"Nochmal! Nochmal, Handong!" Die Stimme der Ausbilderin klingelt in meinen Ohren. Immer und immer wieder wiederhole ich dieselben Übungen, der Schweiß steht auf meiner Stirn. Meine Muskeln verkrampfen sich immer mehr und ich komme an meine körperlichen Grenzen. "Nochmal!"
Für einen Moment schließe ich die Augen, um mich neu zu konzentrieren. Und plötzlich trifft mich etwas hart auf der Schulter. Das laute Knallen des Holzstocks auf meiner Lederrüstung lässt mir die Ohren klingeln. Der Schmerz ist beinahe unerträglich, aber ich versuche, stark zu bleiben, nicht zurück zu weichen. "Wer hat dir erlaubt, eine Pause zu machen?" Kommandantin Taengoo stand direkt vor mir, ihre langen, hellbraunen Haare zu einem strengen Zopf zusammengebunden.
"Handong! Wer hat dir erlaubt, eine Pause zu machen?" "Niemand," antworte ich kurz. Ich kann die Blicke meiner Schwestern spüren, wie sich mich ansehen, manche verachtend, andere bemitleidend. "Nochmal, Handong!" Die sonst so weiche Stimme der Kommandantin wird immer rauer, umso lauter sie mich anbrüllt.
Ich hole tief Luft und sammle meine Kräfte. Mit voller Kraft und lauten Kampfschreien führe ich die Kata Bewegungen immer wieder aus, unter ständiger Beobachtung aller meiner Schwestern. In der Ferne läutet eine Glocke, die das Ende des heutigen Kampftrainings bekundet. Die Anspannung lässt etwas von mir ab und mir wird leicht schwindelig. Das war wirklich zu viel für heute...
"Wer hat dir erlaubt, aufzuhören, Handong?! Du gehst nicht eher zum Abendessen bis du die Formen perfekt beherrschst! Und es ist mir egal, ob es dir weh tut! Du bist hier, um eine Beschützerin des Himmels zu werden!" Entmutigt und mit gesenktem Kopf spanne ich meine Muskeln wieder an und tue, wie mir geheißen, während meine Schwestern tuschelnd an mir vorbeilaufen. Ich versuche zu widerstehen und nichts zu sagen, doch in mir brodelt eine Wut, die kurz davor ist, überzukochen.
Und dann sehe ich sie aus den Augenwinkeln - Heeyeon, meine ältere Schwester und Mutters Liebling. Lachend und vollkommen sorgenfrei steigt sie, scheinbar in ein interessantes Gespräch vertieft, die lange weiße Marmortreppe hinauf und begibt sich zum großen Speisesaal. Ich balle meine Fäuste fester zusammen und spüre, wie meine Fingernägel sich langsam in mein Fleisch schneiden. Wie sehr ich sie doch hasse! Warum fällt ihr alles so leicht? Sie ist mit großem Abstand die Beste von uns und dabei sieht sie nicht mal so aus, als würde sie sich überhaupt anstrengen!
Ich wende meinen Blick wieder ab und konzentriere mich mit zusammengebissenen Zähnen wieder auf die Übungen. Kommandantin Taengoo zieht ihre Kreise um mich und beobachtet jede meiner Bewegungen - wie ein Raubvogel, der seine Beute umkreist. "Nochmal! Nochmal!"
Wieder trifft mich ihr Stock, dieses Mal am meiner Wade. Aber mein ganzer Körper brennt vor Schmerz wie Feuer und nehme ich kaum wahr, wie mein Bein an der Stelle zu pochen beginnt. "Wenn du nicht auf deine Umgebung achtest, macht dein Gegner kurzen Prozess. Willst du Mutter etwa enttäuschen? Willst du sterben? Wenn du mir nicht zeigst, dass du eine Kriegerin bist, dann werde ich dir zeigen, was es bedeutet, Schmerzen zu haben! Nochmal, Handong!"
Ich versuche alles, um meine Ausbilderin zu überzeugen. Fast eine Stunde dauert es noch, bis kleine Tränen meine Wangen herunterrollen, als sie endlich sagt, dass es für heute reicht. Erschöpft falle ich auf meine Knie und versuche, nicht an Ort und Stelle zusammen zu brechen. "Wenn du mir meinen Boden schmutzig machst, bleibst du so lange, bis er sauber ist! Hier wird nicht geweint! Bist du eine Seonnyeo oder ein schwaches Menschlein?!" Ich beiße mir fest auf die Lippe, um nicht zu explodieren und die Kommandantin anzubrüllen, denn das wäre mein Ende.
Vor vielen Jahren hatte eine meine älteren Schwestern ihre Fassung verloren und Ausbilderin Taengoo angegriffen. Binnen weniger Augenblicke verlor sie dann auch noch ihren Kopf. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal geboren, aber die Geschichten, die meine Schwestern mir darüber erzählt hatten, haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Die Kommandantin war die stärkste und mächtigste Kriegerin des Himmels und maßgeblich an unserem Sieg über Daebyeol beteiligt, bevor sie sich dazu entschied, die nächsten Generationen von Seonnyeo auszubilden. Und so hatte sich bei uns Kindern der Satz „Verliere nicht deinen Kopf an Taengoo!" herumgesprochen.
„Kommandantin," frage ich mit zusammengebissenen Zähnen, als ich durch meine Tränen zu ihr aufsehe, „ist es mir nun erlaubt, mich zum Speisesaal zu begeben?" Mit einem leicht verachtenden Grinsen entgegnet sie mir: „Verdient hast du es nicht! Und jetzt verschwinde aus meiner Arena, Handong!"
Auf wackligen Beinen mache ich mich also auf den Weg: die weißen Treppen hinauf, den endlos wirkenden Gang entlang zum riesigen, ebenfalls in weißem Marmor erstrahlenden Speisesaal. Dort angekommen wische ich mir mit dem Handrücken schnell die Tränen aus dem Gesicht. Ich muss stark sein! Sie dürfen nicht sehen, dass ich geweint habe! Vor allem nicht Heeyeon! Ich trete hinein und der ganze Saal dreht sich zu mir herum. Seonnyeo, Lehrmeisterinnen, meine Schwestern – sie alle starren mich an, ihre Blicke wie kleine Dolche, die sich in meinen Körper bohren. „Lass dir nichts anmerken, Handong," flüstere ich mir zu, balle die Hände zu Fäusten und laufe erhobenen Hauptes an ihnen vorbei zu meinem Platz am Ende der langen Tafel.
Ich kann deutlich spüren, wie mich ihre Augen verfolgen. Im Saal ist es so still, dass man eine Feder fallen hören könnte. Nichtsdestotrotz klettere ich über die Bank, nehme mir meine Stäbchen und schlinge mein Budae Jjigae beinahe herunter. Kaum fertig, erhebe ich mich auch schon wieder, bringe meinen Teller zum kleinen Wagen in der Nähe der Küche, verbeuge mich vor der obersten Köchin und begebe mich ohne Umwege zu den Unterkünften.
Ich kann es kaum erwarten, diese verschwitzten Sachen auszuziehen! Ich mag diese Uniform, oder Rüstung oder wie auch immer man es nennen soll, überhaupt nicht! Schnell greife ich mir ein paar saubere Kleidungsstücke und schlüpfe in die Dusche. Ich drehe am Wasserhahn und die wohltuende, reinigende Flüssigkeit fließt über meinen Körper. Das heiße Wasser spült den klebrigen Schweiß herunter und macht meine langen, goldenen Haare wieder geschmeidig. Nach dem Duschen werfe ich mir mein Nachthemd über und klettere mit nassen Haaren auf mein Hochbett.
Ich atme tief ein und wieder aus und verschränke die Hände hinter dem Kopf, doch mein Herz schlägt vor Wut immer noch wie verrückt. Warum muss ich unbedingt Soldatin werden? Kann ich nicht Gelehrte werden und in der himmlischen Bibliothek arbeiten? Warum muss ich kämpfen lernen?
Langsam höre ich Stimmen, die den Gang entlangkommen. Ich blicke über den Rand meines Hochbetts und wieder läuft sie voraus – Heeyeon! Wie sehr ich sie doch hasse! Warum fällt ihr alles immer so leicht? Schnaubend drehe ich mich wieder auf den Rücken. Warum kann ich nicht so sein wie sie? Warum? Warum ist sie die Auserwählte? Warum?
Es muss doch etwas geben was ich tun kann... Irgendetwas, um ihr dieses Grinsen aus dem Gesicht zu treiben! Ich beiße mir auf die Lippe und schließe meine Augen. Was kann ich nur tun... Und langsam trete ich hinüber in die Welt der Träume, eine Welt, in der ich bestimme, in der ich die mächtigste Kriegerin bin, in der Heeyeon mich beneidet und ich sie wie Dreck behandle, so wie sie es mit mir macht...
~~~~
Hallo Leute~
hier mal was anderes für euch. Diese kleine Miniserie soll euch den Ursprung des Charakters Handong aus Nightmare näher bringen, wie sie aufgewachsen ist und wie sie zum, wie sie es nennt, mächtigsten Wesen des Universums geworden ist.
Der Plan dafür beinhaltet 7 Kapitel, beginnend mit dem heutigen, veröffentlicht am 07.07. um 7 Uhr abends, und wird für 7 Wochen laufen. Jeden Samstag um dieselbe Zeit gibt es dann ein neues Kapitel.
Ich hoffe es gefällt euch. Lasst mir doch mal einen Kommentar da, gerne auch Anregungen und Kritik.
Bis dahin, Sweet Dreams~
euer Chris
DU LIEST GERADE
Begin Again: A Nightmare Story
FantasyDie Geschichte des mächtigsten Wesens des Universums