Echte Freunde?

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Dass diese Situation hier der Wirklichkeit entsprach, war mir bis zum jetzigen Zeitpunkt immer noch nicht ganz klar.
Es war warm, viel zu warm für einen normalen Frühlingstag.
Meine sonst schon strubbligen braunen Haare standen nun wirklich in alle Richtungen ab und der Schweiß lief über meine Stirn.
"Yo Vincent, ich wollt eigentlich nur kurz fragen, ob du mein Trauzeuge sein willst." Diese Worte hatte Dag vor ein paar Monaten laut herausposaunt, als er in mein kleines Tonstudio spaziert war.
"Du und heiraten? Ich dachte Romantik sei nur abgebrannte Kerzen?" Ich hatte das Ganze für einen blöden Scherz seinerseits gehalten und nur drüber gelacht und nun stand ich auf einer kleinen Dachterrasse und sollte mich mit Emma treffen.
Emma war die beste Freundin von Lisa, also Dags zukünftiger Frau.
"Hey." Die Stimme hinter mir klang schüchtern, war leicht außer Atem und war trotzdem der Auslöser der leichten Gänsehaut, die sich nun bei mir ausbreitete.
Ich drehte mich um, stand nun mit dem Rücken zum hölzernen Geländer und schaute in wunderschöne blaue Augen.
"Hey, du bist sicher Emma, oder?" Ich schaute auf die Frau, die etwa in meinem Alter war. Ihre braunen Haare fielen ihr locker über die Schulter und ihr Outfit ließ sehr auf einen sportlichen Stil schließen.
"Ja die bin ich live und in Farbe." Ein zartes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen und sie streckte mir ihre Hand entgegen. Doch ich war noch nie dieser steife Business-Typ gewesen und so zog ich sie sofort in eine kurze Umarmung.
"Vincent. Schön, dass wir uns endlich kennen lernen. Ich hab schon so einiges von dir gehört."
Ich strich mir, wie immer wenn ich nervös war, durch meine kurzen Haare am Hinterkopf und schaute mich etwas um.
"Wollen wir uns vielleicht setzen? Das ist dann doch etwas gemütlicher als hier rumzustehen." Sie lächelte und nickte fröhlich, schaute sich ebenfalls um und zeigte gleichzeitig mit mir auf einen kleinen Tisch direkt am Geländer.
"Zwei Doofe ein Gedanke." Sie musste lachen und ich ging langsam zu dem Tisch und zog ihr den Stuhl etwas nach hinten, damit sie sich hinsetzten konnte.
Ihr Lächeln war zurückhaltend, aber ich erwiderte es sofort und setzte mich ihr gegenüber an den Holztisch.
"So und wir sollen jetzt eine Hochzeit planen? Hast du irgendwelche Ideen?" Ich hatte mich bequem nach hinten gelehnt und schaute nun zu der braunhaarigen Frau.
"Ja wahrscheinlich viel zu viele, aber fang du doch erstmal mit deinen Ideen an." Sie hatte eine Mappe rausgeholt und in mir stiegen ein paar Schuldgefühle auf.
Ich hatte gar nichts vorbereitet, hatte so etwas noch nie mitgemacht und keinen Plan warum man so etwas überhaupt feierte.
Heiraten an sich war für mich eigentlich immer ein Rätsel gewesen. Musste man denn durch ein Blatt Papier beweisen, dass man sich wirklich liebte?
"Ich also. Ich hatte ehrlich gesagt auf deine Ideen gehofft. Ich hab so etwas noch nie gemacht und auch um ehrlich zu sein keine Ahnung, was man da so alles macht." Ich schaute entschuldigend zu ihr und sie begann zu lachen.
"Macht ja nichts, Lisa hat mich schon vorgewarnt, dass ich mit einer Gefühlsamöbe zusammenarbeiten muss." Sie blätterte bis zu einer relativ bunten Seite und reichte mir diese dann.
"Gefühlsamöbe? Nur weil ich nicht der große Romantiker bin, heißt es ja nicht gleich, dass ich überhaupt gar keine Gefühle habe." Ich war schon leicht beleidigt, wobei das Wort Gefühlsamöbe wahrscheinlich auf den Mist meines besten Freundes gewachsen war.
"Wie findest du es, wenn wir das Ganze nicht wie eine dieser klischeehaften Hochzeiten aufziehen? Weder Dag noch Lisa sind, glaub ich, erfreut, wenn wir mit dämlichen Spielen ankommen."
Ihr Blick war fragend und ich blickte auf den Zettel, der vor mir lag. Es war eine Auswahl an Kleidern und ich schaute nun ebenfalls fragend zu dem Gesicht, das mich immer noch musterte.
"Bloß keine Spiele! Das einzige Spiel, was Dag mitspielen würde, wäre irgendein Trinkspiel und das möchte wirklich niemand." Sie begann zu lachen und nickte.
"Genau das hab ich mir auch schon gedacht." Emma schaute weiter durch ihre Mappe und ich versuchte zu mindestens irgendetwas zu erkennen.
"Was soll ich eigentlich mit Kleidern? Ist das irgend so ein Brauch, den ich verpasst habe? Wir stecken den Trauzeugen in ein Kleid und verheiraten ihn?" Mit einer Hand schob ich den bunten Zettel vor mir zurück und winkte mit der anderen Hand den Kellner zu uns.
"Nein, ich wollte mich nur etwas farblich an dein Outfit anpassen, außerdem konnte ich mich nicht entscheiden, welches ich nehmen soll." Ihre Schultern zuckten leicht nach oben und sie schob mir die neuen Zettel zu.
"Möchten Sie auch etwas essen?" Der Kellner neben mir brachte mich erst etwas aus dem Konzept, doch schnell schaute ich zu meiner Begleitung und schüttelte dann genau wie sie den Kopf.
"Ich würd nur ein Wasser nehmen." Emma schaute den blonden Kellner an und ich nickte
"Mach zwei draus." Nun nickte er und ging wieder.
"Also ich wäre für einen kleinen Empfang nach der Trauung, Wasser, Sekt und Saft. Und dann könnten wir ja langsam zu dem gemieteten Raum gehen. Also wir beide dann eventuell vor und der Rest kommt einfach nach." Sie wollte gerade noch weitererzählen, doch ich legte vorsichtig meine Hand auf ihre. Sie schaute erst auf unsere Hände und mir dann etwas überrascht ins Gesicht.
"Ganz langsam. Also du schlägst vor, dass wir von der Trauung zu dem Raum gehen, in dem alles Weitere stattfinden soll? Wo ist der Raum denn überhaupt? Wer hat ihn gemietet und wie viel Platz ist dort?" Ich schaute sie lächelnd an und wollte sie etwas entspannen, da sie mir eindeutig zu schnell sprach.
"Den hat Dag gemietet, der ist nur zwei Ecken vom Standesamt entfernt, rein passen tun wohl um die 150 Personen, eingeladen haben die beiden 60." Sie wühlte in ihren Unterlagen und ich schüttelte nur lachend den Kopf.
"Super, das heißt im Grunde ist das Wichtigste schon fertig? Fehlt nur noch die Versorgung mit Nahrung und Dekoration?" Bei dem letzten musste ich selbst schon fast lachen, Dekoration war eigentlich so überhaupt nicht meins, zu Weihnachten gab es vielleicht alle drei Jahre mal einen Baum und auch sonst hielt ich nichts von diesem Firlefanz.
"Ja genau, um das Essen wollte sich aber Lisa selbst kümmern, also im Grunde sollten wir uns jetzt noch darum kümmern, wie wir die Personen so setzen." Immer mehr Zettel zog die Braunhaarige hervor und ich verdrehte innerlich schon die Augen.
Sie redete und redete und ich nickte hin und wieder, oder trank einfach mein Wasser.
"Du Emma, nimm es mir nicht übel, aber Dag wollte noch zu mir rumkommen und wir wollten mal nach Anzügen schauen."
Eigentlich wollten wir nur weiter an unserem Album schreiben, aber ich wollte ihr wenigstens das Gefühl geben, dass ich noch weiter planen würde.
"Ist doch kein Problem, Vincent, das meiste haben wir doch jetzt auch." Ihr Lächeln war ehrlich und ich begann fröhlich zu nicken.
"Ja, da hast du recht, war auch echt schön mit dir." Ich winkte den blonden Kellner von vorhin zu uns und drückte ihm das Geld mit einem Lächeln in die Hand.
"Dann ehm meld dich, wenn du noch Hilfe brauchst." Ich schaute sie noch ein letztes Mal an und zog sie ein letztes Mal für heute in eine Umarmung.
"Ja, mach ich, wir sehen uns Vincent." Sie hob kurz die Hand und unsere Wege trennten sich.
Ich war total verwirrt, zum einen ging mir dieses quirlige Wesen komplett auf die Nerven, aber zum anderen war die letzte Stunde schön gewesen.
Ihre Ausstrahlung und das bildschöne Lächeln hatten mich einfach in einen Bann gezogen.
Ich schüttelte kurz den Kopf und kämpfte mich dann durch die mit Menschen gefüllten Straßen.
20 Minuten später fiel ich völlig kaputt und genervt auf die kleine, braune Couch in meinem Tonstudio.
Dag und ich saßen hier immer, egal ob wir nun Lieder schrieben, redeten oder auf einer meiner Konsolen daddelten.
Kurze Zeit später stolperte dieser auch durch die Tür und ging direkt weiter zum Kühlschrank, um sich ein Bier zu holen.
"Yo Vince wie war's? Emma ist Bombe, oder?" Er ließ sich direkt auf den freien Platz neben mir fallen und blickte mich nun über seine Schulter zwinkernd an.
"War echt super, Emma ist in Ordnung würd ich sagen, aber redet die immer so viel?" Ich sah, wie mein bester Freund sich ein Lachen verkneifen musste.
"Ja, sie redet immer so viel. Du klingst ja echt begeistert, ich hab eigentlich gehofft, dass aus euch noch etwas wird." Er boxte leicht gegen meine Schulter und mir blieb das Lachen im Halse stecken.
"Und ich bin echt mit dir befreundet? Ich meine, mein bester Freund würde doch niemals so einen Plan aushecken." Es war diese typische Neckerei zwischen uns und er zuckte mit den Schultern.
"Du musst doch auch mal einsehen, dass deine große und echte Liebe irgendwo rumläuft und Emma passt doch wie die Faust auf's Auge zu dir." Er hatte sein Bier weggestellt und schaute nun ernst zu mir. Diese Seite kannte ich von Dag gar nicht.
"Ich weiß nicht dieses Feste, das ist einfach nichts für mich, aber sind wir nicht eigentlich aus einem anderen Grund hier?" Ich griff nach meiner Gitarre und er nickte.
"Du hast dich doch auch an mich gebunden, warum denn nicht an irgendeine Frau?" Er ging auf meinen Versuch dem ganzen Thema auszuweichen überhaupt nicht ein und hatte weiterhin diesen ernsten Blick drauf.
"Weißt du Frauen kommen und gehen und natürlich fließen dann Tränen denn sie zerreißen mir jedes Mal mein Herz. Du bist dann halt trotzdem immer da, egal wann und egal wie schwer es für mich ist." Es war einer dieser seltenen Momente in dem ich über meine Gefühle sprach.
"Und egal was war, gab etwas zu feiern dann waren wir immer dabei, auch ohne einen Cent auf der Bank. Denn es kommt darauf nicht an, weil man echte Freunde nicht kaufen kann." Er hatte mittlerweile nach einem Zettel und einem Stift gegriffen und kritzelte etwas auf, er kritzelte eigentlich immer und ich vertraute ihm. Denn entweder er hatte gerade eine Songidee, oder er brauchte etwas zum ablenken, um mir besser zuhören zu können. Man glaubte es kaum, wenn man den durchtrainierten Mann neben mir ansah, aber er war tatsächlich Multitasking fähig. Manchmal nervte es mich, dass er mich nicht anguckte, wenn ich mit ihm redete. Heute war es mir ganz recht, dass sein Blick mich nicht löcherte.
"Weißt du, du bist mein wahrer, mein echter Freund, du bist immer da für mich und schreibst nicht nur dann, wenn du etwas willst, sondern antwortest eigentlich immer auf meine Nachrichten. Du bist neulich mitten in der Nacht durch Spandau gesprintet, weil es mir nicht gut ging." Die Worte kamen einfach so aus mir heraus, solch einen Gefühlsausbruch hatte ich das letzte Mal, als meine Mutter gestorben war. Es war damals eigentlich genauso gewesen wie jetzt. Ich saß etwas verkrampft rum, wusste nicht, woher die Worte aus meinem Mund kamen und Dag hörte mir zu.
Vorsichtig versuchte ich jetzt doch seinen Blick zu erhaschen und er blickte etwas schüchtern hoch.
"Du bist doch mein Brudi, natürlich bin ich immer da, aber nur weil ich da bin, kannst du dir doch trotzdem eine nette Frau suchen." Den Block und den Stift hatte er beiseite geschoben, um mich in eine feste Umarmung zu ziehen.
"Ich hab einfach Angst, dass sich etwas oder jemand zwischen uns stellt. Ich hab Angst, dass du irgendwann weg bist." Ich musste bei dem letzten Satz schlucken, diesen Satz wollte ich eigentlich gar nicht laut aussprechen. Aber es stimmte, ich wollte, dass er und ich für immer rumalbern konnten.
"Wir hatten doch noch nie Stress wegen einer Frau, genauso wenig wegen Geld, das ist für mich als Einzelkind echt seltsam, wir sind wirklich wie Brüder von verschiedenen Eltern." Er musste bei diesen Worten selbst schmunzeln und ich schüttelte nur leicht lachend den Kopf, als er wieder zu dem Block griff.
"Am Ende des Tages bist du mein echter Freund, Vincent hörst du? Und das wird sich auch nie ändern, egal auf wie viele Partys ich gehe, egal wie oberflächlich die Welt wird oder wie viele Kommentare oder Likes auf mich von irgendwelchen Leuten einprasseln. Du bist und bleibst auch unter einhunderttausend Leuten mein einzigst wahrer Freund." Er lächelte einfach nur und ich wusste, dass er recht hatte. Wir waren nun schon über zwanzig Jahre befreundet und Egal was kommen würde, er wäre wahrscheinlich der Einzige der für immer bleiben würde.
"Und jetzt nehm dir dein Handy und ruf bei Emma an, ich will schließlich für dich auch irgendwann den Trauzeugen spielen!" Er war aufgestanden, hatte den Zettel abgerissen und hielt ihn mir entgegen.
-Echte Freunde- Er hatte die Verse noch nicht geordnet, grinste mich dennoch mit seinem typischen Grinsen an und nickte mir noch einmal zu, bevor er seinen Pulli nahm und durch die Tür ging.
Für Außenstehende wirkte es wie ein Abschied, aber wir wussten, dass wir morgen früh hier wieder sitzen würden. Denn wir waren Freunde, beste Freunde, die man nicht trennen konnte.

Wir waren Echt.

Echte Freunde | Ein SDP Oneshot Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt