Der Mond stand schon hoch am Himmel, nachdem Varok Saurfang, der alte Berater von Thrall, seine Trauerrede beendet hatte und man ein Fest zu Ehren der gefallenen Mitstreiter feierte. In der Mitte der großen Nachtelfenfestung wurde ein riesiges Feuer errichtet, um das getanzt und gelacht wurde. Die lauten Trommeln der Orks durchbrachen donnernd die Stille der Nacht.
Etwas Abseits stand die hochgewachsene Elfe, die sich gerade angeregt mit dem Kriegshäuptling und seinem Berater unterhielt. Marialle beobachtete sie schon eine ganze Weile und folgte in Gedanken dem Gespräch, das Dolette mit den beiden Orks führte. Obwohl sie währenddessen von der quirligen, jungen Magierin beständig versucht wurde, in ein Gespräch verwickelt zu werden.Auch Odessa wollte unbedingt wissen, was in der Höhle bei der alten Schamanin Garta Quelltotem vorgefallen war, doch die Priesterin war nicht besonders redselig. Viel mehr wollte sie, dass der lange Tag endlich ein Ende nahm. Sie gestand es sich nicht ein, aber die Geschehnisse der letzten Tage in der Höhle und zuletzt der Trainingskampf gegen Malfurion, Tyrande, Jaina und Vol'jin hatten sie einiges an Kraft gekostet. Nicht körperlich, schließlich hatte sie die Fähigkeit errungen, aus ihrer Umgebung Kraft zu schöpfen. Es war ihr Geist, der doch länger brauchte, als sie zugeben wollte, sich mit dieser neuen Situation, diesem neuen Sein, abzufinden.
Wieso hast du das nicht gleich gesagt?, erklang die vertraute, warme Stimme von Dolette in ihren Gedanken. Das war auch so etwas, womit man sich erst einmal zurechtfinden musste. Ich weiß. Es ist von deiner Willensstärke abhängig, ob du deine Gedanken zurückhalten kannst. Wir können das gerne zusammen üben.
Innerlich knurrte die Priesterin leise, bevor sie der Paladin direkt antwortete: Ich habe nicht mal direkt zu dir gesprochen. Das ist einfach noch so neu für mich, erklärte sie sich. Mari, ich versteh doch. Du musst nichts erklären.Wieso wirst du dann damit so leicht fertig?, fragte sie ohne Umschweife. Du weißt, ich bin schon so viel älter als du, aber ich denke, was mir hierbei besonders zu Gute kommt, ist, dass ich eh schon jeden Tag meditiere, um mein Verlangen nach Magie unter Kontrolle zu haben. Dadurch ist mein Geist geübt, sich zu kontrollieren. Das war logisch. Die Hochelfe meditierte schon viele Jahre, um ihrer Sucht nach Magie, die alle Quel'dorei auf die ein oder andere Art bekämpften, Herrin zu bleiben. Eben. Und bis du deinen Geist auch soweit hast, verschließe ich meinen einfach, bis du es kannst. Eigentlich gefiel ihr der Gedanke nicht so besonders gut, aber Dolette hatte natürlich, wie so oft, recht mit ihren Ausführungen.
Na schön, aber wir fangen gleich morgen an. Ich möchte das selbst kontrollieren können. Die Paladin nickte einmal kaum merklich in ihre Richtung und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Gespräch mit den beiden Orks zu. Ihre gedankliche Unterhaltung blieb ungehört. Wer hätte auch ahnen können, dass sie sich auf die Entfernung unterhalten hatten?
"... hat mir viel beigebracht. Erst Gernodt und dann auch noch Orphan. Ich hoffe nur, dass es dabei bleibt", holte Odessa die Priesterin aus ihren Gedanken. "Ja, ich auch. Aber uns muss klar sein, dass die wichtigste und ebenso schwierigste Schlacht erst noch geschlagen werden muss, Odi”, entgegnete sie der jungen Magierin.In dem Moment entdeckte sie Cairne Bluthuf, der an einer anderen Stelle des Platzes mit Vol'jin sprach. Er war es, der den Kampf vorher am Abend so bestimmt beendet hatte. Er war der Meinung, man sollte in Zeiten des Krieges nicht auch noch gegeneinander kämpfen und sei es auch nur zu Übungszwecken. Marialle konnte sich vorstellen, dass der Troll noch immer darüber mit dem Tauren diskutierte. Sie hing so noch eine ganze Weile ihren Gedanken nach und war für niemanden ein wirklich guter Gesprächspartner.
Die folgenden Tage vergingen friedlich und unspektakulär. Dafür machte die Priesterin gute Fortschritte im Umgang ihrer geistigen Willensstärke und so war es ihr bald möglich, ihre Gedanken vor Dolette abzuschirmen, wenn sie ihr nicht direkt etwas mitteilen wollte. Dadurch verbesserte sich auch ihre Wahrnehmung enorm. So konnte sie in unglaubliche Entfernungen genauso wie durch Wände blicken, sofern es denn ihr Wunsch war. Außerdem verspürte sie schon nach wenigen Tagen nicht mehr diese Müdigkeit, die ihr noch anfangs so zu schaffen machte.
Es kam der Tag, als einer der Nachtelfenspäher berichtete, dass die brennende Legion ihr Lager fast vollständig hergerichtet hatte und so trafen sich die Anführer erneut, um einen Schlachtplan aufzustellen.Malfurion und Tyrande warteten, wie gewohnt, schon in dem mittlerweile vertrauten Zimmer auf ihre Verbündeten. Marialle trat zusammen mit Dolette und Jaina Prachtmeer ein, dicht gefolgt von Thrall, Cairne Bluthuf und Vol'jin. "Gut, dass ihr da seid", begann der Druide ohne Umschweife. "Meine Späher berichten, dass das Lager der Legion schon so gut wie komplett errichtet ist. Ich fürchte, wir haben nicht mehr viel Zeit", fuhr er fort. "Wie sieht es denn mit dem Ritual aus, Meister Sturmgrimm?", fragte der Ork. "Wir brauchen noch ungefähr drei Tage, Thrall", antwortete der Nachtelf ruhig, aber ein Schatten glitt ihm dabei über seine Gesichtszüge.
"Ich weiß nicht, ob die Katapulte noch mal so'n einschlag'nden Eindruck hinterlassen", überlegte der Häuptling der Dunkelspeere laut und rieb gedankenverloren über einen seiner Hauer. Thrall nickte. "Das wage ich auch zu bezweifeln. Aber falls nicht einer von euch noch einen Einfall hat, mit dem wir das Überraschungsmoment wieder auf unserer Seite wüssten, befürchte ich, dass wir so aushalten müssen, solange wir können." Keine guten Neuigkeiten. Im schlechtesten Falle hieße das, drei Tage durchzukämpfen. Ob das ein weiteres Mal möglich war, wusste keiner.
"Dann heißt es also durchhalten! So sei es dann!", presste der Häuptling der Tauren überraschend hervor. Aller Augen lagen auf ihm. Nicht verwunderlich, so selten wie er sprach. "So ist es, Meister Bluthuf. Dann wissen ja jetzt alle, was uns bevorsteht. Wir werden, so lange es geht, versuchen, mit den Katapulten und Fernkampfangriffen die Dämonen von unserer Festung fernzuhalten. Wenn sie fällt, zieht sich alles zurück zum Tor von Nodrassil, wo ich mit meinen Druiden warten werde. Ist Shandris informiert, Tyrande?", sagte Malfurion und wandte seine Frage an die schöne Nachtelfe neben ihm.
"Selbstverständlich, Mal." Als sich die Anwesenden schon wieder erhoben, registrierte Marialle eine Welle der Erkenntnis, ausgehend von ihrer Liebsten, der offenbar ein Einfall in diesem Moment durch den Kopf schoss. "Was ist eigentlich mit den Irrwischen?", stieß sie fast atemlos hervor und alle im Raum erstarrten in ihrer Bewegung. Im Gesicht des Druiden konnte man es förmlich arbeiten sehen, doch es war Tyrande, die zuerst antwortete. "Was soll mit ihnen sein, Lady Glutklinge? Sie dienen uns, aber sie können doch nicht kämpfen", sprach sie verwirrt und scheinbar geistesabwesend, da sie offensichtlich selbst überlegte, ob das der Zusammenhang war, von dem die Hochelfe überhaupt sprach.
"Meint ihr, sie könnten uns die Zeit verkürzen?" Ehrfurcht lag in der Stimme des Nachtelfen, aber auch eine Spur Ärger schwang deutlich mit. "Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?", fragte er noch mehr sich selbst als die Anderen. "Sie sind doch reine Energie. Ich kann es deutlich spüren, Meister Sturmgrimm. Sie sind das, was übrig bleibt. Sie sind unsere Ahnen." Nun war es die Paladin, die kaum merklich vor Ehrfurcht zitterte. "Ja! Und es sind unheimlich viele. Du und deine Druiden werdet ihre Macht in Norddrassil fließen lassen, um Archimonde und die brennende Legion zurückzuschlagen", schaltete sich wieder die Hochpriesterin, begeistert von der Idee, ein.
"Meine Druiden und ich werden uns gleich mit den Irrwischen in Verbindung setzen!", war noch von Malfurion zu hören, als er sich abrupt umdrehte und den Raum durch die Hintertür verließ. "Na dann kann ich heut' wohl doch nochma' in Ruhe pennen, was?", sagte der Troll und lachte nervös. "Ja, unterrichtet die Kommandanten und dann seht alle zu, dass ihr noch ein wenig Schlaf bekommt!", befahl nun auch Thrall, der sich endlich aus seiner Starre gelöst hatte.
Darauf hin strömten die sieben Übrigen aus dem Konferenzzimmer und beeilten sich, jeden, der es wissen musste, zu informieren.
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Die dunkle Ritterin
FantasyDie Geschichte einer Todesritterin, die durch einen Auftrag für Sylvanas Windläufer, an ihrem vergessenem Leben rührt. Wer war sie einst? Wer ist sie heute? Und was wird aus ihr werden? Liebe, Freundschaft, Leid und Tod begegnen Dole auf ihren Rei...