Ein Fahrradsturz

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Eigentlich schien dieser Tag wie jeder andere Tag zu sein. Eigentlich. Alina hatte mit ihrer Mutter beim Frühstück gesessen, danach war sie, wie an jedem anderen allerersten Ferientag so schnell wie möglich nach oben in ihr Zimmer geflitzt und hatte ihre Reitsachen angezogen. Das waren auch wie an jedem anderen Tag eine alte Jeans mit unzählbar vielen Flicken und dazu ein noch älteres T-Shirt. Nun trat sie kräftig in die Pedale und der einzige Unterschied zu jedem anderen Tag war, dass Alina dabei nicht vor Freude mit der Sonne um die Wette strahlte, nein, heute passte ihr das schöne Wetter überhaupt nicht. Voller Wut und todtraurig radelte Alina so schnell wie schon lange nicht mehr. In Rekordzeit durchquerte sie die Hauptstraße des kleinen Dorfes, bog auf den Fahrradweg ab und bremste auch nicht, als sich einige Kilometer weiter der sandige Waldweg abzweigte, der zum Reitstall führte. Die Weiden am Rand des Weges nahm sie kaum wahr, ebenso wenig die Pferde und Ponys, die durch Alinas plötzliches auftauchen erschrocken auseinander stoben. In der letzten Kurve, bevor sie das Hoftor erreicht hatte, einer scharfen rechts Kurve, hatte sie so viel Schwung, dass sie mitsamt dem Fahrrad zur Seite fiel. Alina war zuerst so verdattert, dass sie erst etwas später realisiert hatte, was passiert war. Das Fahrrad lag halb auf ihr, ein Reifen war verbogen und ihr Knie brannte wie verrückt. Als sie einen flüchtigen Blick riskierte, erkannte Alina, dass es blutete. „So ein Mist," fluchte sie und biss die Zähne zusammen. „Wenigstens muss ich ihnen jetzt nicht mehr erklären, warum ich heute so bescheiden aussehe," murmelte sie zu sich selbst. Falls sie es nicht eh schon längst weiß, fügte sie im Stillen hinzu. „Alina!?" So gut es möglich war drehte sie sich um. Mit quietschenden Reifen kam ihre beste Freundin Dana neben ihr zum stehen. „Was ist denn bloß passiert,?" Dana sah so erschrocken aus, dass Alina beinahe einen Lachanfall bekam. „Ich war zu schnell und bin ausgerutscht," brachte sie es auf den Punkt. Dana schüttelte nur den Kopf und stellte Alinas Fahrrad wieder auf. „Ich glaube, du brauchst ein neues," stellte Dana mit Blick auf den Vorderreifen fest. Das war typisch Dana, ihre Familie hatte sehr viel Geld und auch wenn Dana kein bisschen eingebildet war, manchmal waren ihre unterschiedlichen Herkünfte doch schnell Gesprächsthema. „Quatsch, dass kann man noch reparieren," stellte Alina klar. Sie versuchte auf zu stehen. Es klappte sofort beim ersten Versuch, nur das eine Bein, wo das Knie angeschlagen war, konnte sie nicht gut belasten. Dana bemerkte es, schloss die beiden Fahrräder am Koppelzaun fest und stützte Alina die restlichen Meter. Zum Glück war es nicht mehr weit. „Alina, Dana!" Alina grinste, Laura war natürlich wieder die erste. Neben Dana war auch sie ihre beste Freundin. Alina kannte Laura schon seit der ersten Klasse. Dana war erst im letzten Jahr in den Ort gezogen. Lauras Mutter Michelle gehörte der Reiterhof und deshalb war es auch kein Wunder, dass egal wie zeitig Alina und Dana eintrafen, Laura sie bereits mit einem breiten Grinsen im Gesicht erwartete. „Fahrradsturz," beantwortete Dana Lauras fragenden Gesichtsausdruck. „Oh, ich hole schnell meine Mutter, die soll sich das mal ansehen," meinte Laura und flitzte auch gleich los. Dana setzte Laura an der Bank vor dem Wohnhaus ab. Von dort hatte Alina einen guten Überblick über den gesamten Hof. Das langgezogene Stallgebäude, dahinter die kleine Reithalle und der große Reitplatz, davor der Teich, in dem ein Paar Enten ihre Runden drehten. Dann wandte sie den Kopf zur Seite und sah die zahlreichen angelegten Blumenbeete, von denen der Reiterhof seinen Namen hatte: Blumenhof. Alina bekam feuchte Augen und wischte schnell mit der Hand darüber. „So schlimm?," fragte Dana mitfühlend und deutete auf Alinas Knie. Alina nickte schnell. Das Knie müsste an diesem Tag bestimmt oft als Ausrede herhalten. Schnell schluckte sie den Kloß in ihrem Hals hinunter, als Laura mit Michelle zurück kam. „Das sieht ja schlimm aus," stellte Michelle fest. „Komm am besten gleich mit rein," bat sie. „Und ihr," wandte sie sich an Laura und Dana, „ihr holt schon mal eure Pferde." Dana und Laura nickten und Alina humpelte Michelle hinterher ins Haus. In der gemütlichen Küche des alten Bauernhauses setzte sie sich auf die Bank und legte das Knie auf einen Stuhl. Es tat gut nicht mehr rumlaufen zu müssen. Michelle war für einen kurzen Augenblick verschwunden und kam mit einer Flasche Iod und Verbandszeug zurück. Alina verdrehte die Augen. „Keine Widerrede," meinte Michelle. Alina biss die Zähne zusammen. Das Zeug brannte höllisch. Der Verband, den Michelle ihr umgelegt hatte saß perfekt und Alina erinnerte sich daran, dass Michelle als Krankenschwester gearbeitet hatte, bevor sie den Hof übernommen hatte. „Danke," sagte sie. Michelle nickte nur. „Willst du mir nicht erzählen, warum du hin gefallen bist?," fragte sie. „Das hab ich doch schon," beteuerte Alina. „Ich meine die Wahrheit," hakte Michelle nach. Alina sah Michelle an und erkannte sofort, dass sie ihr nichts vorspielen musste. „Seit wann weist du es?," fragte Alina. „Deine Mutter hat mich gestern Abend angerufen," meinte Michelle. Ihre Augen glitzerten verdächtig. „Hast du es Laura schon gesagt?," wollte Alina wissen. Michelle schüttelte den Kopf. „Das ist gut," meinte Alina. „Ich will nicht dass dadurch die ganzen Ferien verdorben werden." „Aber irgendwann musst du es ihnen sagen," meinte Michelle nachdrücklich und Alina wusste, dass sie recht hatte. „Ich weiß ja noch nicht einmal wann," flüsterte Alina. „Ich weiß nur, dass ich nächstes Schuljahr nicht mehr hier bin und..." Alina brach ab. Nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurück halten. Michelle nahm sie in den Arm und versuchte sie zu trösten. Eine Weile sagte niemand etwas. „In drei Wochen ist unser Sommerturnier," begann Michelle. „Da bist du garantiert noch hier und mit Winny am Start," meinte sie. Alina wusste, dass sie sie nur trösten wollte, doch die erwähnten drei Wochen klangen wie eine Deadline, eine Drohung, ein Anfang von dem das Ende bereits in Sicht war, es war einfach, viel zu wenig Zeit. Der drohende Umzug lag wie ein dichter Nebelschwaden über den sommerlich grünen Wiesen.



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⏰ Last updated: Jun 11, 2018 ⏰

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Reiterhof Grünethal Schwere Entscheidung für AlinaWhere stories live. Discover now