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   Innerlich sahen sie alles, was um sie herum geschah. Ihre sieben Gefährten, die jeden Feind um sie herum zurückschlugen. Die Schlacht wenige Körperlängen weiter, die noch immer unerbittlich ausgetragen wurde. Malfurion samt Urtume und seinen Druiden, die dem mächtigen Dämonen tapfer Stand hielten. Den umkämpften Berg Hyjal mit dem riesigen Baum Nordrassil auf seinem Gipfel. Die Wälder drumherum. Den ganzen Kontinent Kalimdor, bis sie von der Ruhe des Meeres erfasst wurden. Sie spürten, wie gewaltige Massen Energie in sie strömten und gaben sie direkt an den Weltenbaum weiter. Doch sie spürten auch, dass es noch immer nicht genug war.

Mari, es reicht nicht. Was sollen wir nur tun? Leise Verzweiflung schwang in der dunklen, klaren Stimme von Dolette mit. Wir haben keine Wahl. Wir müssen auch die Energie der Lebewesen nutzen. Ich hoffe, dann wird es reichen, antwortete die Priesterin schwach.
Und so reisten ihre Geister langsam den Weg zurück. Nahmen die Mächte allen Lebens in sich auf und als sie schließlich wieder beim Schlachtfeld ankamen, sahen sie, wie ihre Mitstreiter, einer nach dem anderen, kraftlos in die Knie sackte.

Die Magier, Priester und Schamanen versuchten unbeholfen, mit ihren Stäben und Hämmern die Hiebe der Dämonen und Untoten abzuwehren und auch die vielen Nahkämpfer hatten der Legion nichts mehr entgegenzusetzen. Die Sieben um sie herum wurden nun ebenfalls in die Knie gezwungen und Marialle sah nur noch, wie ein Schwert direkt auf sie zu geschwungen wurde, als plötzlich die Erde erbebte und alles, was noch auf den Beinen stand, nieder warf. Ein unfassbar lautes Dröhnen erklang und ließ den Boden noch stärker erzittern. Darauf folgte eine unendlich mächtige Welle reinster Energie, ausgehend von Norddrassil, die alles Dämonische und Untote zu Staub zerfallen ließ.

Ein markerschütternder Schrei zeugte vom Tod des Entweihers. Es war geschafft.
Plötzlich war es totenstill geworden. Einzig ein sanfter Wind wog die Bäume hin und her, während leises Knistern vom Blätterdach zu vernehmen war. Kraftlos sank Marialle zu Boden und sah sich um. Die meisten ihrer Mitstreiter schienen entweder tot oder waren zumindest bewusstlos. Dolette lächelte ihre Geliebte schwach an. Auch sie war zu Boden gesunken und stützte sich auf den Knien und Händen ab. Wir haben es geschafft, Dole!, sandte die Priesterin, doch sie erhielt keine Antwort mehr. Als sie die Paladin nun genauer betrachtete, erschrak sie kurz. Sie sah, dass ihre Augen nicht mehr in den warmen Goldton getaucht waren.

Stattdessen leuchteten sie nun in einem befremdlichen Giftgrün, aber zumindest das Lächeln war noch das alte. Es brach allerdings jäh ab, als die Hochelfe offensichtlich erkannte, dass die telepathische Verbindung zwischen ihnen abgebrochen war. Marialle konzentrierte sich, aber auch keine der anderen Fähigkeiten, die sie jüngst erworben hatte, war geblieben. "Naja, wenigstens ist es überstanden und wir haben ja uns." Die Paladin lächelte matt. Ihre Worte trösteten sie offenbar nicht mal selbst.
Dolette schien wie in Zeitlupe nun gänzlich zu Boden zu sinken und auch Marialle spürte, wie die Dunkelheit sie umringte und in eine tiefe Bewusstlosigkeit zog.

Um sie herum war Stille und nichts als Schwärze. Elarie!, erklang der warme Ruf einer weiblichen Stimme aus schier unendlich weiter Ferne. Wer spricht da?
Tochter, vernahm sie die Stimme erneut, nun ganz nah und noch viel sanfter als beim ersten Mal. Doch dann wieder Stille.
Mari? Mari, bist du hier?, hörte sie nun ganz deutlich die Stimme ihrer Liebsten. Ja, Dole. Ich bin hier! Und augenblicklich schälten sich die Umrisse der Hochelfe nur wenige Körperlängen von ihr entfernt in das Dunkel. Marialle durchströmte eine Welle des Glücks, als sie in die warmen goldenen Augen der Paladin blickte. Wo sind wir hier?, fragte sie.

Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich wurde gerufen, antwortete Dolette ruhig. Plötzlich tauchten zwei riesige Augen vor ihnen auf. Das eine strahlte silbern wie der Mond und das andere golden wie die Sonne. Töchter von Sonne und Mond, hört meinen Ruf!, ertönte eine undeutbare Stimme aus allen Richtungen. Es war nicht die Stimme, die Marialle noch Augenblicke vorher gehört hatte, da war sich die Priesterin sicher. Die beiden Frauen sahen sich verwirrt an. Wer bist du?, fragte die Paladin leise. Ich bin alles! Jedes Wesen, jedes Element, der Boden, auf dem ihr wandelt! Die Stimme dröhnte jetzt laut und gebieterisch, obwohl dennoch eine gewisse Wärme von ihr ausging.

Elarie, Belurie, ihr habt zig Jahrtausende auf diesen Moment gewartet und ihr habt alle Prüfungen hinter euch gelassen. Jedes eurer vielen Leben wart ihr auf der Suche nach einander und eurer Bestimmung. Nun endlich habt ihr euch gefunden und euer Schicksal erfüllt, obwohl es euch eurer ganzen Macht beraubt hat. Der Macht, die ihr einst von euren Müttern, der Göttinnen von Mond und Sonne, erhalten habt. Aber tröstet euch! Denn jetzt seid ihr endlich frei. Das ungleiche Augenpaar verschwand in der Dunkelheit und hinterließ nur je einen leuchtenden Punkt, klein wie eine Münze.

Der Silberne flog auf Marialle zu und drang langsam in ihre Brust ein. Der Goldene tat es seinem Pendant bei Dolette gleich. Die Priesterin sah irritiert in das Gesicht der Paladin. Enttäuschung durchzog sie, als sie sah, dass der Goldton, der eben noch da war, nun schon wieder dem satten Giftgrün gewichen war, der in den Augen der Elfe lag und ihnen doch einen leicht bedrohlichen, wenn nicht sogar dämonischen Ausdruck verlieh.
Dole ...
Sie wurde unsanft aus diesem merkwürdigen Traum gerissen. Jemand schüttelte sie grob.

"Lady Lichtsprung, nun wacht doch bitte auch auf!" Es war Borigan, der sie so unsanft aus dem Traum holte, aber ein glückliches Lächeln zierte seine von einem Mehrtagebart umrahmten Lippen. Um sie saßen noch immer viele Mitstreiter kraftlos am Boden. Andere lagen und die Priesterin konnte nicht sagen, ob tot oder lebendig. Als sie sich weiter umsah, erblickte sie die Paladin, die sie schwach, aber warm anlächelte. "Ihr habt es geschafft, Myladys”, erklang nun die Stimme von Malfurion hinter ihr. Ihre sieben Gefährten schienen alle wohlauf zu sein, was der Priesterin einen Stein vom Herzen fallen ließ. Und von der Seite traten Tyrande und Jaina an sie heran.
Die beiden boten das gleiche Bild wie so viele andere hier, verletzt und entkräftet, aber über alle Maßen glücklich. Schlurfende Schritte kamen von der anderen Seite hinzu. Thrall und Cairne stützten Vol'jin beim Gehen. Sein Bein war zerfetzt, aber wenigstens noch dran. "Es ist vollbracht", ließ sich der Kriegshäuptling leise vernehmen. Auch ihm verlieh ein Lächeln ungewohnte Gesichtszüge.
Dolette und Marialle erhoben sich wie viele der Kampfgefährten um sie herum. Ein buntes Gemisch aus Nachtelfen, Orks, Menschen, Trollen und Tauren stand auf dem Vorplatz zum Baum Nordrassil.

"Freunde, Verbündete, Mitstreiter! Es ist vollbracht. Die brennende Legion wurde zurückgeschlagen! Wer kann, hilft einem anderen! Jeder von euch hat sich tapfer geschlagen. Die Welt dankt es euch", verkündete der Anführer der Druiden laut über den Platz und es wurde überall, sofern es die Kräfte zuließen, verhalten gejubelt.
Es wurden Wunden versorgt und begonnen, Lager aufzuschlagen, damit ein jeder sich ausruhen konnte. Später gedachte man noch gemeinsam bei einem Fest den vielen Opfern, die diese lange Belagerung und die vielen Schlachten gefordert hatten. Es wurde viel geweint. Die Anspannung fiel endlich von den Überlebenden ab, aber es wurde auch wieder gelacht und gefeiert.

Es dauerte einige Tage, bis die Kräfte ausreichend regeneriert waren, um aufzubrechen. Schließlich standen sich die Anführer aber gegenüber, um sich zu verabschieden. "Trotz unserer Differenzen werden die Nachtelfen nicht vergessen, was ihr und eure Völker für die Welt geleistet habt", sprach Malfurion feierlich. "Wir ebenso, Meister Sturmgrimm", erwiderte Thrall für die Orks, Tauren und Trolle. "Dem können wir uns nur anschließen", ließ auch Jaina verlauten, hinter der Dolette und Marialle standen.
"Es war ein Bündnis, das seinesgleichen sucht. Ich hoffe inständig, dass es von Bestand ist", schloss Tyrande Whisperwind.

Sie reichten sich die Hände und brachen auf. Die Tauren konnten endlich wieder in ihrer Heimat Mulgore sesshaft werden, die sie mithilfe der Orks und Trolle von den Zentauren befreit hatten.
Thrall und seine Orks würden sich eine Stadt in dem kargen Land errichten, die Zentrum seiner neuen Horde sein würde. In dem Land, das so brach lag, würden die Orks nichts ihrer Kampfkraft und ihres Überlebenswillens einbüßen.
Vol'jin würde schauen, ob er in der Nähe der Orks ein geeignetes Gebiet für sich und die Seinen beanspruchen konnte. Auch Jaina würde, begleitet von Dolette und Marialle, ein Gebiet suchen, in dem sie einen Stützpunkt der Menschen hier in Kalimdor errichten konnte. Danach würden sie gemeinsam nach Sturmwind zurückkehren.
Und so gingen sie alle ihrer Wege, gefolgt von den überlebenden ihrer Truppen, mit ihren unterschiedlichen Zielen fest vor Augen.

Die dunkle RitterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt