Keona - Mark Lee

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«Keona», wiederholte sie ihre Worte. «Mark», sagte ich etwas zögernd. Sie lächelte. Danach folgte Stille. Sagen tat sie nichts mehr und ich liess es ebenfalls sein. Nur wir beide saßen neben einander. Und das seit einer Weile. Nicht nur über die Zugfahrt, sondern kennen tun wir uns schon lange. Naja was heisst kennen? Seit wir nebeneinandersassen, würde es besser treffen. Alles begann vor einem halben Jahr. Damals war der Zug noch etwas voller und sie setzte sich ausser Atem neben mich. Sie schenkte mir ein müdes Lächeln. Warum sie sich immer wieder neben mich setzte war mir ein Rätsel. Seitdem sehen wir uns fünf Tage in der Woche. Ihr Weg dauerte genau 32 Minuten. Meiner 41. Warum ich das auswendig konnte? Das weiss ich nicht. Es hat sich einfach in mein Hirn gebrannt.

«Nächster Halt, Westflügel», unterbrach der Lautsprecher meinen Gedanken und mein Blick schnellte zu ihr. Sie stand schon. Ihr Blick war mir zugewandt. «Schönes Wochenende», könnte ich von ihren Lippen ablesen. Ich nickte und lächelte. Sie verstand und die Türen öffneten sich zischend.
Sie sah anders aus. Sie war anders. Sie war nicht wie die anderen Mädchen. Die Anderen wollten mir gefallen. Nur das Problem war, ich war nie interessiert. Ich war nie verliebt. Ich wusste nie was Liebe war, jedenfalls Liebe für jemanden ausserhalb meiner Familie. Doch das mit Keona, ich war froh, dass ich endlich ihren Namen wusste, war etwas Anderes. In ihrer Nähe fühlte ich mich wohl. Schon nur ein Lächeln an einem schlechten Tag half mir. Reden taten wir nicht. Hatten wir auch nicht, jedenfalls bis heute nicht. Mein Herz schlug schneller, als ich an morgen dachte. Ich hoffte wieder, dass sie mit mir sprach. Und wenn sie es nicht tat, würde ich es tun. Ich stieg aus und lief die restlichen Meter zu meinem Haus, wo ich mit meinen Eltern wohnte.

Nächster Tag.
Die Schule war anstrengend aber ich freute mich auf die Heimreise, auf sie.
Mit voller Erwartung sass ich an meinen Platz. Der Zug schlug die Türe zu und er fuhr los. Ohne Keona. In mir machte sich ein unbekanntes Gefühl bereit. Eine Mischung aus Enttäuschung und Wut. War ich zu früh auf dem Zug? Konnte sie von der Schule oder Arbeit nicht früher gehen?
Völlig in Gedanken versunken blickte ich aus dem Fenster. Alles drehte sich.

Auch in den folgenden Tagen sah ich sie nicht. Von Tag zu Tag wurde es nur unbehaglicher. So dass ich freitags beschloss am Abend in die Stadt zu fahren um mich abzulenken. Was auch irgendwie funktionierte. Ich ging von Bar zu Bar, jedoch wurde ich jedes Mal herausgeworfen, da ich noch zu jung war. Endlich eine Bar und einen Besitzer gefunden, dem es egal war, wie alt ich war, liess ich mich zu hinderst in einem Sessel der alleine stand, nieder und blickte mich um. Sofort entdeckte ich eine Gruppe von Jungs in meinem Alter, die laut lachten, tranken und Billard spielten. Plötzlich kam einer der Jungs auf mich zu und ich erkannt ihn. Es war Jaemin, aus meiner Biologieklasse.
«Hey Mark», meinte er lässig und lehnte sich an die nächstgelegene Wand.
«Lust eine Runde mit zu spielen? » Ich blickte an ihm vorbei. Es waren zwei weitere dort die ich von meiner Schule kannte. Jeno und Renjun waren es. «Klar warum nicht», willigte ich ein und versuchte locker zu klingen, was mir anscheinend gelang, denn Jaemin nickte . «Cool.»
Ich stand auf und folgte ihm.

Etwas mit zu viel Alkohol im Blut lief ich zum Bahnhof und wartete. Nicht viele Leute schienen hier zu sein. Mein Blick wanderte auf die verdreckte Uhr die knapp über mir an der Wand hing. 1:00 zeigte sie an. So spät war es also gar nicht wie ich dachte.
«Nein, es war wirklich so!», hörte ich eine Stimme lachen. Zuerst nahm ich sie wie durch Watte wahr, bis sie immer näherkam und an mir vorbeilief. Keona.
Sie drehte sich um, sah mich und auf ihren Lippen erschien ein entschuldigendes Lächeln. Ein Junge hatte sie im Arm. Ihn kannte ich. Nur zu gut. Es war Taeyong, der drei Klassen über mir war. Leiden konnte ich ihn nie besonders. Er hat Mädchen verletzt. Schon zu oft um zu sagen, dass er ein Gefühlstollpatsch war. Er war ein hangmun.
Obwohl ich kein Interesse in Mädchen hatte, wie schon erwähnt, hatte ich Mitleid mit ihnen und eine Gewisse Wut auf ihn. So ging man nicht mit Mädchen und generell nicht mit Menschen um. Ich hatte Angst. Ich bekam Angst und hoffte nur, dass das mit Keona ein gutes Ende nahm. Jedoch kam der Pessimismus in mir hoch und somit auch die Wut wieder, die sich langsam abgekühlt hatte.
Mein Kiefer spannte sich an und ich blickte auf die anderen Seite des Gleises. Jeno und Jaemin standen dort und schienen über irgendetwas zu diskutieren. Jeno's Blick entdeckte meinen und er nickte mir zu. Ich entgegnete seine Geste ebenfalls mit einem Nicken und sein Blick wanderte an mir vorbei. Sein Blick veränderte sich schlagartig. Egal was ihn gerade festhielt, erfreuen tat es ihn nicht. Mein Blick folgte seinem und sah Keona. Keona in Taeyongs Armen. Ihre Gesichter waren wenigen Zentimeter voneinander entfernt. Innerlich flehte ich sie an, dass sie das lassen sollte. Aber was hörte sie schon? Was wollte sie hören? Jedenfalls nicht, den Jungen nicht zu küssen, in den sie verliebt war.
Zu meiner Verwunderung war mein Kiefer noch ganz, denn er hätte schon langsam kaputt sein sollen, so fest ich meine Zähne zusammenbiss. Mit Müh und Not riss ich den Blick von ihnen und blickte wieder auf das andere Gleis. Jeno hatte seinen Blick abgewandt und redete nun mit Renjun. Jaemin entdeckte ich auf einer Bank, in sich zusammengesunken. Mit Abstand hatte er am meisten getrunken. Ich lachte auf. Irgendwie hätte ich das nie von ihm erwartet, dass dieser schmächtige Typ so viel aushält. Ein weitentferntes Quietschen liess mich auf die Seite blicken. Mein Zug war da.
Als er nun laut quietschend vor uns stehen blieb kam ich langsam in die Realität zurück. Keona stand immer noch da. Jedoch war sie nicht mehr in Taeyongs Armen. Mein Blick wanderte nach unten und sah, als sie einstiegen, dass Taeyongs Hand ihre Hand hielt. Ich lief auf die Türe mir gegenüber zu und stieg ebenfalls ein. Nebst einer alten Dame und uns Dreien, Keona, Taeyong und mir war niemand im Zug. «Taeyong?», hörte ich ihre zarte Stimme. «Hmm?»
«Was ist das zwischen uns?», fragte sie und ich hörte wie Stoff raschelte. «Ich habe keine Ahnung», sagte Taeyong leise, so dass ich es gerade noch so über das Holpern des Zuges verstand.
«Es fühlt sich aber gut an», fügte er nun etwas lauter hinzu.
Der Zug hielt und zwei weitere stiegen ein.
«Junger Mann?»
Unwillkürlich zuckte ich zusammen. «Geht es Ihnen gut?», fragte mich die alte Dame.
Zu Beginn kaum sichtbar, begann ich zu nicken. «Das glaube ich Ihnen nicht», meinte sie und setzte sich neben mich hin. «Sie weinen, dann stimmt wohl was nicht.»
Warum fragte sie dann auch noch?
«Ich habe zu viel getrunken, das ist alles», wich ich mit einem müden Lächeln aus und strich über meine Wangen. Tatsächlich, sie waren nass. Schnell wischte ich mit meinem Handrücken über meine Augen. Sie blieb kurz still, sie schien nachzudenken, ehe sie wieder ihr Mund öffnete.
«Sie sind verliebt, nicht wahr?», fragte sie leise und ein Hauch von Fürsorge schwang mit.
«Ich weiss es nicht.» «Wie heisst das hübsche Mädchen das neben dem jungen Mann mit den blonden Haaren sitzt?»
Ich schluckte. Ich wollte ihren Namen nicht aussprechen. Jedenfalls nicht mehr. Als verbiete mir mein Mund ihren Namen auszusprechen. Lange blieb es zwischen mir und der alten Dame still.
32 Minuten waren vergangen und Keona stieg mit Taeyong an der Hand aus.
«Keona», flüsterte ich, als der Zug losfuhr und zur Seite blickte. «Ein wunderschöner Name, für ein wunderschönes Mädchen wie sie.»
Ich lächelte traurig. Ja, das war sie.
«Keona, ein gnädiges Geschenk», murmelte die Dame neben mir.
«Aber Liebe kann ich das nicht nennen», meinte ich und die Dame kicherte.
«Junger Mann, die Liebe kommt in allen Formen, Farben und Arten.»
Meine Mundwinkel hoben sich kurz.
Die nächste Station wurde angekündigt und die Dame stand auf. Der Zug kam langsam zum Stehen und sie wandte sich ein letzte Mal mir zu.
«Mark, lasse sie niemals los. Sie ist wertvoll.»
Bevor ich etwas erwidern konnte war sie schon weg, die Türen geschlossen und der Zug abgefahren.

NCT Shortstories (DE)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt