"Bist du dir wirklich sicher, dass du das willst, Liebling?"
Genervt warf ich die Arme in die Luft. "Zum hunderttausendsten Mal: Ja! Ich bin mir sicher!", rief ich dabei. Noch nie in meinem Leben war ich mir so sicher mit einer Entscheidung. Und als entscheidungsscheuer Mensch bedeutete das schon so einiges.
Dann mischte sich auch noch Papa ein: "Du musst uns verstehen. Schließlich ist unsere Tochter drauf und dran, ihre Zukunft an den Nagel zu hängen. Für einen Jungen. Wir sind besorgt um dich. Überleg es dir doch bitte noch einmal, ob du wirklich nicht an diese tolle Uni gehen willst."
Ich seufzte und würde die nächsten Worte am liebsten schreien, aber ich schaffte es noch, mich eines Besseren zu belehren. Gegen Mutter Natur kam ich nicht an. Eltern waren nun mal biologisch dazu veranlagt, sich um ihre Kinder zu sorgen. Jedenfalls wenn sie halbwegs richtig tickten. Ich konnte es ihnen also schlecht krum nehmen, dass sie nur mein Bestes wollten. Dennoch konnten sie an meiner Entscheidung nichts ändern.
"Mama. Papa. Ich brauch darüber nicht noch einmal nachzudenken. Ich denke nun seit bestimmt einem Jahr darüber nach. Ich habe mich darauf vorbereitet. Ich habe getan, was ich unbedingt noch tun wollte, ich habe Erfahrungen gesammelt und Entscheidungen getroffen, die mal mehr, mal weniger gut waren. Ich bin euch sehr dankbar, dass ihr mich bei all dem unterstützt habt. Darum bitte ich euch, auch bei dieser ultimativen Entscheidung jetzt hinter mir zu stehen. Ich will das tun. Es ist das Richtige für mich. Ich spüre es einfach."
Meine Eltern sahen mich stumm an, unsicher, ob und was sie sagen sollten. Schlussendlich nahmen sie mich einfach in den Arm und drückten mich lang und fest. Sie sagten, wie sehr sie mich liebten und stolz auf mich seien und vor Rührung kamen mir beinahe die Tränen.
"Hör zu", flüsterte mir Papa dann ruhig ins Ohr. "Falls du dich aus irgendeinem Grund umentscheiden solltest, falls irgendwas passieren sollte, egal weswegen, unsere Tür steht dir jederzeit offen. Scheu dich nicht, uns anzurufen oder zu uns zu kommen. Wir sind immer für dich da."
Ich schniefte kurz, ohne aber Tränen zu vergießen. Bewegt verstärkte ich die Umarmung. "Danke..."Am nächsten Tag hatte ich dann alles fertig gepackt. Mein Gepäck bestand nur aus einem mittelgroßen, zweiseitig bepackbaren Koffer. Zusätzlich nahm ich noch einen Rucksack mit allen möglichen notwendigen Dokumenten mit, Geld und am wichtigsten: Essen. Es würde eine lange Reise werden.
Meine Eltern fuhren mich zum Hauptbahnhof. Im Auto war es ziemlich still und bedrückt, ich sah nur aus dem Fenster und ließ vielleicht ein letztes Mal die Bäume, Straßen, Schilder, Gebäude und Felder auf mich wirken, die mir in den nicht mal zwei Jahren so vertraut geworden waren. Die Umgebung, die ich schon mal für fast ein Jahr verlassen hatte, aber wiedergekommen war. Die Umgebung, in der ich fahren gelernt hatte. Die knapp zwei Jahre waren wie im Flug an mir vorbeigerauscht. Ich hatte wirklich viel erlebt, es waren womöglich die mit einprägsamsten Jahre meines Lebens. Doch... mein Herz gehörte nicht hier her. Es gehörte auch nicht nach Neuseeland, obwohl ich dort sehr gern mein Auslandsjahr verbracht hatte. Ob ich an diesen Orten leben könnte? Wahrscheinlich. Ob ich dort langfristig glücklich werden würde? Bestimmt nicht. Denn es würde immer ein entscheidender Faktor fehlen, immer eine Lücke in meinem Herzen bleiben, die nur von einer einzigen Sache geschlossen werden konnte. Oder eher nur von einer einzigen Person...
"Mäuschen?", holte mich die Stimme meiner Mutter in die Wirklichkeit zurück. Ich fixierte meinen Blick und richtete ihn auf ihr Spiegelbild-Gesicht. Ihre Augen kreuzte im Rückspiegel kurz meine, ehe sie wieder auf die Straße vor ihr achtete. "Wir sind da."
Mein Blick schwenkte wieder aus dem Fenster. Erst jetzt erkannte ich das riesige Gelände des Hauptbahnhofes. Automatisch schlich sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen."Und vergiss nicht, was wir gesagt haben, ja, Spatz? Wir sind da, wenn du uns brauchst. Tu' nichts, was du nicht willst. Pass auf dich auf. Und melde dich, wenn du da bist!" Meine Eltern redeten ohne Punkt und Komma, während ich vor der bereits geöffneten Tür des ICEs stand und auf meine Freilassung wartete. Ich bejahte alles ganz freundlich, wollte eigentlich nur endlich los. Letztendlich umarmten sie mich noch einmal kräftig, ehe sie mich meinen Koffer nehmen ließen und ich durch die Tür steigen konnte.
"Liebling?"
Ich drehte mich nochmal um, sah meine Eltern an.
"Wir lieben dich. Und wir sind sehr stolz auf dich."
Ich lächelte. "Ich liebe euch auch. Lasst es euch gut ergehen." Dann betrat ich meinen Waggon, verstaute meinen Koffer und setzte mich auf meinen Platz. Meine Eltern blieben, bis sich der Zug in Bewegung setzte. Wir winkten uns so lange, wie wir uns sehen konnten. Dann blickte ich nach vorn. Ich war bereit.
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Farm Life
FanfictionEin alternativer Weg der Zukunft. Ein alternativer Weg des Schicksals, geschaffen mit einer einzigen Entscheidung. Manchmal bedeutet glücklich sein, nicht indem man entscheidet, zu gehen, sondern zu bleiben. Doch manchmal ist gehen genau die richtig...