I.

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Warmes Blut fliest meinen Arm hinunter. Das kalte glatte Metall scheidet nochmal tief in meinen Arm. Ich atme schwer, nur langsam und ruhig, ein und aus. Der Rhythmus wird nur manchmal durch ein kleines Zucken oder ein aufstöhnen unterbrochen. Der Schmerz wird immer größer, je tiefer und je öfter die dünne Klinge in mein Fleisch schneidet.

Alle Viere von mir gestreckt liege ich jetzt hier. Getrocknetes Blut klebt an meinem Arm und meinen Händen. Tränen laufen über mein Gesicht, ich schaue zur Decke. Niemand versteht mich. Niemand braucht mich. Niemand sieht mich so wie ich bin. Ich bin allein. Allein unter Tausenden.

Mein Wecker klingelt, es ist 6:30. Mühsam hieve ich mich aus dem Bett, greife schnell nach irgendetwas aus dem Schrank und husche dann ins Bad. Unter der Dusche fange ich an 'If I were a Boy' zu singen, die Stimme noch etwas rau und verschlafen, bin ich froh, dass nur ich mich grade hören kann. Das Blut wäscht sich langsam ab und bildet hellrote Schwaden im Abfluss. Die Schnitte brennen wenn das warme Wasser darüber läuft. Als ich fertig bin, ziehe ich mir schnell die Sachen an die ich mir mitgenommen hatte, einen langen schwarzen Hoodie und eine schlichte schwarze Jeans. Föhne meine schulterlangen braunen Haare und binde sie zu einem strengen Pferdeschwanz zusammen.

Jetzt ist es zehn nach sieben und ich gehe langsam runter in die Küche. Mein kleiner Bruder Sven sitzt am Tisch und löffelt genüsslich sein Müsli und starrt konzentriert auf sein Handy. Ma rennt aufgewühlt durch die Küche und Dad ist wohl schon in der Arbeit. Ich nehme mir einen Apfel und setzte mich dann auch an denn großen massiven Tisch. Um kurz nach halb acht schnappe ich mir meine Tasche, wünsche den beiden einen schönen Tag und mache mich auf mit meinem Fahrrad in die Schule (besser gesagt in die Hölle) zu fahren.

Auf halbem Weg treffe ich meine beiden besten Freundinnen, Anna und Lisa. Sie erzählen mir von der Party auf der sie waren, dort waren, laut ihnen, total heiße Typen. Lisa fragte mich etwas beiläufig wieso genau ich nicht mitgekommen bin. Hausarrest war meine Antwort, die aber eigentlich nicht stimmte. An Orten wie dieser Party sind lauter Leute die nur darauf bedacht sind zu vögeln oder sich zu zuschütten, so bin ich nun mal nicht. Wir kommen nach einer gefühlten halben Stunde bei der Schule an (es waren eigentlich nur 10 Minuten). Schlimmer kann's nicht mehr werden, erste Stunde Mathe.

Wir betreten das Klassenzimmer, ungefähr die hälfte der anderen ist schon da und sie unterhalten sich lautstark. Ich setze mich wie gewohnt auf meinen Platz am Fenster neben Lisa. Sie meint zu mir: >Nächstes mal kommst du aber sicher mit auf die Party! Keine Wiederrede Jessi!< Ich nicke und lächele, damit sie zufrieden ist und klammere mich an die Ärmel von meinem Pulli.

Langsam wird es ruhiger und alle setzten sich hin. Frau Müller betritt den Raum schaut sich um, lächelt zufrieden und fragt dann mit ihrer hohen penetranten Stimme : >Der Neue ist also noch nicht da?< Wir alle schauen sie nur verwirrt an und schütteln unsicher den Kopf. Ein neuer? Das hat in dieser Klasse voller hormongesteureten Irren noch gefehlt! Man merkte aber auch sofort, dass alle Mädchen (außer mir) hellhörig geworden sind. Natürlich, dann haben sie ein neues Opfer, aber natürlich nur wenn er gut aussieht. Nichts gegen Lisa und Anna, ich liebe die beiden, doch in dem Punkt Jungs sind die unausstehlich. Als Frau Müller dann doch mit dem Matheunterricht anfängt, vertiefe ich mich wieder in das kleine Graffiti das ich in meinem Heft angefangen hatte zu zeichnen.

In mitten der Stunde klopft es leise an der Tür. Ein Raunen geht durch die Klasse. Die Müller macht die Tür auf und vor ihr steht tatsächlich ein Junge in unserem Alter. In den Gesichtern der meisten Mädchen konnte ich Enttäuschung erkennen, denn er war naja einfach durchschnitt. Ungefähr 1,80 m groß, dunkel braune volle Harre , sehr dunkel braune Augen fast schon schwarz, normale Statur, Jeans und ein grüner Hoodie. Er schaute Frau Müller unsicher an, >Tschuldigung, ich musste noch ins Sekretariat und hab den Raum nicht gefunden.< Er ist ein bisschen rot im Gesicht und schaut verlegen zu Boden. Frau Müller nickt nur und fordert ihn auf sich vorzustellen. Er räuspert sich, und obwohl ich bis eben noch sehr in mein kleiner Kunstwerk vertieft war, zieht er nun meine komplette Aufmerksamkeit auf sich. >Hi. Also ich bin Lukas. Wir sind vor nen paar Wochen hergezogen. Ich bin 16. Ja des war's eigentlich, hat jemand von euch noch ne Frage?< Keiner fragt etwas, er zuckt nur mit den Schultern und schaut sich dann nach einem freien Platz um. Neben Max ist noch einer frei, Lukas fragt höflich ob er dort sitzen könnte. Max nickt freundlich. Na toll, jetzt sitzt so ein Riese direkt vor mir. Für den Rest der Stunde widme ich mich wieder meiner kleinen Zeichnung.

Nach dem Gong dreht er sich um und erhascht einen kurzen Blick auf mein Graffiti. Ihm entfährt ein leises aber nach Bewunderung klingendes  >WOW<. Ich muss lächeln, sonst beachtet niemand meine kleinen Zeichnungen. > Du bist gut. Wo hast du gelernt so gut zu zeichnen?< Ich muss lachen (ein echtes Lachen, eine Seltenheit) >Naja, ich denke hier. Man kann ja sonst nichts besseres tun, in diesem Irrenhaus. Ich mein das was die da vorne erzählen bringt mit später doch auch nichts.< Jetzt muss er lachen. >Bist du wenigstens so gut in dr Schule, dass du dir das überhaupt erlauben kannst?< Jetzt mischt sich Lisa ein, der natürlich nicht entgangen ist, dass der Neue und ich uns unterhalten. >Sie hat fast nur Einsen und das obwohl sie eigentlich nie aufpasst. Ich dagegen,  bemühe mich mit allen Kräften dem Unterricht zu folgen und muss trotzdem jedes Jahr darauf hoffen vorrücken zu dürfen! Das ist einfach so unfair!< Ich lächele nur matt, darüber beschwert sie sich oft genug! Sie setzt ein unschuldiges Lächeln auf und fragt  ihn mit gespielt interessierter Stimme : >Und wie bist du so in der Schule, Lukas?< Er schaut mich kurz an, doch ich hatte mich schon wieder meiner Kunst gewidmet. >Naja, ich lerne eigentlich so gut wie nichts und war trotzdem immer Klassenbester.< Genervt rollt Lisa mit den Augen und wendet sich wieder den anderen zu. Sie erträgt es nicht wenn Menschen besser sind als sie. > Hey, ähm wie heißt du denn eigentlich?< Ich schaue ihn nu etwas verwirrt an. >Ähm, Jessi. Also eigentlich Jessica.< Er nickt nur zufrieden und dreht sich langsam wieder um. Aber man kann das Lächeln auf seinem Gesicht kaum übersehen.

Fünf weiter Schulstunden später bin ich endlich wieder zu Hause. Die anderen sind noch nicht da, also habe ich das ganze Haus für mich. Aber ich bin so erschöpft, dass ich mit einem Teller Nudeln auf dem Sofa liege und gelangweilt durch Instagram stöbere. Lukas_x9 möchte dir folgen. Ich geh erst mal auf den Account und sehe am Profilbild, dass es Lukas ist (er ist privat). Ich nehme seiner Anfrage an und folge ihm auch zurück. Ich schalte mein Handy aus, da es eh nur noch 7% Akku hat, und suche mir ein gutes Buch (Harry Potter und der Halbblutprinz). Ich lege mich auf die Couch und fange an zu lesen. Ich bin wohl eingeschlafen, denn als ich wieder aufwache liege ich in meinem Bett. Meine Augen fallen wieder zu und ich geite wieder in einen diesmal unruhigen Schlaf. Ich träume von Monstern, sie sehen aus wie Lisa, Anna und die anderen aus der Klasse. Sie bewerfen mich mit Steinen und Dreck und beschimpfen mich. Ich kauere in der Mitte von ihnen und weine, flehe sie an auf zu hören.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 25, 2018 ⏰

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