- 6 -

12 0 4
                                    

„Du hast immer noch nicht gesagt, wie die eigentlich passiert ist", sprach sie weiter und strich eine lockige Haarsträhne hinter ihr Ohr. Ich versuchte ein Lächeln, scheiterte und gab auf. „Dieser Niklas, von dem ich gestern geredet habe, er..."

„Er heißt Nike. Nicht Niklas, das ist nur sein Deckname", unterbrach mich Titus. Ich erzählte Alea kurz von dem Kampf. Ich ließ Einzelheiten wie das Zerreißen meines BHs oder was Joke über den Betrieb gesagt hatte weg, aber jetzt war auch Titus Interesse geweckt.

„Joke?", fragte er verwirrt. Ich nickte und meinte, Niklas – äh, Nike – hätte ihn Jakob genannt. Sie schienen früher gute Freunde gewesen zu sein.

Titus nickte. „Ich weiß nicht so viel, weil Nike einen Jahrgang unter mir war. Aber ja, da gab es einen Jakob. Über den gab es ein paar Gerüchte. Die meisten liefen darauf hinaus, dass er drogensüchtig wäre und deshalb aus dem Betrieb geschmissen worden wäre. Aber keine Ahnung, ob man das glauben soll. Manchmal hat es auch wie ein Gerücht geklangen, das bewusst in die Welt gesetzt wurde. Beim Betrieb weiß man ja nie."

„Was passiert, wenn man aus dem Betrieb geschmissen wird?" Alea war neugierig, gleichzeitig wanderte ihr Blick zur Küchenuhr. Normalerweise verließ sie jetzt das Haus.

„Das weiß niemand so genau. Niemand will es herausfinden. Ich kann aber nicht fassen, dass dieser Jakob oder Joke oder wie er auch immer heißt einfach hier frei herumläuft", antwortete Titus nachdenklich. Ich zuckte mit den Schultern.

Alea seufzte und verabschiedete sich von uns. Auch Titus und ich machten uns auf den Weg, sodass wir letztendlich gemeinsam gingen. Während Titus allerdings auf das technische Gymnasium ging, besuchten Alea und ich das sprachliche gegenüber.

So früh war ich noch nie im Klassenzimmer angekommen. Die meisten Sitzreihen waren noch leer und der Lehrer der ersten Stunde war ebenfalls noch nicht anwesend. Das war ich nicht gewohnt.

Immerhin war Thea schon da, auch sie schien über mein frühes Erscheinen erstaunt. „Wow, was machst du denn schon hier?"

Ich stellte meinen Stuhl herunter und setzte mich. Vermutlich sah mir man mir an, dass etwas nicht stimmte, zumindest fragte Thea sofort besorgt: „Was ist los?"

Kurz überlegte ich, wie ich das erzählen sollte. Ob ich es überhaupt erzählen sollte oder ob Thea sich vor Sorge und Angst noch in die Hosen machen würde. Letztendlich sagte ich knapp: „Mein Dad wurde angeschossen. Sieht nicht gut aus."

„Scheiße." Theas Gesicht war erstarrt, jegliche Farbe entwich ihm. „Ich hatte eigentlich das auf deiner Stirn gemeint, aber.. scheiße. Was ist passiert?"

Ich seufzte und erzählte ihr in etwa das, was auch ich wusste.

„Scheiße", stammelte Thea weiter und strich sich über ihre freien Arme, wo sie eine Gänsehaut bekommen hatte. Ich fühlte mich mies, weil ich es ihr erzählt hatte und weil sie sich jetzt wegen mir oder besser gesagt, wegen meines Vaters Sorgen machen musste.

Der Vormittag verging nur mühselig. Ich verhaute die Ex in Physik, bekam Ärger weil ich die Englischvokabeln nicht gelernt hatte – obwohl ich trotzdem so gut wie alle gewusst hatte – und am Nachmittag sollten wir auch noch Sport haben. Das, worauf ich jetzt am wenigsten Lust hatte.

Ein paar Mal erzählte ich von einem Skateboardfahrer, mit dem ich zusammengestoßen war, um den Kratzer auf der Stirn zu erklären. Manchmal erzählte ich auch, dass es mir heute nicht so gut ging. Meistens erzählte ich aber nichts.

Gegen Ende der Mittagspause wollte Thea die Wahrheit wissen. „Das mit dem Skateboardfahrer. Das ist eine reine Lüge, stimmt's?" Zögerlich nickte ich und als Nike mir in der Mittagspause zunickte, platzte Thea fast der Kragen. „Mir ist klar, dass es dir scheiße geht. Und dass du mir nicht alles vom Betrieb erzählen kannst. Aber wenn es um Jungs geht, würde ich echt gerne Bescheid wissen!"

Mimula UndercoverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt