Als Emma die Augen aufschlug, fiel das erste Tageslicht durch die groben Bretter, die das Dach bildeten. Im Winter pfiff es immer durch die Ritzen und es zog fürchterlich, im Sommer dienten sie als Luftdurchlass. Das Haus hatte nur zwei Zimmer. Ein kleines in dem Rebecca schlief, und den großen Wohn- und Schlafraum der Familie. Darin stand auch Emmas Bett. Sie drehte sich auf die Seite und betrachtete ihre Geschwister. Wenn sie schliefen, sahen sie alle friedlich aus. Nicht so als ob sie einen wirklich an den Rand der Vernunft bringen konnten.
Jake war der Älteste. Er sah seinem Vater sehr ähnlich. Die gleichen braunen, leicht gewellten Haare und das markante Gesicht. Obwohl er erst neun war, sah er älter aus und war schon ziemlich kräftig.
Auch Henry war ein Ebenbild seines Vater. Zwar erst ein sechsjähriges, aber ein sehr hübsches. Er hasste es zwar wenn man ihn als hübsch bezeichnete-er wollte lieber gefährlich aussehen- aber alles andere wäre gelogen. Henry hatte stärker gewellte und auch dunklere Haare. Nur wenn man genau hinsah konnte man erkennen, dass das Vogelnest, das Henry stolz als Frisur bezeichnete, nicht schwarz sondern einfach nur dunkelbraun war.
Susan war drei und mit ihrer Zwillingsschwester Mary die Jüngste. Sie hatten das blonde Haar ihrer Mutter,welches auch Emma geerbt hatte.
Und dann gab es noch Jacob. Er war ein kleiner Teufel in Gestalt eines Siebenjährigen mit feuerroten Haaren. Von wem er diese ungewöhnliche Haarfarbe hatte, wusste keiner. Doch wenn irgendjemand einen Streich ausgeheckt hatte, wusste jeder wer es war. Der Feuerkobold, wie ihn alle nannten.
Das war Emmas kleine Familie. Rebecca, ihre Mutter bekamen die sechs selten zu Gesicht. Emma erfüllte mit ihren vier Jahren bereits eine Art Mutterolle, denn sie war zwar genauso wild und frech wie ihre Geschwister, doch in schweren Zeiten handelte sie überlegt und meistens richtig. Das war ungewöhnlich für Kinder in ihrem Alter, doch es war wichtig für die Familie.
Außerdem war Emma die Einzige die ansatzweise kochen konnte.
Emma schlüpfte aus ihrem Nachthemd und zog sich ein grobes Kleid aus Wolle über. Dazu der alte Mantel mit den Mottenlöchern. So leise wie es eben nur ging, schob das Mädchen die Tür auf und zog sie hinter sich wieder zu. Früh am morgen war es noch verhältnismäßig still in der Stadt . Bis auf ein paar Handwerker und Bäcker,deren Arbeit mit dem ersten Licht des Tages begann, waren die Straßen wie leergefegt.
Emma lief zum Markt. Noch war es zwar etwas früh für die Verkäufer, aber manchmal hatte sie Glück. Als Emma am Marktplatz ankam, standen schon die ersten Pferdekarren beladen mit Äpfeln auf dem groben Kopfsteinpflaster. „Hallo Pferd“, sagte Emma leise und strich einem großen Rappen über die Nüstern. „Bist du ein Kelpie?“ Hoffnungsvoll blickte sie in die dunklen, ruhigen Augen des Tieres. Jake hatte ihr einmal erzählt, dass in der Themse Pferdewesen leben würden, welche Kinder und andere Pferde ins Wasser lockten und entführten. Aber wer ihre List enttarnte, dem gehörte das Kelpie und es erfüllte ihm all seine Wünsche. Emma wusste genau was sie sich wünschen würde. Sie wäre gerne eine Prinzessin und sie würde jeden Tag Kuchen essen und den armen Familien helfen. Doch dafür brauchte sie erstmal ein Kelpie und das ließ auf sich warten.
Als das Pferd nicht -wie erhofft- antwortete, drehte sich Emma enttäuscht um und versuchte es bei dem nächsten Pferd.
Eine Stunde später spazierte sie in Richtung Villenviertel. Ein Kelpie war zwar nicht dabeigewesen, aber einen Apfel hatte sie mitgehen lassen. Einen wirklich schönen, roten der glänzte und knackte wenn man hinein biss. Zufrieden kauend kam sie bei den riesigen Herrenhäusern an. Den Apfelknorz verfütterte sie an ein Droschkenpferd. Dann ging sie den gewohnten Weg zu dem Haus des Earls. Doch heute war etwas anders.
So das wars dann für heute. :)
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Emma
Historical FictionLondon, 1801 Emma und ihre Familie gehören den unteren Gesellschaftsschichten Londons an. Einen Vater gibt es nicht mehr, Geld ist knapp. Die vierjährige Emma muss auf sich selbst aufpassen, wenn die Mutter und die älteren arbeiten. Sie verbringt of...