Es war ein glühend heißer Sommertag im Juli. Für Amy und ihren kleinen Bruder Frank war heute der erste Tag der Sommerferien, seit Wochen schon freuten sich beide riesig,denn ihre Eltern hatten versprochen Urlaub in Madrid zu machen. Dafür hatten sich Amys Eltern ein hübsches Ferienhäuschen ausgesucht,gleich in der Nähe des Meers, etwa 200 bis 300 Meter entfernt, hatte ihr Vater ständig stolz verkündet. Amy liebte den Sommer. Das Schwimmen im klaren salzigen Meer, die Frische Luft und die strahlende Sonne, die ihr nicht nur einen schönen braunen Tein verlieh,sondern auch ein Gefühl der Lebendigkeit in ihr auslöste. Allein bei dem Gedanken an Winter bekam sie einen Schauder, die langen dunklen Wintertage, bei denen man schon zu zittern begann, wenn man auch nur einen Blick aus dem Fenster wagte und vom Zimmer aus auf die eisigen Straßen spähte. Diese Jahreszeit hatte sie nur mit größter Mühe überstanden, ein Wunder, dass die Langeweile sie nicht umgebracht hat.
Ganz so wie ihr Bruder Frank. Fünf Jahre war er nun schon alt. Er liebte den Sommer und die Ferien genau so wie sie. Sie waren sich in vielem so ähnlich, teilten die selben Interessen und doch waren sie von Grund auf verschieden. Frank war wild und manchmal stur wie ein Bock, immer musste er es allen recht machen und mochte nicht, wenn man ihm widersprach oder seine Meinung nicht teilte.Dennoch liebte Amy ihn über alles. Ohne ihn wäre das Leben um einiges langweiliger, denn viele Freunde hatte sie nicht.
Lisa war die einzige Freundin, die ihr gerade einfiel, vielmehr gehörte Lisa schon zur Familie, denn die beiden kannten sich schon seit dem Kindergarten. Sie war wie eine große Schwester für Amy, die sie sich immer gewünscht hatte aber leider nie bekam. Häufig gab es zwischen ihr und ihrem Bruder Streit, meistens ging es um belangloses. Typisch Kinder, wie ihre Eltern immer meinten. Was Charakter anging, war Amy das komplette Gegenteil von Frank. Sie war immer viel mehr in sich gekehrt, oft sehr ernst, ruhig und auch schüchtern. Frank war eher wie ein Sturm, der sie gelegentlich zum aufbrausen brachte und sie aus ihrem grauen und monontonen Alltag schleuderte. Diesen Ausgleich brauchte sie hin und wieder mal, er tat ihrer Seele gut und brachte eine gewisse Dynamik in ihr Leben, was oft viel zu kurz kam.
Nun war es also endlich so weit, Mama und Papa warteten bereits unten am Wohnmobil, mit all dem Gepäck,das sie für die Reise benötigten. Schnell und hastig lief sie nochmal die Treppen zu ihrem Zimmer hoch um ein aller letztes mal zu überprüfen, ob sie wirklich nichts vergessen hatte. Bikini,Schwimmmatratze, Sonnencreme, Handtücher, Alltagsklammoten,Smartphone, Kopfhörer, Schminkzeug. Alles schien gepackt zu sein,für Proviant und weitere wichtige Sachen hatten ihre Eltern bereits gesorgt.
Wie aus dem Nichts, lief Frank ihr entgegen, stolperte fast über seine Schnürsenkel, schaffte es jedoch im letzten Moment sich aufzufangen. „Was rennst du dennschon wieder so hastig durch die Gegend, hast du etwa was vergessen?", wollte Amy mit einer gewissen Neugierde wissen. „Meine blöden, blöden Schwimmflügel. Ich kann sie einfach nirgends finden, weißt du vielleicht wo sie stecken?" Frank war kanllrot im Gesicht, wie immer kam er schnell in Rage wenn er etwas nicht sofort finden konnte. „Nein das weiß ich nicht aber vielleicht wird es mal langsam Zeit für dich,dass Schwimmen ohne diese dämlichen Flügel zu lernen", Amy ballte ihre Hand zu einer Faust und rieb mit ihren Fingerknöcheln unsanft auf den Kopf ihres Bruders. „Das werde ich dieses mal schaffen, ganz bestimmt, du Jammerziege!",Frank streckte ihr nur seine rosarote Zunge aus und lief die Treppen hinauf zu seinem Zimmer.
„So ihr beiden,habt ihr nochmal überprüft ob ihr nichts vergessen habt? Das wäre tragisch, denn zurück kommen wir erst wieder in zwei Wochen", Peter grinste seine beiden Kinder mit einem abenteuerlichen Lächeln an. Auch er und seine Frau Jenny freuten sich schon sehr auf diese zwei Wochen. Und diesen Urlaub haben die beiden auch sichtlich nötig, wie Amy fand.Der Stress, der sich über das Jahr durch die ganze Arbeit bei ihnen angesammelt hatte spiegelte sich in ihren Gesichtern wieder, vor allem in den trägen Augen, fand Amy. Peter, der eine Anwaltskanzlei in Hamburg führte, berichtete zuhause immer wieder von den Fällen,die er im Gericht erlebte. Es gab Tage, da war er ganz außer sich vor Freude und sprudelte wie ein Wasserfall seine Worte aus sich heraus. Doch wenn ein Fall mal nicht ganz nach seinen Vorstellungen verlief, dann sprach er kaum.Er setzte sich in sein Zimmer oder legte sich mit ernster Miene direkt ins Bett. „Da erkenne ich mich selber in ihm wieder", dachte Amy in solchen Momenten. Ihre Mutter Andrea führte das Blumengeschäft zwei Straßen weiter und kümmerte sich nach der Arbeit immer noch fuchsteufelswild um den Haushalt. Kein Körnchen Staub durfte zu sehen sein, alles musste blitzeblank geputzt sein und Unordnung war für sie eines der schlimmsten Dinge auf dieser Welt. Ordnung war für Amy und ihren Bruder natürlich auch wichtig, keine Frage. Aber ihre Mutter übertrieb es gerne damit und dazu kam dann noch oft die chronische Unlust von den Geschwistern.
„Nein, alles gepackt!" antworteten Amy und Frank beinahe zeitgleich. „Na dann nichts wie rein in unser Gefährt und lasst uns die Reise beginnen!" Andrea öffnete die Tür des Wohnmobils und setzte sich auf den Beifahrersitz, ganz ungeduldig vor Freude wartete sie darauf, dass der Rest der Familie sich ebenfalls ihre Plätze sicherte. Jetzt galt es nur noch irgendwie die Zeit zu überbrücken, mit Musik hören, Lesen oder dem kleinen Franky gelegentlich mal auf die Nerven gehen, Amy grinste ihren Bruder mit einem fast schon heimtückischen Lächeln an. Als Frank das bemerkte zeigte er ihr seinen Stinkefinger und ließ sich in sein Bett fallen, welches sich gleich ihrem gegenüber befand.
Zwei Stunden waren sie bereits unterwegs als Frank aufstand und Amy auf die Schulter tipste „Amy meine Kopfhörer funktionieren nicht mehr. Gib mir deine ich will jetzt Musik hören". Amy wusste, dass wenn er einmal nach was fragte nicht locker ließ, „Ich möchte aber gerade selber Musik hören Franky, in einer halben Stunde gebe ich sie dir", entgegnete sie mit einem scharfen Ton, der offenbar keinerlei Wirkung bei ihm zeigte. „Neiiiiiin ich will sie aber jetzt haben und nicht erst in einer halben Stunde!" seine Stimme wurde lauter und er hörte sich nicht mehr wie ein Mensch, sondern viel mehr nach einem quiekenden Meerschweinchen an. „Soll ich Mama und Pa etwa von deinem Geheimnis erzählen, das du so gerne für dich behältst?" Mit einem giftigen Blick schaute er ihr für einen Moment in die Augen und drehte sich dann um. „Na immerhin kann ich ihm damit noch Angst einjagen",dachte sie ein wenig stolz, doch schnell verflog dieses scheinbar triumphierende Gefühl und er tat ihr leid. Frank ging ruckartig zur Tür des Wohnwagens und schlug mit seinem Faustballen einmal kräftig auf sie zu.
„Frank jetzt mach keinen Blödsinn und verschwinde von der Tür, bevor sie gleich noch aufspringt!".Ein zweites mal Schlug Frank auf die Tür ein, diesmal kräftiger.„Ist ja schon gut, ich gebe dir die Kopfhörer sofort, hör aber bitte auf damit, das ist gefährlich". Jetzt grinste er wie so oft schon, wenn er das bekommen hat, was er bekommen wollte.
Auf der gegenüberliegenden Fahrbahn hörte man plötzlich ein Fahrzeug hupen. Man hörte ihre Mutter nur noch schreien „Peter pass auf, du musst ausweichen, sonst ..."Das erneute Hupen schnitt ihr das Wort ab und als Amy aus dem Fenster schaute um sich zu vergewissern, was vor sich ging, sah sie einen riesigen Lastkraftwagen, der geradewegs auf sie zufuhr. „Franky verschwinde von der Tür, schnell!", das waren die letzten Worte,die sie zu ihrem Bruder gesprochen hatte, daran kann sich Amy noch ganz genau erinnern. Der LKW rammte ihren Wohnwagen seitlich und gerade als Frank sich von der Tür fortbewegen will wird diese ruckartig aufgerissen und Frank durch den starken Sog des LKWs mitgezogen, er hatte keine Chance.
Nie wird Amy den Ausdruck in seinem Gesicht vergessen und die Augen mit der er sie anstarrte...
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Amy und die Stille
Teen FictionHallo liebe Literaturfreunde. Seit einer gefühlten Ewigkeit habe ich wieder die Freude am Schreiben für mich gefunden und ein paar Seiten zu Papier gebracht. Allerdings ist dies nur ein kleiner Ausschnitt einer (möglichen) Geschichte. Über Komment...