KURZGESCHICHTE

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Genervt trottete Avelin ihrer Klasse hinterher.

Im ersten Moment, als es hiess, die Klassenfahrt ginge nach Südamerika, hatte sie sich noch darüber gefreut, dass sie mit ihren Freundinnen am Strand herumlümmeln und sich sonnen konnte. Doch bei der Ankunft am Flughafen sah es schon ganz anders aus. Es gab zwar Strände zur Genüge, doch ihr Klassenlehrer, Herr Stelzer, hatte ihr und ihren Mitschülern offenbart, dass sie bereits nach zwei Tagen die Hauptstadt Paramaribo verlassen würden und sich weiter im Landesinneren von Surinam «stationieren» würden, wie es Herr Stelzer ausgedrückt hatte.

Und nun waren sie hier, im gottverlassensten Dorf der Welt. So sahen es zumindest Avelin und ihre Freundinnen, die sich darüber beschwerten, dass es keinen Strom gab um ihre Handys zu laden, geschweige denn Internet oder anderen luxuriösen Schnickschnack.

Andere hingegen genossen es, weit von der Zivilisation entfernt zu sein und sich dem Studium der hervorragenden Flora und Fauna zu widmen, wie zum Beispiel Christoph und Benjamin, die beiden Streber der 12b. Nichts könnte den zweien mehr Freude bereiten, als ausgiebig über die hiesige Vegetation zu fachsimpeln und dabei das gelangweilte Aufstöhnen ihrer genervten Mitschüler gekonnt zu ignorieren.

So wie auch jetzt, mitten im Regenwald Südamerikas.

Zu Beginn hatte die eigenhändig organisierte Forscherin, die die Expedition leitete, noch rege mitdiskutiert, doch mittlerweile war ihre offensichtliche Begeisterung einer stillen Resignation gewichen, die sie sich mit den anderen Teilnehmern teilte, wenn auch aus anderen Gründen. Wäre sie nicht die Einzige, die sich hier auskannte, hätte die Forscherin wohl den beiden Streber ihren Posten überlassen, um sich etwas Sinnvollerem zu widmen. Schliesslich brachte es nicht viel, wenn die beiden in einer Tour alles Wissenswerte ausplauderten und sie, als eigentlicher Profi, nur noch nicken und zustimmen konnte.

Avelin hingegen konnte die Begeisterung für dieses «Abenteuer» in keinster Weise aufbringen. Ihre offenen Haare klebten bereits am Rücken, vorgestern hatte sie sich den Nacken in der tropischen Sonne verbrannt, es herrschte ein tödlich warmes Klima, das ihr Kopfschmerzen bereitete und irgendetwas drückte in ihrem linken Schuh. Eigentlich war sie auch nicht unsportlich und befand sich am Anfang sogar noch unter den ersten Fünf der Truppe. Doch ihr ohnehin schon gereiztes Gemüt hatte nicht wirklich gut auf das ständige Geplapper der Streber reagiert und nach wiederholtem Gebrauch diversester Kraftausdrücke, war Avelin von Herrn Stelzer nach hinten verbannt worden, wo sie still und heimlich über die jetzigen Umstände meckern konnte.

Ganz in ihren finsteren Gedanken versunken, bemerkte die blonde Schönheit gar nicht, wie sich Christoph zurückfallen liess und sich bald auf gleicher Höhe mit ihr befand. Erst als sie vor Erschöpfung einen Schlenker zur Seite machte und dabei fast mit dem Braunhaarigen zusammenstiess, blickte sie auf. Nach einigen Wimpernschlägen erkannte sie den Jungen schliesslich und konnte sich ein genervtes Aufstöhnen nicht verkneifen.

„Was willst du denn hier? Ich dachte ich wurde nach hinten geschickt damit ich dich nicht mehr ertragen muss!" Verlegen fuhr sich Christoph durch die Haare, platzierte seinen blauen Sonnenhut wieder an der richtigen Stelle und wich ihrem durchdringenden Blick aus. Der Junge war nicht nur nervig, nein er war auf seine eigene verkorkste Art und Weise auch noch schüchtern, was Avelin schon immer als nervtötend empfunden hatte. „Ich schätze, unser Lehrer war ebenso genervt von Ben und mir, wie du auch und hat jetzt wohl begriffen, dass es nichts bringt, dass du hier versauerst. Ich solle dir ausrichten, dass du wieder nach vorne darfst und ich stattdeiner hier laufen soll." „Na, eine solche Erleuchtung kann auch nur ein Lehrer haben!", brummte Avelin genervt und versuchte ihren eintönigen Trott zu verschnellern. Doch so gross die Freude auf ein ausgiebiges Lästergespräch mit ihren Freundinnen über ihren allseits geliebten Lehrer auch war, das Verschlafen des heutigen Frühstücks hatte ihren Preis. Das Mädchen war zu hungrig und die allgegenwärtige, schwüle Hitze machte ihr zusätzlich zu schaffen. Es war beinahe ein Wunder, dass Avelin bis jetzt noch nicht zusammengebrochen war. Erneut schwankte sie und stolperte über eine hervorstehende Wurzel in dem unebenen Trampelpfad. Doch im Gegensatz zu den anderen Malen konnte sie sich nicht mehr auffangen und segelte nun geradewegs zu Boden.

Not vereint HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt