In der Luft lag der schönste Klang der Welt. Er erfüllte das winzige Wohnzimmer, welches durch den schwarzen Klavierflügel zur Hälfte eingenommen wurde. Ich saß auf einem Hocker und spielte eine Komposition von Bach. Die klassische Musik, das Klavier, die Violine, waren das schönste, was es auf der Welt gab. Ich konnte mich in den Tönen, die durch meine Hand zu Melodien wurden verlieren und alles andere ausblenden.
Als ich das Stück mit einem Ritardando beendet hatte, atmete ich durch und strich lächelnd über die alten Tasten. Mrs Pulomedo, eine ältere allein lebende Frau, die als Kind aus dem Süden hierher gezogen war, kam mit einem Teetablett herein und kommentierte mein Spiel zufrieden: „Das war ganz wunderbar, meine Liebe. Ich weiß gar nicht, wozu du noch jede Woche herkommst. Es gibt doch nichts mehr, was ich dich lehren könnte. Nicht, dass ich deine Gesellschaft und dein Spiel nicht genießen würde."
Ich erwiderte lächelnd: „Leider haben wir immer noch kein eigenes Klavier. Ich muss Sie besuchen, um überhaupt spielen zu können. Außerdem ist ihr Tee vorzüglich. Vielen Dank!" Sie reichte mir eine Tasse und nickte wissend.
Ich war mit einer großen Schwester, zwei kleineren Brüdern und einem Zwillingsbruder in einer unbedeutenden Stadt namens Allytown im Königreich Westpatria aufgewachsen. Meine Eltern besaßen das in unserem Stadtteil durchaus beliebte Restaurant „Silver Swan". Annika, meine Schwester studierte und kellnerte nebenbei im „Silver Swan". Kenny und Mark gingen zur Schule. Kenny war mit sieben Jahren unser Nesthäkchen, Mark war nur zwei Jahre jünger als Tyron und ich und half Ty und Mom mit Begeisterung in der Küche. Mein Zwilling machte seit einem Monat bei Mom eine Ausbildung zum Koch. Es war klar, dass er später das Restaurant übernehmen würde.
Und mein Name war Katharina. Ich war neunzehn Jahre alt und wollte Anfang nächsten Jahres beginnen, Musik zu studieren, um mir eine Karriere als Klavierspielerin aufzubauen, auch wenn mein Vater immer mehr oder weniger spaßig sagte, ich würde wahrscheinlich wie Mrs Pulmodoro als Klavierlehrerin enden. Aber hauptsache, ich hätte meinen Spaß am Job, sagte er außerdem auch.
Wir waren nicht arm, konnten uns aber auch keinen übermäßigen Luxus leisten. Und wenn wir Geschwister uns gerade mal nicht stritten, waren wir eine zufriedene, mittelständige Familie. Bedeutungslos für die breite Masse, nur darauf bedacht etwas aus unserem Leben zu machen und glücklich zu werden. Bis zu dem Nachmittag zumindest, an dem völlig unerwartet ein Mann in der Uniform des königlichen Hauses vor unserer Tür stand.
Es war ein Donnerstag, an dem das Restaurant Schließtag hatte. Darum waren Mom und Dad Zuhause. Mark war nach der Schule zu einem Freund gegangen und Annika wohnte ihm Studentenheim ihrer Uni. Ich saß gerade am Flügel unserer Nachbarin, die mir seit ich fünf war, Unterricht gab. Da klingelte es an ihrer Wohnungstür Sturm und Ty erklärte aufgeregt, dass ein königlicher Bote in unserem Wohnzimmer saß und unverzüglich ausgerechnet mit mir sprechen wollte. Ich bedankte mich für den Tee und beeilte mich verwirrt ihm nach Hause zu folgen.
Im Flur fing Mom mich ab und steckte mir schnell mit einer Haarklammer meine unordentlichen dunkelbraunen Wellen hoch.
„Was ist denn los?", fragte ich ängstlich. Wir hatten noch nie irgendeine hoheitliche Person lebendig gesehen, geschweige denn in unserem Haus gehabt. Ich konnte mir nicht vorstellen, was so hohe Leute von uns wollen könnten. Wir hatten meiner Ansicht nach nichts Verbotenes getan. Und warum musste es ausgerechnet ich sein?
Mom sah auch sehr angespannt aus. „Ich weiß es nicht. Er hat uns nichts verraten. Aber sei schön freundlich, egal was er sagt."
„Natürlich."
Ich bemühte mich, aufrecht und selbstbewusst lächelnd das Wohnzimmer zu betreten.
Der Bote stand vom Sofa auf, auf dem er Dad gegenüber gesessen hatte. Keines meiner Geschwister war anwesend. „Guten Tag, Ms Swan.", begrüßte er mich, als wäre ich der Gast und nicht er.
„Guten Tag, Sir." Meine Stimme klang wesentlich weniger selbstbewusst, als ich es geplant hatte.
Mom kam mit vier Tassen Tee herein und stellte das Tablett auf den Wohnzimmertisch. Sie reichte jedem eine und wir setzten uns alle.
Dad fragte höflich, aber eindeutig verstimmt: „Wollen sie uns nun mitteilen, weswegen sie uns mit ihrer Anwesenheit beehren?" Der Bote nickte und nippte an seinem Tee. Ich war zu angespannt, um etwas zu trinken, aber froh, mich an etwas festhalten zu können.
Dann endlich räusperte er sich und rückte er mit der Sprache heraus. „Ihnen ist sicherlich der junge Kronprinz Tobias Stephen von Westpatria bekannt." Wir nickten stumm. Jeder kannte den Sohn und Thronerben von König Andreas. Er trat oft bei großen Ankündigungen oder Sendungen im Fernsehen auf. „Da er bereits zweiundzwanzig ist, hat die königliche Familie vor einem Jahr beschlossen, dass es für ihn an der Zeit sei, sich eine Frau zu suchen. Da allerdings keine der königlichen Familien von South-, East- und Northpatira eine geeignete Tochter im heiratsfähigen Alter hat, wird er sich auf eigenen Wunsch mit einer jungen Frau aus dem eigenen Volk vermählen. Damals wurden Akten über viele in Frage kommenden Kandidatinnen angelegt. Jede einzelne von ihnen wurde zwölf Monate lang beobachtet und alles über sie, ihren Hintergrund, ihr soziales Umfeld und ihre Qualitäten in Erfahrung gebracht. Sie, Ms Katharina Swan, haben sämtliche Tests und Expertenkalkulierungen bestanden und sind in die engere Auswahl gekommen."
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Silver Swan ~ Die Schwanenkönigin
FantasyKatharina Swan ist ein eher ärmliches Mädchen aus der Fantasiewelt Westpatria. Eines Tages wird sie auserwählt, eine von drei Heiratskandidatinnen des Kronprinzen zu sein. Sie reist zu Prinz Tobias in den Palast von Westpatria und soll sein Herz ero...