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Es war Sommer. Die Sonne schien seit Tagen und erwärmte die ländliche Gegend, in der Nika mit ihrer Familie wohnte. Sie wohnte mit ihrer Schwester, ihrer Mutter und dem neuen Freund von dieser in einem großen Landhaus mit viel Garten.
Nika stieg aus dem stickigen Bus und blieb am Rand der kaputten Straße stehen. Als der Bus losfuhr wirbelte er eine Menge Staub und Dreck in die Luft, den sie sich mit der Hand vor ihrem Gesicht wedelnd versuchte aus der Luft zu Fächern. Hustend überquerte sie dann die Straße und ging auf der anderen Straßenseite weiter. Sie hielt sich die Hand an die Stirn um in der Helligkeit etwas sehen zu können.
Nach einigen Metern erreichte sie einen Feldweg, auf den sie einbog. Von hier aus konnte man das große Haus und die Scheunen bereits sehen. Die umstehenden Bäume warfen große Schatten über das Grundstück.
Sie war kurz stehen geblieben und blickte den Weg entlang zu ihrem Haus. Sie seufzte und setzte ihren Weg fort. Den Blick hatte sie auf den Boden gerichtet und kickte lustlos ein paar Steine vor sich her. Dabei wirbelte sie viel Staub auf, dem sie jedoch entkam, da sie schnell ging.
Nach etwa fünfhundert Metern erreichte sie die gepflasterte Einfahrt des Hofes. Genervt ging sie geradeaus auf die Haustür zu und trat ein. Diese stand fast immer offen.
Als sie das Haus betrat kam ihr angenehm kühle Luft entgegen, die sie einatmete als sie kurz stehen geblieben war. ,,Wie war dein Tag, Schatz?",rief ihre Mutter aus der Küche, die sich im linken Bereich des Hauses, wie das Wohnzimmer und die Terrasse, befand.
Nika verdrehte stöhnend die Augen. ,,Mit dir rede ich nicht, schon vergessen?",rief sie in die linke Haushälfte, während sie schon dabei war die Treppe, die direkt vor ihr war, empor zu steigen. Die Treppe wechselte auf der Hälfte die Richtung und man gelangte ins obere Geschoss. Dort steuerte Nika direkt ihr Zimmer an und schlug die Tür hinter sich zu. Ihre braune Leder Umhängetasche, die immer halb offen stand, schleuderte sie in die linke Ecke ihres Zimmers und ging direkt zum Schreibtisch, der geradeaus unter dem Fenster stand. Aus dem Fenster konnte man die Landstraße und den Feldweg, sowie die Landschaft sehen. Sie klappte ihren Laptop auf und fuhr ihn hoch. Sie wartete einige Momente und schaute in die Landschaft. Dann öffnete sie die Seite eines Reitstalls. "Hof Steinbach" stand in dicken Buchstaben am Anfang der Seite. Darauf folgten Bilder und Texte.
,,Nika, kommst du bitte Essen!",rief ihre Mutter von unten zu ihr hoch. ,,Jaha!",schrie Nika augenverdrehend zurück und las sich dabei einen der Texte zu Ende durch. Als sie fertig war ging sie gemütlich die Treppe runter auf die Terrasse. Dort saßen schon ihre Schwester, ihre Mutter und ,,Der Freund", wie Nika ihn immer nannte. Sie setzte sich zu ihnen. Sie vermied jeden Kontakt mit ihrer Mutter, ,,Dem Freund" und ihrer Schwester, seit sich ihre Eltern getrennt hatten. Ihre Schwester war drei Jahre jünger als sie. Nika war jetzt fünfzehn. Als sie Zehn gewesen war hatten sich ihre Eltern getrennt. Es war keine wirklich friedliche Trennung, wie sie selbst in Erinnerung hatte. Ihre Eltern hatten sich Tag und Nacht angeschrien, ständig knallten irgendwelche Türen und nach einiger Zeit erzählten sie ihren Kindern, dass sie sich sofort trennen würden und weit weg auseinander ziehen würden. Für Nika brach die Welt zusammen. Niemals hätte sie sich vorstellen können, dass ihre Eltern nicht mehr zusammen leben. Ihre Schwester bekam damals noch nicht wirklich viel von der Sache mit und auch Nika merkte, dass ihr erst in den letzten Jahren wirklich klar wurde wie scheiße die Situation für sie wirklich ist.
Die Noten in der Schule waren mittelmäßig und die gute Beziehung zu ihrer Mutter und ihrer Schwester war dahin. Als ihre Mutter dann ihren Neuen anschleppte war für Nika direkt klar, dass sie ihn nicht akzeptieren würde und er für immer ,,Der Neue" bleiben würde.
In den Sommerferien war Nika immer bei ihrem Vater. Ihre Schwester blieb zu Hause. Ihr Vater war der einzige, der Nika verstand und sie so akzeptierte wie sie ist. Bei ihm fühlte sie sich zu Hause. Das was sie hier, bei ihrer Mutter hatte, war nichts weiter als ein Dach über dem Kopf, unter dem drei nervige Personen lebten.
Ihr Vater lebte ebenfalls auf dem Land. Das Dorf in dem er lebte war jedoch einige Stunden vom Haus ihrer Mutter entfernt und ihre Mutter dachte nicht Mal im Traum daran sie zu ihrem Vater zu fahren.
Nika aß schweigend ihr Essen und schaute die anderen nicht an. In einer Woche waren Sommerferien und das hieß, dass sie endlich nach Hause durfte. Sie hatte sich im Internet schon eine Bahnverbindung rausgesucht, die sie mit dem Bus erreichen konnte.
Als sie aufgegessen hatte stand sie ohne Rücksicht auf die anderen zu nehmen auf und verschwand wieder in ihrem Zimmer.
Ihr fiel ihre Tasche ins Auge. ,,Ach ja!",sagte sie und schlug die Hand gegen die Stirn. ,,Die Mathe Hausaufgaben.",stöhnte sie. Unmotiviert zog sie ihre Tasche an den Schreibtisch und fing an nach ihren Mathe Sachen zu suchen. Sie legte diese schließlich auf die Holzplatte. Aus ihrer Tasche ragte nun ein großer Zettel. Verdutzt zog sie diesen heraus und klappte ihn auf. ,,Hässliches Stück! Du kannst nichts!", Stand in großen Druckbuchstaben auf dem Zettel. Einen Moment tat es ihr im Herzen weh, doch knüllte sie ihn dann zusammen und warf ihn in den Müll. Das war nicht das erste Mal, dass sie so einen Zettel zugesteckt bekommen hatte. Zwar stand nicht immer das gleiche drauf, aber die ,,Message", die rüber kommen sollte war klar. Auch mündlich bekam sie solche Aussagen gegen den Kopf geworfen. Tag täglich und immer wieder aufs neue.
Warum?,fragte sie sich jedes Mal. Nur weil ich mich von anderen Mädchen unterscheide? Nur weil ich kurze Haare habe?,fragte sie sich.
Auch in ihrem sonstigen Leben lief es nicht wirklich gut. Freunde hatte sie keine und das Thema Jungs hatte sie nach vielen Niederschlägen auch abgehakt. Es gab doch schon den ein oder anderen, den sie kennengelernt hatte und sie sich auch gut verstanden, jodoch kam jedes Mal dabei rum, dass er nur eine Freundschaft wollte und so alle Hoffnungen in ihr zerplatzen. Da dies kein Einzelfall war hatte sie die Hoffnung in eine Liebe bereits verloren. Das war ein großes Thema, das sie innerlich sehr fertig machte und runter zog. Als wenn ihr diese Sache nicht schon genug Lebenskraft raubte kam noch dazu, dass beide Großväter innerhalb von drei Monaten hintereinander verstarben. Noch dazu kam der Tod des alten Bauern, der einen Hof weiter gewohnt hatte und auch wie ein Opa gewesen war. Das gab ihr den Rest. Nach außen hin schien sie OK.  Zwar etwas kühl und abstoßend aber nicht verletzt, doch im innerlichen war sie am zerbrechen. Sie konnte einfach nicht mehr. Sie hasste ihr Leben sehr und nur ihrem Vater zu liebe versuchte sie sich irgendwie aufrecht zu erhalten. Alle anderen waren ihr egal. Vor allem hatte sie auch Hass auf ihre Mutter. Sie hatte ihr verboten den Motorrad Führerschein für ein Kleinkraftrad zu machen. Das hatte sie unfassbar wütend gemacht. Sie kam als nicht weg von zu Hause. Sie wohnte mitten in der Pampa und war an ein ,,Zuhause" gebunden, dass sie hasste.
Sie kritzelte irgendwelche Lösungsansätze in ihr Matheheft und schlug es kurze Zeit später wieder zu. Sie widmete sich wieder ihrem Laptop und schaute sich weiter die Seite des Reiterhofes an. Dieser war nicht allzu weit entfernt vom Haus ihres Vaters. Ihre Mutter war strikt gegen den Kontakt mit Pferden seit sie sich von ihrem Vater getrennt hatte. Einen richtigen Grund konnte sie Nika aber nie nennen. Nika wusste aber, dass ihr Vater vollstes Verständnis für ihre Liebe zu Pferden hatte und die Tiere auch selbst sehr liebte. Das hört sich komisch an, dachte sie sich manchmal, ein Mann, der Pferde liebt. Nika konnte sich nicht mehr daran erinnern wie er mit Pferden umgeht. Sie wusste nur, dass es nicht ihre Mutter war, die sie mit auf den Reiterhof genommen hatte. Vor allem die Pferde verbunden sie und ihren Vater. Sie erhoffte sich bei ihm und den Pferden ein Leben in dem sie Frei sein könnte und in dem sie einfach ein anderes Leben lebte. Wenigstens für sechs Wochen.
Sie löste sich von ihrem Laptop und holte ihren Koffer vom Dachboden. Ein paar Sachen schmiss sie schon hinein. Sie erstellte eine Liste von Dingen, die sie einpacken musste. Danach schnappte sie sich ihr Buch, legte sich aufs Bett und las bis zum Abend.

Das Schicksal kann ein Arschloch sein.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt