Man hatte sie auf ihre Zimmer geführt, so dass sie dort den Staub ihrer Reise abwaschen und sich umziehen konnten. Er ließ sich dabei Zeit. Nicht dass er eine große Auswahl an Kleidung mitgebracht hätte, unter der er nun wählen musste. Er wollte seine Gedanken sortieren, ehe er zum Abendessen ging. Durchgehen welchen Freunden und welchen Schuldnern er morgen einen Besuch abstatten musste.
Das alles würde Zeit in Anspruch nehmen. Und noch mehr Zeit, bis er die Schulden alle eingetrieben hatte. Zeit, die er seiner Ansicht nach, einfach nicht hatte.
Auch wenn man ihm ein Ultimatum von zwei Mondläufen gewährt hatte.
Er war einfach zu alt für diese Art Sorgen, die ihn in die Hauptstadt geführt hatten.
Schwerfällig goss er sich etwas Wasser in die Waschschüssel und wusch sich müde das zerfurchte Gesicht. Er sollte sich bald wieder rasieren, schoss es ihm durch den Kopf, als er die feinen Bartstoppel an den Stellen spürte, wo sonst keine waren.
Es war schon seltsam, dass man selbst in solchen Situationen, Gedanken an so unwichtige Kleinigkeiten verschwenden konnte. Nichtsdestotrotz würde die Routine ihn ein wenig beruhigen. So zog er das kleine, scharfe Messer aus seiner Lederhülle und begann mit der Klinge vorsichtig über die Haut zu schaben. Er brauchte keinen Spiegel, um zu wissen wo er langfahren musste. Schon seit Jahrzehnten waren es immer dieselben Handgriffe, da er die Form seines Bartes nie verändert hatte.
Er war ein Mensch, der keine großen Veränderungen mochte. Er liebte es, wenn alles so blieb, wie es war. Nicht selten hatte er mit seinem Sohn Diskussionen darüber geführt, dass ihre Baronie Reformen brauchte.
Er sah das anders. Es war immer gut gewesen, und würde es auch bleiben. Zumindest solange er die Verantwortung hatte.
Doch hatte er sich die Argumente, die er ihm vorgebracht hatte, stets angehört und darüber nachgedacht. Er erkannte durchaus, dass die vorgeschlagenen Veränderungen durchaus ihren Sinn hatten. Aber er war einfach zu alt.
Nachdem er mit seiner Rasur fertig war, säuberte er das Messer und packte es wieder ordentlich ein. Er wusste, dass die Magd das Wasser später austauschen würde, so dass er für den Morgen wieder frisches dort stehen hatte.
Er legte sich einen frischen Wams an, der optisch keine Unterschiede zu dem anderen aufwies, ehe er sich auf den Weg nach unten machte.
Noch bevor er den Gastraum betrat, konnte er die Musik vernehmen, die dort gespielt wurde. Offensichtlich war heute ebenfalls eine Gruppe von Barden hier eingekehrt und bezahlten, wie es üblich war, für ein Nachtlager und Verköstigung, mit ihrer Kunst.
Es herrschte eine gute Stimmung. Die Musiker verstanden wohl etwas von ihrem Handwerk. Sie waren zu viert. Ein Trommler und drei Lautenschläger. Jede Laute war anders geformt und sie besaßen eine unterschiedliche Anzahl an Saiten.
Drei der Barden konnte man schon fast als riesenhaft bezeichnen, während der vierte unter ihnen, nicht nur wegen seiner normalen Größe, sondern auch seiner Kleidung herausstach. Er trug einen roten, breitkrempigen Hut, der an beiden Seiten hochgeschlagen und mit einer langen Feder verziert war. Die schmale Gestalt steckte in einem enganliegenden Wams, der bis über die Waden reichte und ebenfalls in Rot gehalten war. Lediglich die Stoffhose und die Stiefel hatten einen einfachen, satten Braunton.
Aufgefallen war er dem Baron, weil er seiner Nichte zugewandt war, die bereits im Schankraum weilte und sich zu den Barden gesellt hatte.
Sie trug nun ein einfaches Kleid aus Leinen und dünne Lederschuhe. Ihren Zopf hatte sie geöffnet und die Haare ordentlich ausgebürstet, so dass sie nun wie ein Mantel aus prachtvollen Locken über ihren Rücken fielen.
Gerade spielten die Barden eine Ballade aus Yasin.
Sie erzählte von der Liebe eines Ritters zu einer Bachnymphe. Vermutlich hatten sie es auf Bitten seines Mündels hin gespielt.
Im Refrain sang sie mit und in den Szenen wo die Nymphe sprach, hatte die Gruppe ihr den Gesang allein überlassen.
Der junge Lautenspieler, mit dem roten Hut, sang dafür den Part des unglücklichen Jünglings und immer wieder brach freundlich, spöttisches Gelächter seiner Kollegen und der anderen Gäste aus, wenn er die Rothaarige besonders übertrieben anschmachtete.
Sie fand offensichtlich Spaß daran. Ihre Wangen waren gerötet und das Funkeln ihrer Augen konnte er bis hier sehen. Er nahm an dem Tisch platz, der für ihn vorbereitet worden war und griff nach der Karaffe um sich Wein einzuschenken.
Er gönnte es ihr, dass sie für heute Abend den Kummer vergessen konnte. Sie war jung. Und die Jugend spürte die Last der Sorgen nicht wie das Alter. Für einen Moment schloss er die Augen, als er den ersten Schluck aus dem Kelch nahm und lehnte sich zurück. Sie hatte wirklich eine schöne Stimme. Nicht ausgebildet, aber trotzdem schön anzuhören. Ein Lächeln umspielt seinen Mund. Sie kamen nun an die Stelle, an der die Nymphe den Krieger in sein Verderben zieht und sie erst bei seinem letzten Atemzug erkennt, dass sie seine Liebe erwidert.
Ob es in Wirklichkeit ebenso war, das wusste er nicht zu sagen. Es gab unzählige Mythen und Legenden über diese Wesen. Vor allem über die Wassernymphen. Sie sah man wesentlich seltener als jene des Waldes, oder der Wiesen. Und was man über sie wusste, waren lediglich Mutmaßungen aus alten Volksgeschichten. Weitererzählt von Generation zu Generation. Und wie jeder wusste, erfand ein Erzähler stets etwas dazu, oder ließ etwas weg. Wer konnte also schon wissen, was der Wahrheit entsprach, und was nicht? Er jedenfalls nicht.
Das Rücken eines Stuhls ließ ihn die Augen öffnen und er blickte in das Gesicht einer glücklichen jungen Frau, die das erste Mal in ihrem Leben wohl direkt von einer Bande charmanter, junger Männer umgarnt worden war. Er würde später mit ihr über die Gefahren in der Stadt sprechen und eine seiner Wachen anweisen sie auf Schritt und Tritt zu begleiten.
„Du hast eine schöne Stimme, Gwyn, aber das habe ich dir ja schon oft genug gesagt.", meint er schmunzelnd. Sie selbst goss sich Wasser ein. Zwar durfte sie schon Wein trinken, sie mochte aber die, wie sie sagte, vergorenen Früchte nicht besonders.
Er nahm noch einen Schluck aus seinem Kelch und legte sich und ihr dann etwas von dem kalten Braten, Käse und Brot auf die Holzteller.
Sie lächelte, noch immer verlegen ob seines Kompliments und nahm erst einmal einen großen Schluck aus ihrem Becher. Dann strich sie sich die Haare nach hinten und sah ihn aufmerksam an. „Onkel? Was genau haben wir morgen vor? Wie kann ich dir helfen?"
Langsam hob er eine Augenbraue und belegte sich dann das Brot mit dem Fleisch, ehe er antwortete. „Morgen Vormittag werde ich einige Gefallen und Schulden einfordern. Dabei kannst du mir nicht helfen." Er sah bereits die Enttäuschung in ihrem Gesicht aufblitzen und wie sie den Mund zu einem Protest öffnete. Doch er kam ihr rasch zuvor. „Am Nachmittag müssen wir uns aber beim Fürsten vorstellen. Es wäre nicht nur unhöflich, es nicht zu tun, sondern geradezu eine Beleidigung. Deshalb möchte ich dass du mir die passenden Sachen am Vormittag rauslegst und dafür sorgst dass ein Bad bereitsteht, wenn ich zurückkomme. Du solltest auch gebadet haben und dein bestes Kleid anziehen." Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als sich ihr Gesicht bei der Aussicht auf ein Bad erhellte. Sie war schon immer dem Wasser in jeglicher Form sehr zugetan gewesen. „Und was du in der Zwischenzeit machst, das ist dir überlassen. Vielleicht gehst du auf den Markt und schaust dir an was sie hier zu bieten haben. Du weiß sicher was wir zu Hause benötigen und worüber sich unsere Köchin freuen würde." Sie nickte zu seinen Worten. „Ja, Onkel, darum werde ich mich morgen alles direkt kümmern! Du wirst sehen! Du wirst froh sein dass du mich mitgenommen hast! Versprochen!"
Mit einem leichten Lächeln widmete er sich dann seinem Mahl. Den Rest des Abends verbrachten sie großteils schweigend, ehe sie sich eine gute Nacht wünschten und sich beide auf ihre Zimmer zurückzogen. Morgen war viel zu erledigen und beide hatten ihre Gründe dafür ausgeschlafen sein zu wollen.
YOU ARE READING
Najadenblut - Der Preis der Freiheit
FantasíaSorgenvoll blickt das Fürstentum Marnien auf seinen Nachbar Kas'la'tar. Dort herrscht ein Kriegsfürst, der in den letzten zehn Jahren die Grenzen seines Landes immer weiter ausgedehnt hat. Als erster kriegerischen Akt, wurde der Sohn eines Baron bei...