Blutseher

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Das Blut war warm. Ein fliessendes Geräusch. Gefühlvoll, sanft und von unbändiger Kraft. Ich sah es im Körper des einzigenartigen wunderschönen Jungen mit den mysteriösen seltsamen Augen. Es war dunkel, rot und berührte meine Seele tief im Innern. Ich konzentrierte mich darauf, wie es im Körper des Jungen pulsierte. Doch die mächtige Gabe mit der ich mit einem Mal erfüllt war, wie immer wenn ich das Blut anderer Menschen las um ihre Gefühle wahrzunehmen, konnte sich der Kraft die von dem Jungen ausging nicht stellen. Seine Gefühle blieben vor mir verborgen, obwohl ich sein Blut deutlicher spürte als jedes zuvor. Es berauschte mich fast. Was war bloss los mit mir?                              

Erst da bemerkte ich den Blick des Jungen, der auf mir ruhte. Verwirrt blinzelte ich. Er starrte mich an. Ernst und wissend, geheimnisvoll, aber nicht bösartig. Dann schneller als ich blinzeln konnte, war er verschwunden und in mir blieb nur die Leere die sein Blut gefüllt hatte.

1. Kapitel

Es regnete. Natürlich, was sonst? Für einen trostlosen November war England ja schliesslich bekannt.

Seufzend richtete ich mich auf. Mein Traum schoss mir wieder ins Gedächtnis und liess mich erschaudern. Konnte er wahr sein? Gab es wirklich jemanden dem es gelang, sich mir zu widersetzen? "Nein!" Die Stimme in meinem Kopf schmetterte diese Möglichkeit sofort ab und ich beschloss, dass ich irgendwann anders heute bestimmt noch die Möglichkeit haben würde, mir darüber Sorgen zu machen. Nur nicht jetzt! An seinem erstem Schultag in einer neuen High School sollte sich ein normaler Mensch nämlich zuerst einmal dafür entscheiden was er anzieht und sich nicht über seltsame Träume den Kopf zerbrechen, in denen es ums Blutlesen geht von dem ja eh niemand ausser mir eine Ahnung hat.

Ich schlug die Bettdecke zurück und sprang auf. Der Fussboden war so eisig kalt, dass ich zurückzuckte. Ich seufzte. Dieses Haus konnte man wirklich für nichts gebrauchen! Seit mein Dad und ich hier eingezogen waren, das hatten wir zum Glück in den Herbstferien erledigt, sodass ich mich erst einleben konnte und nicht gleich mit der Schule konfrontiert wurde, ging fast jeden Tag etwas anderes kaputt. Vorgestern hatten sich beim nächtlichen Sturm vier Dachziegel gelöst und am letzten Montag war ein Fensterladen abgefallen und hätte meinem Dad, der zufällig darunter stand fast einen Schädelbruch beschehrt, wenn der sich nicht noch im letzten Moment in Sicherheit gebracht hätte.

Jedenfalls war jetzt wohl die Heizung dran.

Auf dem Weg ins Badezimmer, blickte ich aus dem Fenster und sah, dass mein Dad noch da war. Ich verdrehte die Augen. Bestimmt wollte er mir am meinem ersten Schultag beistehen und mich nicht aus den Augen lassen bis ich das Haus verliess.

Meine Haare sahen mal wieder furchtbar aus. Völlig zerstrubbelt und verfilzt hingen sie meinen Rücken hinunter. Skeptisch betrachtete ich mich im Spiegel. Dann seufzte ich, schon wieder, und stieg unter dir Dusche. Natürlich traf mich Eiswasser. Verfluchte Heizung! Ich duschte im Schnelldurchgang um so schnell wie möglich der Kälte zu entkommen und als ich fertig war und die Dusche verliess, zitterte ich am ganzen Körper. Ich rubbelte meine Haare trocken und föhnte bis sie halbwegs akzeptabel aussahen. Eigentlich waren sie gar nicht so schlimm. Dick, schwarz und gewellt. Sie passten zu mir. Meiner gebräunten Haut und meinen grossen cappucinofarbenen Augen. Ich starrte mich eine Weile an und dachte an meine Mum. Ich sah aus wie sie. Schnell verdrängte ich den Gedanken. Ich wollte mich nicht an ihren Tod erinnern und auch nicht an die Gefühle die ich damals in ihrem Blut gesehen hatte. Sie waren auf mich eingestürzt und hatten mich genauso traurig und verzweifelt gemacht wie meine Mum es gewesen war als sich herausstellte, dass der Krebs sie besiegen würde.

Ich schluckte. Deshalb waren wir auch von den  Philippinen ins kalte England gezogen, nach London wo mein Vater ursprünglich herkommt. Dad hatte es nicht mehr ausgehalten in dem Haus zu wohnen in dem wir mit Mum gelebt hatten und ich konnte es ihm nicht verübeln. In jeder Ecke hatte man ihre Presenz gespürt als wäre sie noch da.

Naja jedenfalls waren wir jetzt hier und mich musste mich beilen um noch rechtzeitig in die Schule zu kommen. Schnell rannte ich in mein Zimmer zog mir eine dunkle Jeans und eine rote kurzärmlige Bluse mit V-Ausschnitt an. Dann zog warf ich mir den Trageriemen meiner Tasche über die Schulter und polterte die knarrige Holztreppe hinunter in die Küche. Dad sass am Tisch und trank Kaffee. Ich schnappte mir eine Schüssel und stürzte eine Portion Cornflakes runter. "Und bist du nervös?" Dad holte mich aus meiner Hektik. "Nein", flüsterte ich, doch lügen war noch nie meine Stärke gewesen. Manchmal wunderte ich mich wie ein so schlechter Lügner wie ich es schaffte vor allen Menschen sogar vor meinen Eltern, jetzt nur noch meinem Dad, zu verbergen, dass ich ihr Blut im Körper sehen und ihre Gefühle wahrnehmen konnte, wenn ich das wollte. Aber irgendwie ging das anscheinend. Jedenfalls hob er nur zweifelnd eine Augenbraue und liess mich in Frieden. Ich stand auf und zerrte meine dunkelbraunen Stiefel aus dem Schrank, zog mir meine schwarze Lederjacke an, winkte Dad zum Abschied zu und machte mich auf den Weg.

Es war nicht schwer die Schule zu finden. Die U-Bahnhaltestelle hiess nämlich genau so. London High School. Ich stieg aus und atmete tief durch. "Du schaffst das!", redete ich mir ein, aber da ich wusste, dass es nichts bringen würde hörte ich schliesslich auf damit. Wahrscheinlich würde man mir gar keine Beachtung schenken. Ich eilte durch die unterirdischen Tunnel bis ich den richtigen Ausgang gefunden hatte. Eine Gruppe anderer Schüler lief vor mir her die Treppen hinauf und da sie mich nicht beachteten, konnte ich sie meinerseits umso genauer betrachten. Sie waren alle in meinem Alter. Drei Jungs und zwei Mädchen. Eines war blond. Ihre Haare waren zweifelos gefärbt und ihre Klamotten sahen ziemlich teuer aus. Ein blauer kurzer Rock, eine dieser superfeinen Strumpfhosen die schon bei der kleinsten Berührumg reissen, eine dunkelblaue Jacke im gleichen Farbton wie der Rock, ein schwarzweisses Halstuch, Absatzschuhe und sie trug eine teure Guccitasche über dem Arm die ich mal in einem Katalog gesehen hatte und die bestimmt das Dreifache aller meiner Taschen zusammen kostete. Na super. Ich schaute in sie hinein, doch ihr Blut war nichts besonderes. Ich sah darin nur, dass das Mädchen Isabel hiess und einen der drei Jungs die mit ihnen unterwegs waren unheimlich toll fand. Anscheinend hiess er Caleb. Ich wollte gar nicht wissen wer Caleb war denn erstens ging es mich nichts an und zweitens interessierte es mich auch nicht sonderlich.

Ich nahm die anderen 4 unter die Lupe und stellte fest, dass sie wenigstens normal gekleidet waren. Was ein Glück!

Inzwischen befanden wir uns vor der Schule. Von allen Seiten kamen Schüler und begrüssten einander. In dem ganzen Tumult hatte ich völlig den Überblick verlohren und musste mich dreimal erkundigen bis ich das Sekretariat fand. Das konnte ja heiter werden! Vor dem Sekretariat bleib ich stehen. Meine Hände verkrampften sich um die Türklinke. Ich spielte mit dem Gedanken wieder nach Hause zu fahren, wusste aber, dass das nur Aufschub wäre. Schliesslich gab ich mir einen Ruck und trat ein.

 

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