22. Kapitel

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Erik wandte sich um und sah Jitka direkt vor sich stehen, eine Stufe über ihm, sodass sie ihm geradeaus in die Augen blicken konnte. "Ich hoffe, du glaubst nicht ... ich meine, das war jetzt ganz schön komisch ... aber es muss auch nicht gleich jeder ..." Sie legte ihm die Arme auf die Schultern und schaute ihn so an, dass er sich gar nicht abwenden konnte.

"Nein", sagte er einfach und lächelte. "Muss ja nicht jeder gleich wissen ..."

Sie fiel ihm um den Hals und drückte ihn an sich und er tat das gleiche. Wenn sie so weitermachten, wusste es tatsächlich bald jeder, aber was tat das schon? Es fühlte sich momentan einfach nur gut an, auch wenn er gleichzeitig spürte er wie ein Teil von ihm sich entfernte, einen Schritt zurück tat und ihm sagte, dass es doch vergeblich war, dass es gar nicht von Dauer sein konnte.

"Was ist?", fragte Jitka und strich ihm leicht mit der Hand über die Wange.

"Gar nichts", sagte er und küsste sie. "Ich bin einfach nur froh." In dem Moment kamen drei junge Mädchen aus dem Orchester die Treppe hinunter gelaufen, doch Jitka und Erik ließen sich nicht stören.

"So viel zu Geheimnissen", kicherte sie. "Du, ich muss jetzt los in die Probe, ich meld mich nachher bei dir, ja?" Er nickte und vor dem Eingang zum Konzertsaal trennten sich ihre Wege. Erik spazierte aus dem Gebäude, etwas planlos, denn er wusste nicht recht, was er jetzt mit sich anfangen sollte. Er hatte sich für den Nachmittag im Proberaum eingetragen. Doch jetzt wo die produktive Stimmung und die Anspannung der Probe nachließen, fühlte sein Hirn sich an wie Matsch.

Vielleicht war eine Pause wirklich das Richtige, so wie Karina es vorgeschlagen hatte. Außerdem musste er sich in Ruhe hinsetzen und nachdenken. Jetzt wo die Aufregung, die ihn heute Morgen noch im Griff gehabt hatte, nicht mehr alles andere überlagerte, war da auf einmal so vieles, das er erst irgendwie einordnen musste. Der gestrige Tag und dann die Nacht mit Jitka, alles war wunderschön gewesen, er war glücklich, er wollte sich in dieses schöne Gefühl hineinfallen lassen. Aber als er die Tür zur Wohnung aufschloss war ihm bereits klarer, was es war, das ihn davon abhielt. Er wusste, dass das nicht andauern konnte. Am Sonntag ging sein Flug zurück nach Kopenhagen und dann? Was taten sie dann? Einander ständig schreiben? Telefonieren? Oder versuchen einander zu vergessen? Er wollte beides nicht. Das mit der Fernbeziehung ... warum passierte immer ihm sowas? Das hatte schon einmal nicht funktioniert.

Er ließ sich auf die Couch fallen, zog die Beine an und legte seinen Kopf auf die Knie. Vielleicht hätte er doch auf der Uni bleiben und sich einfach im Proberaum verkriechen sollen. So sehr ihm dieses Leben hier in Turin gefiel, er konnte sich nicht auf die Dauer daran gewöhnen. Vor allem vermisste er sein eigenes Klavier und noch mehr die Möglichkeit sich zu jeder Tages und Nachtzeit, wann es ihm eben in den Sinn kam, spielen zu können. Jetzt zum Beispiel. Er würde hier auf keine Lösung kommen, wenn er einfach nur hier herumsaß. Da war es besser an etwas anderes zu denken. Vielleicht auch nicht gerade an das Beethoven-Konzert, denn das brannte sich langsam in seinen Ohren und seinem Gehirn fest. Er hörte es sogar noch im Schlaf.

Er fischte sich seine Notenmappe unter der Matratze hervor und blätterte lustlos darin herum. Vielleicht sollte er wieder ein wenig an seinen eigenen Noten weiterbasteln. Aber nein, das war jetzt nicht der Moment dafür. Er war einfach nur müde. Wenn er sich jetzt für ein halbes Stündchen hinlegte, würde es ihm danach auch wieder leichter fallen klar zu denken.

So das ist heute nur ein sehr kurzes Kapitel, dafür wird das nächste wieder umso länger ;-) Und wie immer danke fürs dabeibleiben und danke für Sternchen und Kommentare :-)

Das Schicksal spielt in Dur und MollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt