Kapitel 1

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Mein Handy klingelt. Es liegt im Wohnzimmer auf dem Glastisch weshalb ich es fast hüpfen hören kann. „Ich sollte echt mal diese Vibrationfunktion aussschalten" sage ich zu mir selbst. Ich stehe vor dem Spiegel mit einem Turban auf dem Kopf im Bad und drücke mir den letzten Mitesser unter meiner Nase aus. Warum sollte ich rangehen? Ist doch eh nur wieder meine Mutter die sich fragt was ich so mache und ob sie für mich mitkochen soll. Es hört auf. Na endlich.

Ich gehe aus dem Bad, ziehe mein Handtuch enger um mich, damit ich bloß nicht noch einmal eine Beschwerde für inakzeptables Verhalten gegenüber der Kinder von meinen Nachbarn bekomme (Was kann ich denn dafür wenn die in meine Wohnung schauen?) und marschiere ins Wohnzimmer. 2 Nachrichten. Eine von Dani und eine auf meiner Mailbox. Dani kann warten. Meine Mutter nicht. Es scheint etwas wichtigeres zu sein, wenn sie schon auf den AB spricht.

„Hey Lisbeth, ich weiß, es ist schon eine Weile her, dass ich mich bei mir gemeldet habe, aber du fehlst mir. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an dich denke. Das mit uns, das war irgendwie besonders..." Es ist nicht meine Mutter. Es ist Phillip. Entgeistert schaue ich auf das Display. Panisch hacke ich auf den Bildschirm ein. Meine Reflexe sind so schnell, dass mein Gehirn gar nicht hinterherkommt, denn auf einmal hört er auf zu sprechen und ich befinde mich im Hauptmenü meines Handys.

Nach kurzer Stille habe ich mich wieder gefangen und zucke mit den Schultern.

„Wow." denke ich. „Das fällt ihm ja früh ein. Wirklich." in einem Anfall von Wut, schleudere ich mein Handy direkt auf den Boden. Puh. Nur auf den Teppich.

„Es ist schon ein wenig her dass ich mich gemeldet hab..." wiederhole ich ihn spöttisch und mit nasaler Stimme. Drei verfickte, verdammt harte Jahre ist es her!

Ich hatte mich gerade von jeglichem Schmerz erholt, war umgezogen, war mit jedem noch so hässlichem Typen ins Bett gestiegen, hatte mir zwei Katzenbabys für die Stunden ohne Schlaf geholt und den Kontakt zu jeglichen Personen abgebrochen die damals auf seiner Seite standen. Nur einen Fehler begann ich ohne es zu wissen: Ich vergaß meine Nummer zu wechseln. Damals hatte ich ihn bei allen sozialen Netzwerken blockiert und seine Nummer gesperrt, doch meine eigene Nummer behielt ich. Weshalb auch wechseln? Mein Anbieter war toll und wurde in jedem Bundesland vertreten.

Ich schweife ab. Wie immer.

Ich hocke mich hin, ziehe mein Handtuch etwas höher, greife nach meinem Handy und überlege fieberhaft, während ich noch wie ein verträumtes Kleinkind am Boden sitze, ob ich ihn zurückrufen soll.

Wahrscheinlich hatte seine Ehefrau ihn abserviert oder er hatte Stress mit seinen Eltern. Das zumindest wären zwei, für mich annehmbare Gründe, sich bei mir zu melden.

Ich bin Therapeutin. Nein, ich war, Therapeutin. Und er, Phillip, er war mein Client.

Schon in der Vorstellungsstunde hatte ich mich in ihn verguckt. Er war nicht besonders groß, hatte grüne neugierige Augen, Blondes, volles Haar und trug die Kombination an Klamotten die ich so sehr liebte: Weißes Hemd, darüber einen Pullover, blaue Jeans und braune Lederschuhe. Eben einfach schick. Was ich damals nicht und erst nach 4 Jahren Beziehung wusste: Dieses Outfit hatte seine Frau für ihn zurechtgelegt. Überhaupt war es ihre Idee gewesen ihn therapieren zu lassen und nicht sein genialer Einfall als seine Freundin ihn verließ und er deshalb beschloss sein komplettes Leben umzustellen. Ja, Ich war naiv, aber die Mitleidsmasche hatte funktioniert. Denn genau diese Aussage hatte die Wirkung auf mich auf die er zielte: Ich empfand Sympathie für ihn. Oder eine Art Mutterinstinkt wie ich ihm bei unserer letzten Begegnung verzweifelt an den Kopf zu werfen versuchte. Damals lachte er. Und heute, da lache ich. Gut, dass man sich verändert.

Tatsächlich drücke ich auf Rufnummer zurückrufen und warte 10 Pieptöne ab. Er geht nicht ran. Ah, wir spielen jetzt das „Katz und Maus - Spiel" und fast muss ich bei diesem Gedanken anfangen zu grinsen.

„Gut, dann halt nicht." sage ich laut. „Hätte sowieso nicht gewusst was ich hätte sagen sollen..." und genau in diesem Moment fängt mein Handy wieder an zu vibrieren.

Mein Hände werden schwitzig, mein Herz klopft. Was will er bloß von mir? Ich versuche den naiven Gedanken daran, dass er mich eventuell um ein Treffen bitten könnte, weg zu schieben. Ich glaube unterbewusst also wirklich dass er sich verändert hat. Der Typ, wegen dem ich jahrelang keine Liebesfilme gucken konnte, weil es mich ansonsten zu Heulkrämpfen gebracht hätte, soll sich verändert haben. Oh je. Ich bin immer noch ein naives Kind.

Ich nehme den Anruf an. Nichts passiert. Ich warte auf seine Stimme, doch da kommt nichts. Ich nehme mein Handy vom Ohr und schaue auf das Display. „Hm, er scheint aufgelegt zu haben." sage ich zu meinem Kater Jerry, der gerade von der Küche aus zu mir schleicht. Er bleibt vor mir stehen und schaut mich verwirrt an. Normalerweise begebe ich mich nicht auf seine Augenhöhe. Inzwischen bin ich zur Seite gekippt und sitze nun im Schneidersitz mit dem Rücken an meinem Sofa auf dem Boden. Das Handtuch bedeckt jetzt nur noch knapp meine Oberschenkel. Aber was soll's, hier sieht mich ja eh niemand.

Mein Sofa ist grau und in L-Form. Es ist das einzige Möbelstück welches ich mir von meiner Mutter habe andrehen lassen. Meine Mutter ist so ziemlich die normalste Frau die ich kenne. Ihre Freunde, die sie noch aus ihrer Schulzeit kennt, nennen sie 0815. Man könnte meinen, sie stammt aus einem Lebensberater - oder Kinderbuch.

Alles was sie betrifft ist nahezu perfekt. Ihr Aussehen, ihr Charakter, ihre Ehe, ihr Haushalt, ihr Essen, selbst Bruno, ihr zwei Jahre junger Hund ist nahezu perfekt.

Und dann komme ich. Chaotisch, launisch, arrogant. Und das sind noch die guten Beschreibungen...

Jedenfalls findet meine Mutter alle Dinge toll, die auch jeder Andere hat. Ich glaube, sie hat den Reiz am Individuum nicht so ganz verstanden. Dieses graue Sofa musste also mit. Und ich muss ehrlich sagen, dass es mir inzwischen richtig gut gefällt! Zu Anfangs wollte ich noch den Bezug wechseln, doch weiß ich genau wie sehr es sie gekränkt hätte. Das kann sie nämlich auch nahezu perfekt: einem ein schlechtes Gewissen machen.

Stattdessen habe ich einfach alles drumherum so ausgefallen wie möglich gemacht.

Stille.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 07, 2020 ⏰

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