Kurz nach dem Gespräch mit meinem Bruder tauchte Tobias neben Ty und mir auf. „Darf ich abschlagen?"
Ty zwinkerte mir zu und sagte zu Tobias: „Gerne. Viel Spaß!" Er ging zu Annika hinüber. Mom und Dad tanzten eng aneinander. Ich lächelte, als ich sie sah.
Es gab eine kurze Pause und ein neues langsames Lied setzte ein.
Tobias fragte: „Darf ich?" und legte seine Hand an meine Hüfte. Die andere nahm ich und sagte nervös: „Ich kann aber keinen Walzer oder so."
Er schmunzelte: „Ist nicht schlimm, lauf mir einfach hinterher. Ich hab schon einige blaue Flecken an den Schienbeinen."
Es war mir peinlich ihm so nah zu sein. Wir hatten einander bisher noch nicht mal wirklich berührt und ich musste mich so konzentrieren, ihm nicht auf die Füße zu treten, dass kein wirkliches Gespräch zustande kam.
„Susann kann sogar den Grundschritt vom Walzer. Aber dafür wollte Emma gar nicht tanzen."
„Aha.", machte ich auf meine Füße schielend.
„Vater hat mich vorhin gefragt, ob ich morgen verkünden kann, wer von euch meine Frau werden soll. Ich fürchte Emma muss ich leider ausschließen. Das konntest du dir ja schon denken. Er meinte, Susann wäre eine gute Wahl. Sie stellt sich gut im Unterricht an und zeigt offenkundig Interesse. Er glaubt, dass sie eine gute Königin wäre."
Er wartete ab. Er wollte meine Reaktion austesten.
Ich stellte fest, dass ich ihm zustimmen musste. Auch wenn sie etwas aufdringlich war, wäre sie sicher eine gute Königin. Das Volk würde sie lieben und die Etikette lag ihr. Es machte mir auch weniger aus, mir sie mit Tobias vorzustellen, als ich gedacht hätte. Ich wurde aus meinen Gefühlen nicht schlau. War ich nun in ihn verliebt oder nicht? Es fühlte sich nicht so an, wie bei Mason damals. Mit ihm war ich zwei Jahre zusammen gewesen. Wenn ich bei ihm gewesen war, hatte ich die typischen Schmetterlinge im Bauch gehabt. Sein Lächeln hatte mir weiche Knie gemacht und wenn wir uns geküsst hatten, hatte ich alles um mich herum vergessen. Bei Tobias war es nicht an nährend so intensiv. Eher ein leichtes Ziepen hinter dem Bauchnabel. Ich mochte es, mit ihm zu reden und etwas zu unternehmen. Aber seine Berührung löste kein Feuer in mir aus. Zu diesem Zeitpunkt würde ich sagen, wir waren gute Freunde. Keine Ahnung, in wie weit ich mehr für ihn empfinden konnte. „Was denkst du denn? Wäre sie eine gute Königin für dich?"
„Für das Volk auf jeden Fall. Aber ich liebe sie nicht. Das Traurige an der Sache ist, dass mir von klein auf gesagt wurde, dass ich sowieso nicht aus Liebe heiraten würde. Das hier hat mir eine kleine Hoffnung gegeben. Ich hatte die Möglichkeit mich zu verlieben. Aber... es hat nicht funktioniert." Kurz spiegelte sich Trauer in seinen Augen. Ich hatte noch nie so eine heftige Gefühlsregung bei ihm gesehen. Doch schnell wich sie seiner typischen Kühlheit. Seinem Schutzschild aus Höflichkeit und Emotionslosigkeit. „Vater setzt mich unter Druck. Er hat mir meinen Wunsch euch drei einzuladen nur gewährt, weil Mutter ihn überreden konnte. Ich habe nein zu seiner Frage gesagt. Ich möchte noch keine Entscheidung treffen. Aber seine Geduld geht zu Ende. Eine weitere Woche hat er mir gegeben."
Also wurde in sieben Tagen entweder Susann oder ich Königin. Oder Emi, so unwahrscheinlich es war. Leichte Panik machte sich in mir breit. Ich würde nie und nimmer in einer Woche wissen, ob ich mein Leben so verbringen wollte oder nicht. „Was wenn du in einer Woche auch noch nicht weißt, wen du heiraten willst?", fragte ich und trat ihm dabei auf den Fuß. "Ups!"
"Schon gut.", lächelte er. Dann blickte er mich unsicher an. „Dann muss ich das tun, was das Beste für mein Volk ist. Vermutlich ist das Susann. Ich könnte mit ihr Leben. Sie ist weit aus besser, als irgendeine Prinzessin aus einem anderen Land. Aber eigentlich hoffe ich immer noch, dass du..." Er versuchte, mir in die Augen zu schauen, aber ich sah zur Seite.
„Tobias, ich möchte fair zu dir sein. Darum sage ich, dass ich nicht glaube, dass sich innerhalb einer Woche so viel zwischen uns ändern kann."
„Sag das jetzt noch nicht. Warte ab. Bitte."
Er kam mir so verzweifelt vor, wie ein kleiner Junge, der nicht wahrhaben wollte, dass sein Hamster gestorben war. Ich empfand Mitleid für ihn. Es musste schrecklich sein, zu wissen, dass man nie jemanden aus wahrer Liebe heiraten würde.
Die Musik endete, mit ihr der Tanz, der bei uns zum Schluss nur daraus bestanden hatte, sich im Kreis zu drehen. Ich knickste und sagte: „Ich gehe mal meine kleinen Brüder suchen. Sie sollten schon lange im Bett sein." Ohne ihn noch mal anzusehen, ging ich davon.
Natürlich lagen Kenny und Mark schon im Bett. Darum ging ich zum Buffet und nahm mir einen Drink. Ich versuchte, nicht an das Gespräch von eben zu denken. Es war mir so unangenehm, dass Tobias offenbar mich zu seiner Frau machen wollte, ich jedoch nicht seine Frau werden wollte. Ich bezweifelte, dass er mich liebte. Ich wäre nur die beste der drei Möglichkeiten für ihn.
„Man lässt einen Prinzen doch aber nicht einfach so stehen.", sagte Ty unerwartet neben mir. Ich erschrak und sah ihn an. „Tja, offenbar habe ich keine Manieren."
Mein Zwilling lachte. „Oh nein. Die Dame mit dem erhoben Kinn und dem eleganten Gang hier vor mir hat wirklich keine Manieren."
„Was?", fragte ich amüsiert.
Ty nickte: „Ja, deine Haltung und dein Verhalten haben sich ein bisschen verändert. Die Knigge hast du drauf."
Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich in Prinzessin Adelaines Unterricht einen so erkennbaren Fortschritt gemacht hatte. Aus einem Impuls heraus fragte ich: „Denkst du, ich wäre eine gute Königin?"
Überrascht erwiderte er: „Ich weiß nicht. Ich kann mir dich nicht als Königin vorstellen. Wobei, so wie du heute Abend aussiehst und wenn du lächelnd neben unserem Kronprinzen stehst, hast du schon etwas... majestätisches an dir. Du passt irgendwie in dieses Bild. Es sieht aus, als würdest du einfach in diesen Saal gehören."
„Das liegt wahrscheinlich an diesem tollen Kleid und dem von der Königin ausgesuchten Schmuck. Aber naja, ich fühle mich hier auch wohl. Ach, ich weiß im Moment gar nicht, was ich will."
Mitfühlend nahm er meine Hand. „Ist das so ein Wunder? Du bist hier so vielen Eindrücken und neuen Erfahrungen ausgesetzt. Du bist gerade mal neunzehn. Niemand in deinem Alter weiß, was er will."
„Tobias muss jetzt die Entscheidung über sein weiteres Leben fällen.", wandte ich ein.
„Tobias ist auch der Kronprinz eines Landes. Du bist ein Mädchen aus einer kleinen Stadt. Du hast keine Verpflichtungen gegenüber einer ganzen Nation."
„Sollte ich Königin werden, schon. Dann wäre ich plötzlich sehr viel bedeutender. Ich fände es schön, eine große Rolle in so vielen Leben zu spielen. Stell dir vor, was man als Königin alles erreichen kann. Wie viel Gutes man für die Menschen tun kann."
„Sehr viel. Das stimmt. Aber du hast eben gesagt, dass du nicht weißt, ob das der Inhalt deines Lebens sein soll. Wirst du es in ein, zwei weiteren Wochen plötzlich genau wissen?"
Ich hob die Schultern. „In einer um genau zu sein. Der König gibt Tobias nur noch eine Woche. Wahrscheinlich werde ich es dann auch nicht wissen. Aber sag mir, was ich dann tun soll. Wenn Tobias mir einen Antrag macht, soll ich ihn ablehnen, weil ich mir nicht sicher bin? Was wenn ich dadurch die Chance meines Lebens verpasse? Jetzt liebe ich ihn nicht. Aber vielleicht in ein paar Monaten."
„Rina, woher soll ich denn wissen, was du tun sollst?", fragte Ty zärtlich, „Ich würde sagen, du wartest diese letzte Woche ab und dann reden wir noch einmal. Versuch ein bisschen mehr heraus zu finden, was du willst und wie du zu deinem Prinzen stehst."
„Das tue ich ja. Ich hoffe, ich sehe dann ein wenig klarer."
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Silver Swan ~ Die Schwanenkönigin
FantasyKatharina Swan ist ein eher ärmliches Mädchen aus der Fantasiewelt Westpatria. Eines Tages wird sie auserwählt, eine von drei Heiratskandidatinnen des Kronprinzen zu sein. Sie reist zu Prinz Tobias in den Palast von Westpatria und soll sein Herz ero...