Kapitel 22

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„Alles klar bei dir?", fragte mich mein Bruder kurz bevor mir uns auf den Weg zur Schule machten.
„Ja sicher, immer doch.", antwortete ich ernst, dadurch bekam ich aber einen leichten Klaps auf die Schulter.

Ich wusste ja, dass ich nicht die einfachste Schwester war, vorallem nicht wenn er eigentlich die Verantwortung für mich hat und das nicht gerade nur für ein paar Stunden. Doch zum Glück ging er ganz gut mit der schwierigen Aufgabe um und dafür war ich ihm extrem dankbar.

Max schnappte sich seinen Autoschlüssel und ging in Richtung Haustüre. Da wir heute beide nach der selben Stunde aushatten konnte ich zum Glück auch wieder bei ihm mit nachhause fahren. Eine sehr positive Sache für eine Person mit so wenig Ausdauer wie ich.

Ich hatte ja wirklich vor mit dem fußballspielen weiterzumachen, doch die Sache mit meiner Mutter traf mich doch so, dass ich nicht in der Lage wäre dort hinzugehen. Außerdem schmerzten meine Gelenke täglich und ich war schon beim Treppensteigen total außer Atem.

***

„Bis später dann!", murmelte ich noch kurz in die Richtung meines Bruders und ging dann zielstrebig zu Selina. Freudig mich zu sehen stand sie auf und zog mich in eine feste Umarmung. Diese kurzen Momente genoss ich wirklich, sie gaben mir ein Gefühl von Sicherheit und dass ich vielleicht doch nicht für alle Personen so ungewollt und dumm war wie es mir sehr oft vermittelt wurde.

In der ersten Stunde hatten wir Bio, superspannendes Thema, interessierte uns natürlich voll.

Beide kritzelten wir gedankenverloren in unserem Heft rum, bis Selina flüsternd zu mir sagte: „Ich muss dir unbedingt etwas erzählen, das ist so seltsam und ich weiß irgendwie gar nicht wie ich damit umgehen soll. Zuerst war ich mir gar nicht sicher, ob ich dir es wirklich erzählen kann, da es um meine Eltern geht und du ja zur Zeit nicht weißt wo deine sind..." sie machte eine kurze Pause in der ich einwenden konnte, dass sie sich gar keine Gedanken machen musste, da das für mich kein Problem war.
Also fuhr sie fort: „Okay, also wie du weißt haben mich meine Eltern als Baby bei meinen Großeltern abgegeben und ich habe sie nie kennengelernt. Auch in der Zeit als ich im Heim war, waren sie nicht auffindbar. Doch gestern kam ein Brief vom Heim, dass sie vermuten, dass sich meine Mutter bei ihnen gemeldet hat. Angeblich hatte nämlich eine Frau nach mir gefragt und war wohl etwas enttäuscht als sie erfuhr, dass ich seit kurzem bei einer Pflegefamilie wohne. Doch sie wollte keinerlei Angaben.....", „würdet ihr zwei bitte auch so freundlich sein und meinen Unterricht nicht allzulaut stören?", wurde sie von unserem Bio-Lehrer unterbrochen. Wir verdrehten genervt die Augen, verfolgten eine Minute den Unterricht und beugten uns dann wieder zueinander damit Selina fortfahren kann. „Also ähm wo war ich.....ah ja genau sie wollte gar keine Angaben zu ihrem Namen bzw ihren Personalien geben.
Das Heim hatte ihr angeboten, dass sie bald einen Gesprächstermin ausmachen, in dem sie die Frau etwas kennenlernen und wenn sie wirklich meine naja Mutter sein sollte....soll ich entscheiden ob ich mich mit ihr treffen will um sie kennenzulernen. Aber ehrlich gesagt weiß ich gar nicht ob ich das auch will. Ich meine diese Frau hat mich 16 Jahre allein gelassen und es war ihr egal was ich tu oder auch nicht tu. Warum sollte es sie jetzt auf einmal interessieren?"

„Oh, das ist aber wirklich richtig komisch, wenn sie so plötzlich da wär nach 16 Jahren. Sie hätte ja auch viel viel früher kommen können, damit sie noch was von deiner Kindheit mitbekommt oder so. Aber jetzt warum auf einmal?", antwortete ich ihr nachdenklich.

„Wenn ich euch noch einmal ermahnen muss fliegt ihr aus dem Kurs! Und das wird wohl oder übel die Schulleitung auch erfahren. Ich weiß ja nicht ob ihr das wollt.", ermahnte uns unser Lehrer nochmal und wirkte schon etwas sauer.

Wie warfen uns kurz genervte Blicke zu, doch verhielten uns die restlichen Minuten ruhig.

***

Auf dem Weg zur Cafeteria mussten wir an Jannik und seinen Freunden vorbei, was mir ziemlich unangenehm war, da ich es allgemein ziemlich hasste wenn man länger als nötig von einer Person angeschaut wurde. Doch zum Glück fiel ich den meisten nicht auf, oder sie hatten schon wieder vergessen wer ich war. Was natürlich auch sein konnte.

Dennoch blickte ich ziemlich interessiert auf den Boden, nur kurz schaute ich in Janniks Richtung und konnte seine Augen auf mir ruhen sehen. Ich hasste das Gefühl, das sie in mir auslösten.
Ich wollte meine Gefühle selbst steuern und entscheiden welche ich an mich ran lasse und welche nicht. Und noch mehr hasste ich es, dass diese Gefühle von einer anderen Person ausgelöst wurden.
Ich konnte mich doch wirklich nicht mit noch einer Person anfreunden oder sonstiges.

Schon allein die Freundschaft mit Selina war für mich ein sehr großes Risiko, da ich es nicht ertragen könnte, wenn ich sie auch noch verlieren würde.

Trotzdem war es so gut wie unmöglich die Gefühle die in Janniks Nähe bei mir ausgelöst wurden zu unterdrücken. Also nahm ich mir vor vielleicht einfach mal ein kleines bisschen offenener in solche Dinge hineinzugehen.

Die Mittagspause verlief wie immer ziemlich ruhig. Die wichtigen Dinge hatten wir ausgesprochen und Small-Talk hassten wir eh beide.

Wenn man so leise da sitzt in der großen Cafeteria die rappelvoll ist, fällt es einem eigentlich erst auf, wie laut die ganzen Leute sind. Es ist schon krass, wie einem das erst auffällt wenn man selber ganz ruhig ist. Aber sobald man sich selber unterhält blendet man das Umfeld total aus.

Die restlichen Kurse verliefen relativ ruhig und ohne besondere Geschehen, wir hofften beide die ganze Zeit nur auf das Schulende.

Dann endlich nach dem erlösenden Klingeln ging es für uns nach draußen auf den Schulhof. Ich machte mich auf den Weg Richtung Parkplatz und Selina auf den Weg nach Hause. Kurz verabschiedeten wir uns und dann trennten sich unsere Wege.

Auf dem Parkplatz wartete ich vor dem Auto meines Bruders. Wie ich ihn kannte musste er sich noch von seinen Kumpels verabschieden und das konnte sogar bei Jungs lange dauern.

Etwas weiter hinten sah ich Jannik telefonieren, mich sah er nicht, da ich seitlich neben dem Auto stand, doch ich konnte ihn relativ gut sehen. Er wirkte aber alles andere als glücklich, durch seine Körperhaltung und die freie Hand zur Faust geballt wirkte er ziemlich sauer.

Nach kurzer Zeit nahm er das Handy vom Ohr, schüttelte den Kopf und strich sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Dann stieg er in ein schwarzes Auto ein. Ich hatte nicht gewusst, dass er ein Auto hatte, da er bis jetzt immer zu Fuß war wenn wir uns getroffen hatten. Aber eigentlich war es logisch, da er in der Oberstufe war, genau wie Max und der hatte ja schließlich auch ein Auto.

Wegfahren sah ich ihn nicht mehr, da dann endlich Max kam und das Auto aufsperrte.

Verlass mich nicht!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt