden kann." Er griff in seine Westentasche und holte ein glitzerndes Schmuckstück hervor. Liz war schon ganz neugierig, was es denn nun war. Bestimmt ein Geburtstagsgeschenk! "Das, Liz mein Kind, gehörte deiner Mutter. Sie hatte immer gesagt, du sollst es bekommen, wenn du alt genug bist, um es wertzuschätzen. Sie wollte es dir selbst geben aber... jetzt ist es etwas, das dich an sie erinnern soll." Die Augen des Geburtstagskindes funkelten, doch gleichzeitig machte sich ein flaues Gefühl der Sehnsucht breit. Noch nie hatte sie etwas so schönes gesehen. Es war eine Kette mit einem Anhänger in der Form eines Sichelmondes. Auf ihm waren verschnörkelte Muster und kleine Blumen eingraviert. "Pass gut darauf auf."
"Nächste Station Wankelsruh!" Ich erschrak bei der Stimme des Schaffners, öffnete schlagartig meine Augen und wischte mir eine Träne aus dem Gesicht. Ich muss wohl eingeschlafen sein. Das ist aber auch kein Wunder bei einer so langen Zugfahrt... Ich sah aus dem Fenster und erblickte zu meinem Erstaunen eine wirklich atemberaubende, malerische Landschaft. Ich hatte mir die Gegend ganz anders vorgestellt. Und hinter ein paar Bäumen konnte man schon einige Häuser erblicken, die einen langen Schatten auf den Boden warfen. Wir kamen dem Dorf immer näher und schließlich wurde der Zug langsamer und hielt an einem kleinen Bahnhof. Ich nahm meinen Koffer von der Gepäckablage. Viel hatte ich nicht dabei. Nur das nötigste und natürlich die Ersparnisse meines Vaters. Es war genug Geld, dass ich mir erstmal keine sorgen ums Arbeiten machen musste. Ich kann immer noch nicht glauben, dass er tot ist... Er war der Einzige den ich noch hatte, seit meine Mutter verschwand. Aber das ist der Grund, weshalb ich hier bin. Sie ist in Wankelsruh aufgewachsen und ich könnte mir vorstellen, dass sie wieder dort hin zurückgekehrt ist. Sie ist gegangen als ich noch klein war. Sagte sie müsste sich um wichtige Angelegenheiten kümmern und sei bald zurück. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie noch lebt. Aber wenn sie lebt, dann muss ich sie finden. Ich habe so viele Fragen und so viel, das ich ihr erzählen möchte. Aber so oder so wird mir ein Neuanfang weit weg von Zuhause und den Erinnerungen an meinen Vater gut tun. Ein Zuhause habe ich ohnehin nicht mehr.
Ich tat einen Schritt aus der geöffneten Zugtür heraus und atmete tief ein. Endlich frische Luft! Ich fing an mich zu strecken und zu lächeln. das habe ich seit tagen schon nicht mehr getan... Aber irgendwie machte es mich glücklich endlich hier zu sein und alles hinter mir zu lassen. Ich hoffte nur ich fände auf die Schnelle noch ein freies Zimmer, denn langsam wurde es dunkel. Also machte ich mich auf den Weg in das Dorf, denn der Bahnhof lag etwas außerhalb. Ein Steinweg führte an ein paar Bauernhöfen vorbei nach Wankelsruh. Es gab viele kleine Läden dort, doch die meisten waren schon geschlossen. Morgen werde ich mir alles genauer ansehen. Für ein Dorf kam mir Wankelsruh ganz schön groß vor. Die Häuser hier gefielen mir sehr. Einige hatten ein Ziegel-, andere ein Srohdach, aber fast alle waren Fachwerkhäuser. Im Garten von einem der Gebäude, an denen ich vorbeikam, beendete eine ältere Dame gerade ihre Gartenarbeit. Sie war kleiner als ich, oder es kam mir durch ihre gebückte Haltung nur so vor. Über ihrem Kleid trug sie eine rote, mit Karotten bedruckte Schürze, auf der Nase eine kreisrunde Brille und auf dem Kopf einen Sonnenhut aus Stroh. Sie erinnerte mich etwas an meine Oma. Auf einmal traf ihr Blick mich und sie grinste über das ganze Gesicht. "Ah...! Dich kenne ich ja noch gar nicht! Es passiert nicht oft, dass man hier neue Gesichter zu sehen bekommt. Ich heiße Hellena aber du kannst mich einfach Oma Hella nennen, so nennt mich hier sowieso jeder!" Sie sagte das in einem so freundlichen tonfall, dass mich ihr lächeln gleich ansteckte. "Mein Name ist Liz, ich bin gerade mit dem letzten Zug hier angekommen und bräuchte eine Bleibe. Wissen Sie zufällig, ob hier irgendwo ein Zimmer frei ist?" "Aber aber. Für eine Nacht kannst du doch gerne bei uns bleiben. Es ist doch schon so spät." Ich nickte lächelnd. "Das ist sehr freundlich, danke. Was schulde ich Ihnen dafür?" Ich fing an, nach meinem Portemonnaie zu kramen. "Ach Kind, steck das Geld weg, du brauchst doch dafür nicht zu bezahlen!" Ob alle Leute in der Gegend so gastfreundlich sind? "Komm rein Kind, ich mach dir erst einmal einen Kakao. Du kannst auch Tee haben, wenn du willst, aber dann verpasst du was. Ich mache nämlich den besten Kakao im Dorf, weißt du, früher habe ich ihn sogar oft für Reisende gemacht, als Stärkung." Nun erinnert sie mich noch mehr an meine Großmutter und als ich so auf der Eckbank im Haus saß und den Duft von heißer Schokolade vernahm, fühlte ich mich richtig wie Zuhause. Oma Hella kam mit einer übergroßen Tasse auf mich zu. "So Liz, was führt dich an diesen Ort?" Sie setzte sich mir gegenüber auf einen Stuhl und sah mich aufgeregt an. "Um ehrlich zu sein bin ich auf der Suche nach meiner Mutter. Sie ist hier aufgewachsen und ich dachte, ich könnte hier etwas über ihren Aufenthalt erfahren." Ich nahm einen Schluck von dem selbstgemachten Kakao. Er war wirklich gut, sie hatte nicht zu viel versprochen. "Wie heißt sie denn? Ich kenne jeden, der hier in den letzten 70 Jahren gelebt hat, "Elisabeth Zeidler, früher Kästner" Der Blick, der gerade noch so fröhlichen Frau, verfinsterte sich bei meinen Worten. Habe ich etwas falsches gesagt? "Oh...ja... Die hat hier gelebt, aber nicht lange. Sie ist weggezogen alsbald sie volljährig war." Hellena starrte auf den Boden. Stille. Warum reagiert sie so? Vielleicht mochte sie meine Mutter nicht besonders. Es verging eine Minute, dann zwei, doch es kam mir vor wie Stunden. Zwischendurch schlürfte ich immer wieder an meinem Heißgetränk.
Doch endlich wurde die Stille gebrochen, als jemand zur Tür hineinstürmte. "Oma! Oma schau mal, sie hat doch funktioniert!!" Vor uns stand ein Junge mit hellen, lockigen Haaren, die wohl schon länger nicht mehr geschnitten wurden. Außerdem trug er eine zerschlissenen Latzhose. In seiner Hand hielt er die Löffel eines Hasens, der so wirkte, als wäre er mit dieser Situation nicht besonders Zufrieden. Der Junge sah mich erst verwundert, dann mit einem breiten Grinsen an. Da viel mir auf, dass ihm ein Zahn fehlte. "Ach Oliver, bastelst du immer noch an deinen Tierfallen? Lass das arme Ding doch wieder frei!" Er jedoch würdigte seiner Großmutter nicht eines Blickes, sondern war fest auf mich fixiert. "Wer ist das?", fragte er, ohne seine Augen auch nur einmal von mir abzuwenden. Oma Hella wollte schon antworten, da stand ich auf, streckte meine Hand aus und stellte mich vor. "Mein Name ist Liz Zeidler, ich bin heute hier eingetroffen. Deine Großmutter hat mir freundlicherweise angeboten, über nacht zu bleiben. Er schüttelte meine Hand mit einem festen, fast schon schmerzhaften Händedruck. In der anderen Hand immer noch den Hasen haltend. "Oma hat schon lange keinen Besuch mehr gehabt" Er wirkte schon etwas seltsam. "Du lässt jetzt erst den Hasen wieder frei!", bevormundeten ihn die alte Dame. Der Junge schmollte. "Na gut", murmelte er und verschwand nach draußen. "Das war mein Enkelsohn Olliver. Praktisch erwachsen, verhält sich aber immernoch wie ein kleiner Junge... Entschuldige bitte sein schlechtes Benehmen.
Nach kurzer Zeit kam er wieder, ohne Hase.
"Oliver, du könntest Liz doch ihr Zimmer zeigen. Du weißt schon, das Gästezimmer." Er nickte und nahm mich an der Hand. "Komm mit!", meinte er begeistert und schliff mich hinter sich her, eine schmale, hölzerne Treppe hinauf. Dann nach links durch die Tür. Es war ein kleines, rustikales Zimmer mit einem Schreibtisch, einer Kommode und und einem Bett, das am Fenster stand. Alles in einem Pastelligen Mintgrün. "Aber falls du einen Albtraum hast, mein Zimmer ist gleich gegenüber." Er zwinkerte mir mit breirem grinsen zu.
"Ich war noch nie besonders ängstlich." Erwiederte ich. Ohne eine Miene zu verziehen, was ihm offenbar etwas den Spaß verdarb.
"Sei nicht so Aufdringlich!!", donnerte es dumpf von unten. Olliver zuckte zusammen, setzte erneut seine Schmollende Miene auf und fuhr dann fort:
"Du kannst dir dein Zimmer ja schon einmal genauer anschauen, ich hole dir solange deinen Koffer."
"Danke Oliver." Ich setzte mich auf das Bett, auf dem ein Daunenkissen lag. Ich hatte eher ein Strohbett erwartet. Dabei war es so weich und kuschelig. Es war ein langer Tag und ehe ich für einen Moment meine Augen zugemacht hatte, war ich auch schon weg. Das einzige, das ich noch hörte, bevor ich einschlief, war wie meine Zimmertür sich öffnete, jemand etwas abstellte und flüsterte: "Gute Nach Liz."
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Der Tulpenzirkel
FantasyNichts hatte sie mehr. Nach dem Tod ihres Vaters bleibt Liz nichts anderes übrig, als die Einzige noch Lebende ihrer Familie zu suchen, die seit langem Verschwunden ist. Ihe Mutter. Doch je tiefer sie in das Geheimnis ihres Verschwindens dringt, des...